Ist es denn schon Wochenende? Der Verkehrsminister droht mit Fahrverboten.
Zwischen Bundesregierung und Parlament eskaliert der Streit um die Reform des Klimaschutzgesetzes. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat davor gewarnt, Fahrverbote am Wochenende verhängen zu müssen, wenn die Novelle nicht wie geplant vor Mitte Juli in Kraft tritt. Um die Sektorziele für den Verkehr im Jahr 2024 zu erreichen, müssten 22 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente ad hoc zusätzlich eingespart werden, schreibt Wissing in einem Brief an die Fraktionsvorsitzenden von SPD, Grünen und FDP.
Berechnungen seines Ministeriums zufolge müsste also die Fahrleistung aller Pkw in Deutschland um 15 Prozent sinken, die Fahrleistung aller Lastwagen um 10 Prozent. Dies sei nur durch „restriktive und der Bevölkerung kaum vermittelbare Maßnahmen wie flächendeckende und unbefristete Fahrverbote am Samstag und Sonntag möglich“, heißt es in dem Brief.
Dass gerade ein FDP-Minister eine so einschneidende Maßnahme verhängt, gilt als ausgeschlossen. Für Lkw gilt zwar schon seit Jahrzehnten ein Fahrverbot an Sonntagen, aber eine ähnlich drastische Maßnahme für Pkw hat es bislang nur an vier Sonntagen im Jahr 1973 gegeben – anlässlich der Ölkrise.
Offene Drohung
Wissings Brief ist deshalb als offene Drohung gegenüber dem Koalitionspartner im Parlament zu verstehen, die von der Regierung seit Monaten beschlossene Novelle nicht länger zu blockieren. Darin bleiben die Klimaschutzziele als Ganzes gehalten, auch die Sektoren werden gesondert ausgewiesen. Allerdings werden die einzelnen Sektoren davon befreit, ein Klimaschutzsofortprogramm vorzulegen, wenn sie ihre Ziele nicht erreichen. Die beiden Bereiche Bauen und Verkehr verfehlen ihre Ziele schon seit Jahren, während Deutschland insgesamt seine Klimaziele erreicht.
Für das Bundesverkehrsministerium drängt die Zeit: Am Montag wird der Expertenrat für Klimafragen seinen Prüfbericht zur Berechnung der deutschen Treibhausgasemissionen für das Jahr 2023 veröffentlichen. Schon jetzt ist klar, dass der Verkehrssektor wieder seine Ziele verfehlen wird. Danach hat Wissing drei Monate Zeit, um nach der derzeit geltenden Rechtslage ein Sofortprogramm zusammenzustellen, mit dem sich die Lücke zu den vorgegebenen Zielen schließen lässt.
Wissing unter Druck
Auch von Seiten der Justiz gerät Wissing unter Druck: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat zwei klagenden Umweltverbänden im Dezember 2023 bestätigt, dass die Ampelregierung ihre Verpflichtungen aus dem Klimaschutzgesetz verletzt habe. Die Bundesregierung wurde verurteilt, ein Sofortprogramm zu beschließen, welches die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Jahresemissionsmengen der Sektoren Gebäude und Verkehr für die Jahre 2024 bis 2030 sicherstellt. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig. Bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts soll die Rechtslage in Deutschland geändert sein, so hofft die Bundesregierung.
In einem Interview mit dem Deutschlandfunk ging Wissing am Freitag auf Konfrontationskurs: „Diejenigen, die wie Greenpeace und die Grünen immer sagen, das Klimaschutzgesetz muss so bleiben, wie es ist, mögen jetzt erschrocken sein von den Konsequenzen ihrer Politik, aber man kann sich Realität nicht einfach entziehen. Vor allem Dingen muss man den Bürgerinnen und Bürgern klar sagen, worum es hier geht, und dann müssen die Menschen entscheiden, ob sie das wollen oder nicht.“
Bemerkenswert ist diese ungewöhnliche Drohung auch aus anderen Gründen: Sie offenbart einen tiefen Riss zwischen dem Parlament, insbesondere der Grünen-Fraktion, und der Bundesregierung, die weiter hinter dem Gesetzesentwurf steht. Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne), der im Gesetzgebungsprozess selbst einige Monate Auseinandersetzungen mit Wissing darüber geführt hat, hielt sich am Freitag bedeckt. Es sei jetzt an den Fraktionen, wie es mit dem vom Kabinett beschlossenen Gesetzentwurf weitergehe, hieß es aus seinem Ministerium. Das Bundesumweltministerium von Steffi Lemke (Grüne) verteidigte die geplante Novellierung. „Mit dem neuen Klimaschutzgesetz bekräftigt die Bundesregierung ihre ehrgeizigen Klimaziele“, teilte ein Sprecher mit. Der Blick solle verstärkt auf die zukünftige Entwicklung der Treibhausgasemissionen gerichtet und die Gesamtverantwortung aller Bereiche gestärkt werden – bei weiterhin voller Transparenz der Sektoren.
„Es drohen Milliarden-Strafzahlungen aus Brüssel“
Bei den Grünen im Parlament gibt es hingegen ganz grundsätzliche europarechtliche Bedenken gegen die Reform: „Es gibt auf europäischer Ebene weiterhin Ziele für den Verkehr. Und bei Nicht-Einhaltung des entsprechenden Ziels drohen Milliarden-Strafzahlungen aus Brüssel“, sagte die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katharina Dröge, der F.A.Z. „Deshalb muss in diesem Bereich mehr passieren. Es geht darum, Strafzahlungen zu vermeiden.“ Auf der anderen Seite machen die Umweltverbände Druck: „SPD und Grüne dürfen jetzt nicht zulassen, dass sich Minister Wissing aus seiner Verantwortung stiehlt und müssen die Abschwächung des Klimaschutzgesetzes jetzt verhindern“, sagte der BUND-Verkehrsexperte, Jens Hilgenberg.
Der Präsident des Umweltbundesamtes, Dirk Messner, widersprach der Notwendigkeit von Fahrverboten und warb stattdessen für ein Tempolimit. Messners Rechnung lautet, wenn man kurzfristig ein Tempolimit von 120 auf Autobahnen und 80 außerorts einführe, könnten bis 2030 in Summe rund 38 Millionen Tonnen Treibhausgase eingespart werden – rund 20 Prozent der bestehenden Lücke. Er plädierte abermals für einen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und der Elektromobilität. Außerdem müsste die Kfz-Besteuerung reformiert und „klimaschädliche Subventionen“ abgebaut werden. Darunter zählt der Präsident des Umweltbundesamtes auch die Steuererleichterung für die private Nutzung von Dienstwagen.
Würde das neue Klimaschutzgesetz bald in Kraft treten, würde die gesetzliche Grundlage für die Verabschiedung von Sofortprogrammen rückwirkend wegfallen. Die gerichtlichen Auseinandersetzungen wären damit jedoch nicht beendet. Vielmehr verspüren Anwälte Rückenwind durch das Klimaurteil, das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte diese Woche verkündet hatte. In dem Urteil hat der Gerichtshof Anforderungen an die Staaten für ein menschenrechtsschützendes Gesamtkonzept zum Klimaschutz formuliert. „Wenn das Klimaschutzgesetz abgeschwächt wird, weil man Probleme mit der Zielerreichung hat, dann wird es Klagen geben“, sagte die Hamburger Rechtsanwältin Roda Verheyen, die mehrere Klimakläger vertritt, der F.A.Z.
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