Krieg in der Ukraine: Angriffsziel Charkiw – so will Putin die zweitgrößte Stadt der Ukraine erobern

krieg in der ukraine: angriffsziel charkiw – so will putin die zweitgrößte stadt der ukraine erobern

Charkiw: Wird die Großstadt zur nächsten Front?

Unaufhörlich rücken die Russen im Osten vor. Die Kämpfe bereiten eine neue Großoffensive vor. Im Mai könnten die Russen auf Charkiw marschieren. Die Vorbereitungen haben bereits begonnen.

Immer wieder gelingen der Ukraine spektakuläre Erfolge. In dieser Woche wurden Schiffe der Schwarzmeerflotte attackiert, dann stürzte ein russischer Kampfjet ab, nachdem er vermutlich von der eigenen Luftabwehr getroffen wurde. Doch es sind nur einzelne Farbtupfer, das Gesamtbild ist düster.

Seit Monaten fressen sich die russischen Truppen tiefer in die ukrainischen Stellungen. Es ist ein unaufhörlicher, blutiger Kampf, ohne glänzende Siege. Hier geht eine Baumreihe verloren, dort setzen sich die Russen in einer Siedlung fest, woanders flankieren sie die Stellungen der Ukrainer aus. Und über allem liegen der Donner der Artillerie und die Einschläge der russischen Gleitbomben. Die russischen Streitkräfte stürmen nicht voran, sie kriechen – das aber unaufhörlich. Inzwischen wird auch den Experten bang, die im Sommer 2024 noch den baldigen Sieg Kiews und die Befreiung der Krim beschworen.

Einfrieren nicht mehr möglich

Die fortwährenden Positionskämpfe im Donbass sind nicht das Schlimmste. Präsident Selenskyj sagt, man habe die Situation fürs Erste stabilisiert. Das stimmt. Im zähen Widerstand haben die ukrainischen Soldaten den Kollaps eines Frontabschnittes und damit einen russischen Durchbruch verhindert. Die Frage ist nur: Wie lange stehen sie den verlustreichen Kampf durch? Die London Times hat die Ukraine stets bedingungslos unterstützt. Sie titelte: “It’s time we talked about the fall of Kyiv”. Iain Martin schildert dort ein Alptraumszenario. Die USA blockieren die Hilfen, die Europäer zögern und Putins Truppen stehen erneut vor der Hauptstadt Kiew. Der Text ist ein Warnruf und keine ernsthafte Prognose, aber dennoch. Martin ist bewusst, dass ein Einfrieren des Konflikts überhaupt keine Option mehr ist. Nicht aus politisch-moralischen Bedenken, sondern aus der Erkenntnis heraus, dass Putin sich nicht den Sieg aus der Hand nehmen lassen will.

Charkiw – das nächste Bachmut?

Auch der ukrainische Präsident erwartet eine russische Offensive, also eine große Operation, die zu den derzeitigen Kämpfen hinzu kommt. Der Fall von Kiew in diesem Jahr ist unrealistisch, zu weit sind die Entfernungen und zu langsam ist das Vorrücken. Anders sieht es bei der zweitgrößten Stadt des Landes aus: Charkiw. Im Donbass wird Kiew weitere Dörfer verlieren, darunter auch die wichtige Bergfestung von Tschassiw Jar. Doch im Hintergrund bereiten die Russen eine weit größere Operation vor. Derzeit sieht man die Vorbereitungen dazu – die sogenannte Shaping Phase. Dazu gehören die Angriffe auf die Infrastruktur und insbesondere auf die Energieversorgung. Das hat Moskau schon früher gemacht, aber die jetzigen Angriffe unterscheiden sich. Zuvor waren sie darauf angelegt, Knotenpunkte des Netzes auszuschalten. Das sind begrenzte Schäden, die die Ukraine mit Hilfe des Westens wieder beheben konnte. In diesem Jahr werden die Kraftwerke direkt angegriffen. Weitreichenden Verwüstungen zerstören die zentralen Maschinenhallen. Ein Anfahren des Betriebes ist in absehbarer Zeit nicht möglich.

Dazu richten sich die Vorbereitungen auf Charkiw, vor dem Krieg lebten hier etwa 1,5 Millionen Menschen. Nun wird den Einwohnern gezielt der Strom abgestellt. Vermutlich wird die Wasserversorgung folgen. Das Schlimmste: Die Russen haben begonnen, die Stadt mit ihren gefürchteten Gleitbomben anzugreifen. Noch im kleinen Maßstab. Diese Bomben senden eine Botschaft von Putin: Charkiw wird zur Frontstadt. Die Zivilisten sollen aus der Stadt flüchten. Die Gleitbomben signalisieren, dass der Millionenstadt ein Schicksal wie Bachmut und Awdijiwka droht – nur in einem viel größeren Maßstab.

Evakuierung der Stadt

Sollten die Russen die Zahl der Gleitbomben erhöhen, muss die Stadt evakuiert werden. Schon das wäre ein psychologischer Sieg für Putin und ein weiterer Schlag für die ukrainische Moral. Innenpolitisch würde Putin zu seinem Wort stehen, eine “Pufferzone” zu schaffen, so dass Belgorod nicht mehr beschossen werden kann. Sollte eine Großoffensive im Mai starten, würde sie Kiew in einem denkbar ungünstigen Zustand treffen.

Die unaufhörlichen Kämpfe im Donbass zehren die Truppen aus. Kiew mangelt es an allem. Es fehlen Luftabwehrsysteme. Die Ukraine kann entweder ein paar Großstädte schützen oder die Truppen an der Front. Dort hat man erfolgreich Abwehrfallen aufgebaut und russische Jets abgeschossen, dabei aber auch die eigene Luftabwehr verloren. Verzweifelt bittet Präsident Selenskyj immer wieder um weitere Patriot-Systeme. Doch es ist zu befürchten, dass die Lieferungen aus dem Westen nicht einmal die Verluste ausgleichen.

Noch schlimmer sieht es bei den Kampfpanzern aus. Die westliche Idee einer “Einmal-Lieferung” hat versagt. Wie zu erwarten, wurden diese Panzer zerstört, beschädigt oder leiden unter Verschleiß. Nur ein kleiner Teil soll noch einsatzfähig sein. Der hochgelobte Challenger II soll wegen seines Gewichts kaum zu gebrauchen sein. Kiew musste erkennen, dass der Krieg in der Ukraine im Westen nicht immer die erste Priorität genießt. Von den USA wurde zunächst Israel und dann die Ukraine beliefert. Dänemark kündigte diese Woche an, die verbliebenen F-16 Jets nicht nach Kiew zu geben. Sie gehen voraussichtlich in einem komplizierten Ringtausch Geschäft an Argentinien. Wohl mit dem Segen Washingtons, dass dort den Kauf chinesischer Kampfjets verhindern will.

Carte Blanche für Putin

Eröffnet Russland mit frischen Truppen eine neue Front im Norden, wäre das eine Zerreißprobe für die ukrainischen Streitkräfte. Wo sollen die Männer und das Gerät herkommen, um Putin aufzuhalten? Wenn die Russen die Rezepte, die sie im Kampf um Bachmut und Awdijiwka entwickelt haben, auf die Millionenstadt Charkiw anwenden, bedeutet das den buchstäblichen Untergang der Stadt.

In der Anfangsphase der Invasion sind die Russen mit gepanzerten Kräften in die Städte hineingefahren und wurden dann im Dickicht von Häusern und Straßen zuerst aufgehalten und dann zusammengeschossen. Diese Art von urbanen Kämpfen vermieden die Russen seitdem, indem sie die Bebauung zerstören. Wo sich Widerstand regt, setzen sie Gleitbomben ein. Unterstände, Befestigungen und Beobachtungsposten werden in Schutt verwandelt. Wenn Charkiw fallen oder eingeschlossen werden sollte, steht Putin kurz davor seine Kriegsziele zu erreichen.

Im nächsten Schritt könnten die Russen versuchen, das Land zu teilen und Kiews Truppen im Osten abzuschneiden. Wegen der Größe der Stadt würde sich der Kampf merklich von dem um Awdijiwka unterscheiden, doch Putin wird keine Skrupel haben, die Stadt Stück für Stück zu zerstören. Der Anschlag in Moskau wird im eigenen Land jede Eskalation der Kriegsführung rechtfertigen.

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