Rede zur Lage der Nation: Putin sieht die „echte Elite“ an der Front

rede zur lage der nation: putin sieht die „echte elite“ an der front

Auftritt vor einer auserwählten Elite: Wladimir Putin am Donnerstag in Moskau

Einmal im Jahr hält Russlands Präsident seine Rede der Nation. Dazu versammelt Wladimir Putin seine Elite aus Parlament, Regierung und Kirche sowie ausgewählte Einzelpersonen vor den Kameras des Staatsfernsehens Nur 2022 ließ er die „Botschaft an die Föderale Versammlung“, so die offizielle Bezeichnung, ausfallen. Damals entwickelte sich Lage wegen der „speziellen Militäroperation“, dem Angriffskrieg gegen die Ukraine, laut Putin zu „dynamisch“, um Pläne zu schmieden.

Auch jetzt sieht Moskau Dynamik, aber eine positive. Zur Einstimmung auf Putins Auftritt zeigt das Staatsfernsehen am Donnerstag, wie russische Soldaten in der Südukraine eine Ruine „säubern“, aus Schützenpanzern und Sturmgewehren feuern. Dann hebt es hervor, dass das nächste amerikanische Hilfspaket für die Ukraine weiter in Washington blockiert ist, und zieht die Fähigkeiten des dortigen Präsidenten in Zweifel. Subtext ist, dass der 71 Jahre alte Putin fitter sei als der zehn Jahre ältere amerikanische Präsident Joe Biden und noch lange weiterherrschen könne. In der Rede solle es um „die Aufgaben für mindestens die kommenden sechs Jahren“ gehen, hatte Putin selbst angekündigt. Seine Bestätigung im Präsidentenamt in Scheinwahlen in zweieinhalb Wochen steht für ihn fest. 2020 hatte sich Putin in einer Verfassungsreform die Möglichkeit geben lassen, jetzt und abermals 2030 anzutreten.

Putins Aufzählung angeblicher Kriegserfolge

In einem Veranstaltungszentrum nahe dem Kreml sind Putins Leute in Blöcken gesetzt worden. Zu ihnen gehört auch Igor Setschin, Putins Mann an der Spitze des Staatsölkonzerns Rosneft. Er blickt noch düsterer als sonst. Setschin hat gerade seinen Sohn Iwan verloren. Der war auch bei Rosneft tätig und starb Anfang Februar im Alter von 35 Jahren in einer Elitewohnsiedlung nahe Moskau. Er soll eine Thrombose erlitten haben und der Krankenwagen zu spät gekommen sein. Eine Viertelstunde verspätet tritt Putin ans Rednerpult, um dafür dann aber mit mehr als zwei Stunden länger als je zuvor zu einem solchen Anlass zu sprechen.

Am nächsten kam er am Donnerstag dem Auftritt von 2018, als Putin eine Reihe von Nuklearwaffen vorstellte. Der Saal reagierte darauf ekstatisch, auch wenn der Entwicklungsstand einiger Waffen zweifelhaft war und bleibt. So begeistert sieht man Putins Publikum jetzt nicht. Eingangs erinnert Putin daran, dass „der legendäre russische Frühling“, der Anschluss der Krim und der Beginn der Landnahme in der Ostukraine, nun zehn Jahre zurückliege. Damals sprach man in Moskau von „Noworossija“ (Neurussland), auch Putin selbst gebrauchte dieses Wort für die Ost- und Südukraine. Am Donnerstag spricht Putin wieder von „Noworossija“, gleich zweimal.

Putin preist die „Geschlossenheit“ der Russen als Schlüssel zu einem Erfolg im Krieg. Er gibt keinerlei Hinweis auf innere Widerworte wie die Proteste von Frauen und Müttern, welche die Rückkehr von in der Mobilmachung im Herbst 2022 eingezogenen Soldaten fordern, hetzt auch nicht wie noch in der „Botschaft“ von 2023 gegen „Nationalverräter“ und erwähnt natürlich auch nicht seinen Widersacher Alexej Nawalnyj, der an diesem Freitag in Moskau bestattet werden soll. Der Feind ist in Putins Rede „der sogenannte Westen“, der er die Russen nicht spalten könne. „Unsere Helden in den Schützengräben wissen, dass das ganze Land mit ihnen ist“, sagt Putin und ordnet ein knappes Schweigen zum Gedenken an die Gefallenen an.

Danach zählt er Kriegserfolge auf. Russlands Streitkräfte gehöre die Initiative, sie griffen an und „befreien immer neue Gebiete“, sagt Putin und wiederholt sein Ziel, in der Ukraine einen „Nazismus auszumerzen“. Dann preist er Russlands strategische Nuklearstreitkräfte und erinnert an seine Waffenpräsentation von 2018. Er nennt etwa die damals vorgestellte Luft-Boden-Rakete „Kinschal“ (Dolch), die, konventionell bewaffnet, nun auch gegen die Ukraine eingesetzt worden ist. Putin spricht von einer „hohen Effektivität“ der Raketen, doch hat Kiew angegeben, etliche von ihnen abgeschossen zu haben.

Putins nukleare Drohung an den Westen

Auch spricht Putin davon, dass der von ihm ebenfalls vor sechs Jahren angekündigte „nukleargetriebene Marschflugkörper globaler Reichweite ‚Burewestnik‘“ (Sturmvogel) derzeit „letzte Tests“ absolviere. Dabei hatte Putin im vergangenen Oktober gesagt, die Waffe habe schon einen „letzten erfolgreichen Test“ absolviert. Putin verspricht nun auch, die ersten neuen ballistischen Interkontinentalraketen vom Typ „Sarmat“ seien den Streitkräften geliefert worden, man werde sie „bald zeigen“. Auch für diese 2018 vorgestellte Waffe hatte Putin schon mehrmals angekündigt, sie werde bald in Dienst genommen.

Putin erklärt sich bereit zum Dialog mit den USA über „strategische Stabilität“, beklagt aber, dass die Gegner eine „strategische Niederlage“ Russlands „auf dem Schlachtfeld“ anstrebten. Damit verbindet er abermals das Thema der nuklearen Sicherheit mit der konventionellen Kriegführung in der Ukraine, wie er es immer tut, um eine Drohkulisse aufzubauen. Gespräche über für „den ganzen Planeten wichtige Fragen der Sicherheit und Stabilität“ werde es nur geben, wenn „alle Aspekte“ einbezogen würden, die Russlands „Interessen“ und „Sicherheit“ berührten. Das erinnert an Putins Vorschläge von Ende 2021, als er einen Rückzug der NATO aus Mittel- und Osteuropa forderte. Jetzt seien Finnland und Schweden in das Bündnis „hineingezogen“ worden und Russland müsse seine Truppen im Westen des Landes stärken, beklagt Putin, der nicht gelten lässt, dass die beiden Länder als Reaktion auf seinen Angriff auf die Ukraine den Beitritt anstrebten.

Dass der Westen erkläre, Russland habe vor, „Europa anzugreifen“, sei „Quatsch“, sagt Putin und behauptet, die Gegner suchten selbst Ziele für Angriffe „auf unser Gebiet“ aus. Welche, sagt er nicht. Dafür nimmt er die Gedankenspiele des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu NATO-Truppen in der Ukraine zum Anlass für eine neue Drohung: „Wir erinnern uns an das Schicksal derjenigen, die einst ihre Kontingente auf das Gebiet unseres Landes geschickt haben“, sagt er, wobei er die Ukraine für sich vereinnahmt. „Aber jetzt werden die Folgen für mögliche Interventionisten viel tragischer.“ Die Gegner müssten verstehen, dass „wir auch Waffen haben“, die „Ziele auf ihrem Gebiet vernichten könnten“. Dann wirft Putin seinen Gegnern vor, die mögliche „Vernichtung der Zivilisation“ zu riskieren, weil sie „vergessen haben, was Krieg ist“. Russland dagegen wisse das noch wegen „des Kampfs mit dem internationalen Terrorismus im Kaukasus“ und des „Konflikts in der Ukraine“. Dabei hat Putin selbst oft westliche Kriegseinsätze etwa im Irak und in Afghanistan beklagt.

Dieser erste, kriegerische Teil seiner Rede dauert nur gut 20 Minuten. Dabei fällt auf, dass er nichts vom jüngsten Begehren der transnistrischen Separatisten um „Schutz“ sagt und auch nichts über die Abkehr seines Juniorpartners Armenien, wohin nun sogar der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj reisen soll. Putin geht es um Erfolge. Er verspricht neue Projekte für die Familie und Mütter, die mehr Kinder kriegen sollen, und präsentiert sich als Kämpfer gegen eine „Elite“, die sich „vielfach selbst diskreditiert“ habe. Die „echte Elite“ bestehe aus Leuten, die Russland jetzt an der Front dienten, sagt Putin. Der Krieg erscheint bei Putin als Läuterungs- und Veredelungsprogramm für alle Russen. Alle Ziele hingen von den Soldaten an der Front ab, „die sich opfern für uns“ und vor denen man sich tief verneige, sagt er zum Schluss. Seine Elite klatscht.

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