Kommentar zu Afrika: (K)ein Grund zum Aufatmen

kommentar zu afrika: (k)ein grund zum aufatmen

Bassirou Diomaye Faye (links) Hand in Hand mit Ousmane Sonko (Aufnahme vom 15. März 2024)

In Senegal hat sich eine Sensation ereignet. Zwei Oppositionspolitiker, die noch wenige Tage vor der Präsidentenwahl im Gefängnis saßen, regieren neuerdings das Land. Der populäre Ousmane Sonko durfte nicht kandidieren. Sein Wegbegleiter Bassirou Diomaye Faye zog für ihn in die Wahl, gewann überwältigend im ersten Wahlgang und ernannte Sonko zum Regierungschef.

Schon dass die Wahl überhaupt stattfand, ist ein Grund zum Aufatmen. Der vorherige Amtsinhaber Macky Sall hatte viel Einfallsreichtum gezeigt, um seinen Einfluss zu behalten, bis hin zu einer Verschiebung der Wahl auf einen Termin nach dem Ende seiner Amtszeit. Vor allem junge Senegalesen waren dagegen auf die Straßen gegangen, Oppositionelle und Demonstranten wurden inhaftiert. Am Ende siegte die Demokratie.

Groß ist jetzt die Hoffnung, dass die beiden zu Vorreitern einer neuen Generation junger afrikanischer Politiker werden könnten. Insbesondere in West- und Zentralafrika halten betagte Präsidenten unverdrossen an der Macht fest, im frankophonen Teil über Jahrzehnte gepäppelt durch die früheren Kolonialherren. Zwar finden sich in diesem Teil des Kontinents auch die vier jüngsten Staatslenker. Doch weder in Burkina Faso noch in Tschad, Mali und Guinea sind sie auf demokratischem Weg an die Macht gelangt.

Insgesamt ist der Generationswechsel auf dem jüngsten Kontinent der Welt noch nicht allzu weit gediehen. Nigerias Bola Tinubu ist 72 Jahre alt, in Südafrika wird der 71 Jahre alte Cyril Ramaphosa vermutlich nach der Wahl Ende Mai im Amt bleiben. Autokraten wie Yoweri Museveni in Uganda sehen die Präsidentschaft als Lebensaufgabe und stellen die Weichen für die nächste Generation – ihrer eigenen Familie.

Wut über die alten politischen Eliten

Derweil wächst die Frustration darüber, dass Afrika immer noch nicht gegenüber den entwickelteren Regionen der Welt aufgeholt hat. Im Gegensatz zu ihren Eltern und Großeltern sind junge Afrikaner heute über Internet und soziale Medien international vernetzt. Anders als ihre Vorfahren lassen sie sich nicht einreden, ihre prekäre wirtschaftliche Lage sei vor allem ein Vermächtnis der Kolonial- oder Apartheidzeit. Sie wollen sich nicht mehr mit Hungerleiderjobs zufriedengeben oder hinnehmen, dass ihre Heimatländer zwar mit Öl, Gas, Kohle und Sonne reich gesegnet sind, sie selbst aber keinen Strom haben. Korruption akzeptieren sie auch nicht mehr als notwendiges Übel.

Wie groß die Wut über die politischen Eliten ist, die nicht nur gemessen am Alter, sondern auch an ihrem Lebensstil, weit vom Großteil der Bevölkerung entfernt sind, zeigt sich im Jubel über den Machtwechsel in Senegal und vorher in den Sahel-Staaten. Faye und Sonko geben sich volksnah, der bei dem Putsch 34 Jahre alte burkinische Übergangspräsident Ibrahim Traoré hat den militärischen Rang eines Hauptmanns.

Den Wahlsieg verdankt die neue Führung in Senegal außerdem ihrem Programm, das sie „Projekt“ nennt. Unter der Überschrift „linker Panafrikanismus“ fügt es sich in eine an Fahrt gewinnende Bewegung, die vom putschgeplagten Sahel bis zum demokratischen Südafrika reicht. Schlagworte sind „Souveränität“ und „Ende der Ausbeutung“ durch korrupte Regierungen und ihre als arrogant empfundenen Verbün­deten, allen voran die früheren Kolonialmächte. Begriffe wie „Antikapitalismus“ und „Antiimperialismus“ sind zu hören mit dem Ziel, „Wohlstand für alle“ zu schaffen. Das ist an sich nicht neu. Neu ist, dass heute andere Partner wie China, Russland, die Vereinigten Arabischen Emirate oder die Türkei parat stehen. Das verschafft den neuen „Panafrikanisten“ eine bessere Verhandlungsposition.

Keine anti-französische Stimmung

Die große Frage ist, wie die neuen Männer in Dakar jetzt agieren. An Selbstbewusstsein mangelt es ihnen jedenfalls nicht. Vorhaben wie die Überprüfung von Verträgen über die Öl- und Gasförderung lassen aufhorchen, ebenso die Abkehr von der von Frankreich gestützten Gemeinschaftswährung. Ob Faye und Sonko einen radikalen Kurswechsel vollziehen, sich vom Westen abwenden und womöglich mit russlandbegeisterten Putschisten paktieren, muss sich zeigen. In Senegal herrscht keine aufgeheizte antifranzösische Stimmung. Zudem hat sich das Land gerade erst als robuste Demokratie erwiesen. Das stimmt vorerst zu­versichtlich.

Anlass zur Sorge gibt eher, dass sich die Geschichte in Afrika so oft wiederholt hat. Die Reihe der Hoffnungsträger ist lang, die beim Amtsantritt bejubelt wurden. Nur wenige widerstanden, wie Nelson Mandela, letztlich den Verlockungen der Macht. Ob das Faye-Sonko-Tandem tatsächlich ein Vorreiter einer neuen Generation junger afrikanischer Demokraten ist, die diese Bezeichnung verdient, wird sich weisen.

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