Krebsdiagnostik: "Daten retten Leben"

Auch in der Akutversorgung von Schlaganfallpatienten kann künstliche Intelligenz (KI) schon heute hilfreich sein. Hier betrachtet eine Radiologin im Unfallkrankenhaus Berlin in einer KI-basierten App Gehirnbilder eines Patienten.

Während eines SZ-Gesundheitsforums stellten Expertinnen und Experten Anwendungsmöglichkeiten für künstliche Intelligenz in der Medizin vor und warben für Vertrauen.

“Daten retten Leben”

Künstliche Intelligenz (KI) war früher Science Fiction. Spätestens seit Chat-GPT aufkam, ist sie merklich in den Alltag der Menschen eingedrungen. Weniger bekannt ist, dass KI-Methoden in der Medizin längst genutzt werden. Ärzte und Wissenschaftler versuchen, mithilfe der KI die Behandlung von Patienten zu verbessern. Das resultiere in Hoffnungen, dass damit viele Probleme überwunden werden könnten, aber es löse auch Ängste aus, sagte Markus Schwaiger, der Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (BAdW), während eines gemeinsamen Gesundheitsforums von BAdW und Süddeutscher Zeitung, das vor Kurzem in München stattfand und sich den Chancen und Risiken des Einsatzes von KI in der Medizin widmete.

Wie hilfreich Algorithmen und maschinelles Lernen schon heute sein können, zeigte Torsten Haferlach, Leiter des Münchner Leukämielabors, wo Blut- und Knochenmarkproben von Patienten bereits mithilfe von KI analysiert werden. Bis zu 80 Prozent aller Proben aus ganz Deutschland kommen – je nach benötigter Methode – zur Abklärung einer Leukämie in das Münchner Labor. “Ohne KI könnten wir längst nicht so präzise Diagnosen stellen”, sagte Haferlach beim Gesundheitsforum. Mittlerweile seien mehr als 300 verschiedene Leukämie-Arten bekannt, die Manuale zur Klassifikation umfassten rund 700 Seiten. “Kein Mensch kann das mehr überblicken, die KI schon.”

Gleichwohl wird der KI in Haferlachs Labor die Diagnose nicht allein überlassen. Unterstützt durch Algorithmen wird zwar das Aussehen der Zellen aus Blut oder Knochenmark bewertet, werden ihre immunologischen Eigenschaften und ihre genetischen Besonderheiten analysiert. Doch am Ende überprüfen erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Befund. Das spare Zeit, erhöhe die Sicherheit und sei somit für die Patienten von großem Vorteil, sagte Haferlach. Denn von der Diagnose hängt ab, welche Therapie die Patienten erhalten. Sie ist also wesentlich für den Behandlungserfolg.

“Es legt sich schließlich auch niemand einen Stadtplan neben das Handy”

“In mehr als 95 Prozent der Fälle ist der Vorschlag der KI der richtige – und die Systeme lernen mit jedem Befund, mit jedem Fehler weiter”, berichtete Haferlach, der selbst Hämatologe ist, also Spezialist für Krankheiten des Blutes. Dabei müsse man bedenken, dass nur die besten Mitarbeitenden die KI überprüfen. “Wahrscheinlich sind die Systeme heute schon besser als jene Mitarbeiter, die die Tests seltener oder noch nicht so lange machen”, so der Mediziner. Heute sei die KI auf dem Stand, den Menschen nach zwei Jahren Berufserfahrung erlangt haben. Es sei daher geboten, solche Techniken zu nutzen: “Man kann hier nicht mehr sagen, ich mache das so, wie ich es immer gemacht habe, wenn man ärztlich und ethisch korrekt arbeiten will.”

Torsten Haferlach zog den Vergleich zu Google Maps: “Es legt sich schließlich auch niemand einen Stadtplan neben das Handy, um die Wegangaben zu kontrollieren”, sagte er. Das Vertrauen in das elektronische Kartensystem habe sich durch Erfahrung entwickelt. Man weiß, dass Google Maps in der Regel recht hat. Es sei schon so, dass durch die Nutzung dieser Technik mit der Zeit menschliche Expertise verloren gehe, so Haferlach – aber je verlässlicher die modernen Methoden würden, desto verzichtbarer sei auch manches Wissen: “Einen ausgefalteten Falk-Plan können die meisten jungen Menschen heute nicht mehr richtig zusammenlegen, aber sie brauchen das auch nicht mehr zu können.”

An einer besseren Krebsdiagnostik arbeitet auch die Informatikerin Julia Schnabel vom Helmholtz-Zentrum und der TU München. Sie gilt als Pionierin in der Anwendung von KI zur Analyse medizinischer Bilddaten. Zur Früherkennung von Tumoren werden häufig Aufnahmen aus Tomografen verwendet. Auf den Bildern können erfahrene Radiologinnen und Radiologen Krebsherde erkennen – allerdings natürlicherweise erst, wenn diese auch für das menschliche Auge wahrnehmbar sind. “Die KI kann Tumoren sehr viel früher entdecken als der Mensch”, so Schnabel, “wenn sie entsprechend trainiert wird.”

Dazu werden Systeme mithilfe von Patientinnen und Patienten geschult, die über einen längeren Zeitraum im Rahmen eines Screenings immer wieder im Tomografen untersucht werden. Starke Raucher zum Beispiel, bei denen ein Lungenkrebs befürchtet wird. Wenn einzelne Probanden im Laufe der Zeit tatsächlich erkranken, kann die KI anhand der regelmäßig erstellten Bilder lernen, welche winzigsten Auffälligkeiten bereits vor der Diagnose des Krebses zu sehen waren. So kann sie bei künftigen Patienten viel früher Alarm geben, als dies bisher möglich war und als es einem Menschen je möglich sein wird. “Lungenkrebs ist der häufigste Krebs und die häufigste Krebstodesursache, aber er wird leider oft erst spät bemerkt”, so Schnabel. Dann seien die Behandlungschancen in der Regel gering. Je früher der Tumor aber auffällt, desto besser seien die Erfolgsaussichten.

“Ein Radiologe trainiert an 30 000 Daten, für die KI ist das fast nichts.”

Die Experten des Gesundheitsforums warben für Vertrauen in die modernen Methoden. “Ein Radiologe trainiert an 30 000 Daten, bevor er auf Patienten losgelassen wird”, so Schnabel, “das hört sich viel an, aber für die KI ist das fast nichts”. Sie verarbeite Millionen Daten im Nu. Gleichwohl müsse sich niemand Sorgen machen, dass Ärzte eines Tages durch KI ersetzt würden. “Die KI ist eine wertvolle Ergänzung, kein Ersatz. Den Menschen und seine Entscheidungen braucht es am Ende immer.”

Auch die KI ist allerdings nur so gut, wie die Daten, mit denen sie trainiert wird. Schnabel warb deshalb dafür, dass Patientinnen und Patienten ihre anonymisieren Daten mit Forschenden teilen. “Daten retten Leben”, so die Expertin für maschinelles Lernen. Jeder Mensch sei mal Patient oder Patientin und könne dann von den Daten der anderen profitieren. Um gute Systeme für die hiesige Bevölkerung zu entwickeln, werden repräsentative Daten der hiesigen Bevölkerung gebraucht. “Es reicht nicht, Daten aus den USA oder China zu nutzen – daran kann die KI nicht gut für unsere Bedürfnisse hier lernen”, so Schnabel. “Wir müssen die Bevölkerung in Deutschland abbilden können, um sie besser behandeln zu können, und dafür brauchen wir das Zutun jedes Einzelnen.”

An besserer Datennutzung und Datenverfügbarkeit arbeitet Björn Eskofier. Der Informatiker erforscht an der Universität Erlangen-Nürnberg und am Helmholtz-Zentrum München, wie Patientinnen und Patienten zur optimalen Versorgung in ein digitales Gesundheitssystem eingebunden werden können. Eskofier engagiert sich für einen europäischen Gesundheitsdatenraum, den European Health Data Space, in dem eines Tages Menschen in ganz Europa auf ihre Krankenakte zugreifen können. Ein Vorläufer für diesen europäischen Datenraum sei mit dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz, das kürzlich verabschiedet wurde, für Deutschland in die Wege geleitet, sagte Eskofier. Die Daten sollen für Patientinnen und Patienten selbst über ihr Handy jederzeit verfügbar sein.

“Ich vertraue auch meiner Bank Geld an, obwohl das nicht hundertprozentig sicher ist.”

Der Nutzen liegt aus Eskofiers Sicht auf der Hand: Erschreckend oft wirkten zum Beispiel Medikamente nicht, die Patienten bekommen. Dadurch würden nicht nur jedes Jahr Milliarden Euro verschwendet, es bedrohe auch die Gesundheit von Menschen, wenn diese nicht jene Arzneimittel bekommen, die ihnen am besten helfen. Wenn aber Menschen im ganzen Land ihre Behandlungsdaten anonymisiert teilen, lassen sich die Behandlungserfolge vieler Millionen Patienten analysieren und so für künftige Patienten die beste Therapie bestimmen. Dabei sei Datenschutz ebenso wichtig wie Datennutzung. Er plädiert deshalb für “Opt-out”-Lösungen. Das bedeutet, dass Daten grundsätzlich genutzt werden, aber jeder Bürger jederzeit ablehnen kann, wenn er das nicht möchte.

Aber können die Daten auch in die falschen Hände gelangen? Patientenschützer fürchten, dass etwa Versicherungen oder Arbeitgeber Zugriff auf die Gesundheitsdaten bekommen könnten. “Kein IT-System ist hundertprozentig sicher”, so Eskofier, “aber wir arbeiten daran, die Systeme so sicher wie möglich zu machen.” Julia Schnabel zog einen Vergleich zu anderen Alltagssituationen: “Ich vertraue auch meiner Bank Geld an, obwohl das nicht hundertprozentig sicher ist, und ich vertraue auch dem Piloten im Flugzeug.”

Die KI werde nicht nur bei der Nutzung von Daten für Patienten immer besser, so Schnabel. Sie werde auch immer besser im Datenschutz. So könnten Daten mit modernen Methoden anonymisiert und pseudonymisiert werden, sodass sie für die Forschung nutzbar sind, aber aus ihnen nicht wieder auf ein Individuum zurückgeschlossen werden kann. Auch die Ethikerin Alena Buyx plädierte für die Datennutzung bei bestmöglichem Datenschutz. Und für Karl-Walter Jauch, den ehemaligen Ärztlichen Direktor des Klinikums Großhadern, folgte aus all dem: “KI und Digitalisierung sind mehr als nur eine Chance für die Erhaltung und Verbesserung des Gesundheitssystems. Sie sind eine Grundvoraussetzung.”

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