Fehler in der Stadtplanung: „Die Krise bietet herausragende Chancen“

fehler in der stadtplanung: „die krise bietet herausragende chancen“

Nikolas Müller leitet seit Oktober 2023 das Real Estate Management Institute an der privaten Universität EBS.

Sie sind Architekt und beschäftigen sich auch als Professor mit dem gesamten Bild der Immobilienbranche. Gleichen Städte und Neubauviertel sich aneinander an?

Ja. Dafür finden sich viele Ursachen: Es gibt diverse Anforderungen an Stadtquartiere: architektonisch, energetisch, investorenseitig, auch zur Mobilität. Die Häuser gleichen sich mit dem Volumen des Bauwerks oder mit Fensteröffnungen. Die Stadtplanung in Deutschland ist aktuell nicht zeitgemäß auf die Menschen fokussiert, die die Stadt zur Stadt machen. Selten steht im Vordergrund, wie die gebaute Umwelt im Alltag auf die Nutzer wirkt.

Hilft nun die Krise auf dem Immobilienmarkt dabei, dies aufzubrechen und Unterschiede zuzulassen?

Die Immobilienwirtschaft musste in den vergangenen Jahren wenig vordenken, weil die Branche per se gut lief. Die Krise bietet zwangsweise die herausragende Chance, über Immobilien und die gebaute Umwelt neu nachzudenken – darüber, welche Ziele wir mit Projektentwicklungen erreichen, und welche gesellschaftlichen Werte wir generieren wollen.

Was muss passieren, damit die Stadtentwicklung vielfältiger wird?

Wir wissen viel über Mietpreise, über den Einfluss des Zinsniveaus auf die Baukosten, und wir modellieren Energieeffizienz bis ins Unendliche. Aber wir wissen wenig darüber, wie einzelne Immobilien oder gezielte Nutzungsänderungen auf soziale Prozesse vor Ort wirken – und damit wechselseitig auf den Wert von Immobilien. Aktuell sind wir nicht daran gewöhnt, mit empirischen Daten zur Gesellschaft zu arbeiten. Zum Nutzwert werden regelmäßig Annahmen getroffen, anders als in anderen Branchen. Doch welche sozialen Prozesse entstehen durch welche Bebauungen? Welche Strukturen sind für welche Zielgruppe wertstiftend? Und warum? Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir bestehende Datenquellen miteinander verbinden und mehr Grundlagenwissen erzeugen. So lässt sich auch vorab empirisch modellieren und erproben, welche Ansätze wie wirken.

Wieso läuft das nicht an?

Es läuft langsam an. Der Prozess von Wertkorrekturen hat an vielen Standorten gerade erst begonnen. Erste Bestandshalter stellen sich daher gezielte neue Fragen. Wir haben erste vielversprechende Projekte mit Mobilfunkdaten dazu gemacht. Die Ergebnisse zeigen: Mit geeigneten Strategie- und Leadership-Ansätzen ist schnell viel Wissen über interdisziplinäre Wirkungsbeziehungen zu generieren, das sich anschließend in die Planung überführen lässt. Doch insgesamt ist das Thema recht neu für die Branche.

Sie beschreiben als eine Schwierigkeit, dass das Haus dem Architekten gefällt, der später dort aber nicht wohnt. Weiß er nicht, wie es sich in Gebäuden lebt?

Mancher Architekt hat am meisten gelernt, wenn er sein eigenes Einfamilienhaus gebaut hat. Nicht jede Idee ist funktionsfördernd. Ein offenes Treppenhaus sieht vielleicht schön aus, aber bringt auch Schall mit sich. Stadtplaner und Architekten planen häufig mit eigenen Wertekriterien zum Sozialen. Zugunsten der starken Fokussierung auf die Energieeffizienz – jahrelang der Qualitätsindikator von Planungen – ist die Qualität des Sozialen zusätzlich in den Hintergrund getreten. Die Krise zwingt uns nun zu einer Renaissance der Planung und Entwicklung.

Die Hafencity in Hamburg oder das Europaviertel in Frankfurt sind schon sterile Angelegenheiten, oder?

O ja! Ein Blick in das Europaviertel genügt. Für die Hafencity Hamburg sitze ich im Beirat. In der Frühzeit wurde die Idee zementiert, ein Quartier mit dem Charme des alten Hafens zu erschaffen. Dafür sind viele harte, kalte Flächen entstanden, und viel Kopfsteinpflaster wurde verlegt. Dadurch gibt es wenig Grün und kaum Verschattung öffentlicher Räume im Sommer. Bäume werden inzwischen nachgepflanzt. Doch mit Stöckelschuhen lässt sich vielerorts noch immer schlecht gehen – eine wenig weiblich gedachte Stadtplanung. Diese sichtbaren Fehler werden in den neu geplanten Quartieren nicht wiederholt. Mit der Zeit hat in der Geschäftsführung ein Umdenken und ein innovativer Lernprozess eingesetzt. Doch grundsätzlich haben Planer auch ein eigenes Verständnis über den öffentlichen Raum, manchmal anders als die breite Masse – bewusst oder unbewusst. So wird im Architekturstudium Beton plötzlich auch mal zu einem attraktiven Baustoff, weil sich damit Fels künstlich modellieren lässt. Bei Attraktivität geht es immer viel um Sozialisation und Kulturgut. Beton hat in der Schweiz etwa gesellschaftlich einen höheren Stellenwert als bei uns.

Welche Beispiele für schöne Stadtentwicklung sehen Sie?

Einst habe ich in den Niederlanden gelebt in einem Hochhausgebiet in Delft. Die Stadtplanung war sehr angenehm: Hochhaus, Grünfläche, Fußgängerweg, Grünfläche, Fahrradweg, Grünfläche, Autostreifen, Grünfläche, auf der anderen Seite das Ganze gespiegelt. Das Auge hat so viel Abwechslung. Die Gebäude waren wie Schiffe in einem grünen Meer. Es gibt viele Städte, in denen wir gern leben würden oder die wir als Reiseziele wählen. Daran könnten wir uns orientieren. Dann gibt es Städte, die aufgrund der Planung in besonderer Weise funktionieren: Bern, Freiburg und Venedig mit einer Abfolge von öffentlichen und privaten Flächen. Auch von Barcelona und Madrid ist derzeit viel zu lernen. Es darf, aber muss nicht immer nur Kopenhagen sein. Oder wir besinnen uns neben Energie, Technik und Infrastruktur schlicht auch mal wieder auf die Bedürfnisse der Menschen vor Ort. Dann kann und wird es gut werden.

Das Gespräch führte Jan Hauser.

News Related

OTHER NEWS

Ukraine-Update am Morgen - Verhandlungen mit Moskau wären „Kapitulationsmonolog" für Kiew

US-Präsident Joe Biden empfängt Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus. Evan Vucci/AP/dpa Die US-Regierung hält Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zum jetzigen Zeitpunkt für „sinnlos”. Bei einem Unwetter in Odessa ... Read more »

Deutschland im Wettbewerb: Subventionen schaden dem Standort

Bundeskanzler Olaf Scholz am 15. November 2023 im Bundestag Als Amerikas Präsident Donald Trump im Jahr 2017 mit Handelsschranken und Subventionen den Wirtschaftskrieg gegen China begann, schrien die Europäer auf ... Read more »

«Godfather of British Blues»: John Mayall wird 90

John Mayall hat Musikgeschichte geschrieben. Man nennt ihn den «Godfather of British Blues». Seit den 1960er Jahren hat John Mayall den Blues geprägt wie nur wenige andere britische Musiker. In ... Read more »

Bund und Bahn: Einigung auf günstigeres Deutschlandticket für Studenten

Mit dem vergünstigten Deutschlandticket will Bundesverkehrsminister Wissing eine junge Kundengruppe dauerhaft an den ÖPNV binden. Bei der Fahrkarte für den Nah- und Regionalverkehr vereinbaren Bund und Länder eine Lösung für ... Read more »

Die Ukraine soll der Nato beitreten - nach dem Krieg

Die Ukraine soll nach dem Krieg Nato-Mitglied werden. Die Ukraine wird – Reformen vorausgesetzt – nach dem Krieg Mitglied der Nato werden. Das hat der Generalsekretär des Militärbündnisses, Jens Stoltenberg, ... Read more »

Präsidentin droht Anklage wegen Tod von Demonstranten

Lima. In Peru wurde eine staatsrechtlichen Beschwerde gegen Präsidentin Dina Boluarte eingeleitet. Sie wird für den Tod von mehreren regierungskritischen Demonstranten verantwortlich gemacht. Was der Politikerin jetzt droht. Perus Präsidentin ... Read more »

Novartis will nach Sandoz-Abspaltung stärker wachsen

ARCHIV: Das Logo des Schweizer Arzneimittelherstellers Novartis im Werk des Unternehmens in der Nordschweizer Stadt Stein, Schweiz, 23. Oktober 2017. REUTERS/Arnd Wiegmann Zürich (Reuters) – Der Schweizer Pharmakonzern Novartis will ... Read more »
Top List in the World