Das Klimaschutzgesetz sollte dafür sorgen, dass Deutschland ernsten Klimaschutz betreibt. Jetzt soll es geändert werden. Die Ampel verschiebt damit den Klimaschutz.
Mit der Änderung des Klimaschutzgesetzes würde sich die Ampelregierung für diese Legislaturperiode von ihrer Klimaschutzverantwortung befreien.
Wenn die Regierung es nicht schafft, sich an ein Gesetz zu halten, dann kann sie es ja immer noch ändern. Diese fatale Lehre könnte man zumindest aus den jüngsten Verhandlungen zum Klimaschutzgesetz ziehen.
Dreimal in Folge hat der Verkehrssektor seine Klimaziele gerissen. Ziele, die im Klimaschutzgesetz verankert sind. Werden sie verfehlt, dann muss die Regierung so schnell wie möglich mit Sofortprogrammen nachsteuern. Doch das, was das Verkehrsministerium in den vergangenen Jahren an Maßnahmen vorgeschlagen hat, beurteilten Fachleute immer wieder vernichtend: zuletzt als “schon im Ansatz ohne hinreichenden Anspruch”. In diesem Jahr versuchte es Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) gar nicht erst mit dem nächsten Sofortprogramm – er drängte stattdessen darauf, das Klimaschutzgesetz zu ändern.
Wahrscheinlich mit Erfolg. Kurz sah es zwar danach aus, als ob die Abstimmung noch verzögert werden könnte. Doch das Bundesverfassungsgericht hat den entsprechenden Eilantrag des CDU-Abgeordneten Thomas Heilmann abgewiesen. Nun soll am Freitagvormittag im Bundestag über die Gesetzesänderung abgestimmt werden. Diese hat seit Monaten für große Kritik gesorgt. Die Befürchtung vieler: Die Regierung zieht sich beim Klimaschutz aus der Verantwortung. Die Bundesregierung selbst behauptet, es handele sich um eine Verbesserung. Was ist dran? Tatsächlich könnte die Gesetzesänderung ein fataler Rückschritt für den Klimaschutz sein. Warum Fachleute so besorgt sind.
Keine verbindlichen Sektorziele mehr: Verfehlt der Verkehr sein Ziel, kann die Industrie aushelfen
Vor allem ein Punkt wird von Forschenden und Zivilgesellschaft heftig kritisiert: “Die Aufhebung der Sektorziele beim Klimaschutzgesetz ist ein großer Fehler”, schreibt die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaft. Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, spricht von einem “Antiklimaschutzgesetz”, die Änderungen würden einzig dazu dienen, “die Bundesregierung und insbesondere Porsche-Minister Volker Wissing beim Klimaschutz aus der Verantwortung zu nehmen”.
Dabei geht es um eine Änderung, die zwar technisch klingt, aber eine enorme Auswirkung haben könnte. Die Klimaziele bleiben in der überarbeiteten Fassung des Klimaschutzgesetzes zwar grundsätzlich dieselben: Deutschland soll seine Emissionen bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 senken, bis 2040 sollen es 88 Prozent sein. Und 2050 soll Deutschland schließlich komplett klimaneutral sein. Was sich allerdings geändert hat, ist der Kontrollmechanismus.
Bislang gab es für die Sektoren Energiewirtschaft, Industrie, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft sowie Abfallwirtschaft und Sonstige einzelne Klimaziele. Künftig soll nur noch anhand von einer übergreifenden Rechnung geprüft werden, ob die Regierung das Ziel insgesamt erreicht.
Genau diese Sektorziele waren der Grund, warum die FDP so sehr darauf gedrängt hat, das Klimaschutzgesetz zu ändern. Immerhin hatte der Verkehr bereits im dritten Jahr in Folge seine Ziele verfehlt – und anscheinend fühlte sich Verkehrsminister Wissing durch das Klimaschutzgesetz zunehmend unter Druck gesetzt.
Man könnte sagen, insofern haben die Sektorziele zumindest in Teilen ihren Zweck erfüllt. Sie sollten sicherstellen, dass in allen Bereichen Klimaschutz betrieben wird und nicht einzelne Bereiche, zum Beispiel eben der Verkehr, die dringend notwendige Transformation verschlafen. Insbesondere, weil es manchmal sehr langfristige Planung braucht: E-Autos brauchen eine gut geplante Ladeinfrastruktur, die mit ausreichend erneuerbarem Strom versorgt wird. Eine Heizung, die neu eingebaut wird, wird für die folgenden Jahrzehnte nicht ausgetauscht. Aber 2045 soll Deutschland ja bereits klimaneutral sein – sprich: Verbrennerautos und Gasheizungen dürfte es dann eigentlich gar nicht mehr geben. Je länger man also neue Verbrennermotoren erlaubt, desto wahrscheinlicher wird es, dass hinterher wirklich nur ein Fahrverbot – dessen Androhung von Verkehrsminister Wissing wohl nur ein politisches Manöver war – dafür sorgen kann, dass die Klimaziele eingehalten werden.
Gleichzeitig beweist Wissings Handeln aber: Auch das Klimaschutzgesetz in seiner jetzigen Form lässt sich von einer Regierung ohne größere Probleme aushebeln, wenn diese keinen Klimaschutz betreiben will. Zwar muss das Verkehrsministerium in jedem Jahr, in dem es seine Ziele verfehlt, ein Sofortprogramm vorlegen. Doch obwohl der Expertenrat der Bundesregierung diese Programme als völlig unzulänglich beurteilte, gab es bislang keine ernsthaften Konsequenzen. Zumindest bietet das Klimaschutzgesetz einen rechtlichen Hebel: Die Deutsche Umwelthilfe hat die Bundesregierung auf dieser Grundlage verklagt – das Ergebnis ist noch offen.
Mit der Abschaffung der verbindlichen Sektorziele fehlt also ein eigentlich wichtiger Mechanismus im Klimaschutzgesetz. Auch wenn die Parteien betonen, dass die Sektorziele bestehen bleiben und lediglich in der Evaluation nicht mehr einbezogen werden.
Sollte der Verkehr weiterhin keinen Klimaschutz betreiben, könnte das aber auch teuer werden: denn durch die Klimapolitik der EU ist Deutschland zu bestimmten Einsparungen gezwungen. Unter der Effort Sharing Regulation (ESR) gelten für die Bereiche Klimaziele bis 2030, die im europäischen Emissionshandel nicht berücksichtigt werden. Im Wesentlichen betrifft das die beiden deutschen Problemsektoren Verkehr und Gebäude. Erfüllt Deutschland diese Ziele nicht, drohen hohe Strafzahlungen.
Natürlich gibt es im bestehenden Klimaschutzgesetz auch Stellen, die aus Sicht des Klimaschutzes verbesserungswürdig sind. Dazu zählt, dass die Beurteilung danach ausgerichtet ist, wie viele Emissionen im Vorjahr verursacht wurden. Das hängt aber nicht nur davon ab, wie gut die Regierung das Klima schützt – sondern zum Beispiel auch von der wirtschaftlichen Lage und vom Wetter.
So wurden die Klimaziele im Coronajahr 2021 vor allem deshalb erreicht, weil das Leben und die Wirtschaft durch die Pandemie ein Stück weit stillstanden. Und auch 2023 hatten die schlechte wirtschaftliche Lage und der milde Winter einen großen Anteil daran, dass die Klimaziele nicht verfehlt wurden. Gut für die Emissionsbilanz – aber erst mal kein Hinweis darauf, dass es sich dabei um eine nachhaltige Transformation handelt.
Das soll sich nun ändern. Statt auf die Emissionsdaten aus dem vergangenen Jahr soll sich die Überprüfung im Klimaschutzgesetz nun auf Prognosedaten stützen. Ob die Klimaziele erreicht werden, hängt dann also davon ab, ob diese Vorhersagen zu dem Schluss kommen, dass die geplanten Klimaschutzmaßnahmen in den kommenden Jahren reichen.
“Grundsätzlich ist es sinnvoll, den Kontrollmechanismus nicht nur am letzten Jahr festzumachen, sondern in die Zukunft zu schauen”, sagt die Juristin Lea Nesselhauf von Agora Energiewende, die die aktuellen Projektionsdaten des Umweltbundesamtes gerade erst mit Kolleginnen und Kollegen analysiert hat. Kurzfristige Schwankungen der Emissionen, etwa während der Coronapandemie, spielen dann nicht mehr so eine große Rolle wie bisher. Und Maßnahmen, die nicht sofort wirken, sondern einige Zeit brauchen, werden so besser berücksichtigt – etwa Investitionen in Infrastruktur und öffentliche Verkehrsmittel oder steigende CO₂-Preise. Die Änderung könnte also dafür sorgen, dass die Bundesregierung beim Klimaschutz künftig langfristiger denkt.
“Solche Projektionsdaten sind aber auch mit Unsicherheiten belastet”, sagt Nesselhauf. So wären in die Berechnung des aktuellen Berichtes etwa die Annahmen eingeflossen, dass energieintensive Branchen auch in den nächsten Jahren wenig produzieren, die wirtschaftliche Erholung nur langsam vorankommt und wenig geheizt wird, weil die Winter mild sind. Sollte es anders kommen, dann könnten auch die Emissionen höher ausfallen, als es die Prognose vorhergesagt hat. “Dementsprechend greift eine Nachsteuerungspflicht, die nur von einer projizierten Einhaltung der Gesamtemissionen 2030 abhängt, zu kurz”, sagt Nesselhauf. “Es könnte aber sinnvoll sein, strukturelle Emissionsminderungen von kurz- und mittelfristigen Effekten zu trennen und mehrere Szenarien in die Beurteilung einfließen zu lassen.”
Hinzu kommt, dass die Prognosen das Gesetz anfällig für politische Einflussnahme machen könnten. Denn hinter den Annahmen, die in die Berechnung einfließen, stecken teils wichtige politische Abwägungen. Und: In Zukunft soll nicht mehr das Umweltbundesamt, sondern ein von der Regierung eingesetztes Gremium die Prognosen erstellen.
Die Ziele für 2040 werden im Gesetz verankert – greifen aber zu spät
Langfristiger Klimaschutz ist auch das Ziel einer weiteren Änderung des Klimaschutzgesetzes – denn nun kommt das Ziel für 2040 verbindlich im Gesetz vor. Gerade die Grünen bezeichnen das als Erfolg für den Klimaschutz. Und es stimmt: Es ist dringend notwendig, schon jetzt auch darauf zu schauen, was nach 2030 nötig ist.
Das Ziel, die Emissionen bis 2040 um 88 Prozent zu reduzieren, gab es aber auch schon vor der Änderung. Doch nun soll die Planung bis 2040 einfließen, wenn es darum geht, ob die Klimaziele in einem Jahr erreicht werden oder nicht. Allerdings: Noch bis 2028 sollen nur die Prognosen bis 2030 herangezogen werden. So gut es also ist, Ziele für 2040 einzubeziehen: Eine wirklich langfristige denkende Klimapolitik sieht anders aus.
Zumindest jede neu gewählte Bundesregierung soll aber auch einen Plan dafür vorlegen, wie sie die Ziele für 2030 und 2040 erreichen will. Dieses Maßnahmenpaket zu Beginn einer Legislaturperiode ist sicherlich eine sinnvolle Änderung für den Klimaschutz.
Um die volle Tragweite der Änderungen zu verstehen, ist auch die Historie des Klimaschutzgesetzes wichtig. Denn ohne das Bundesverfassungsgericht hätte es das Gesetz in seiner jetzigen Form so wohl nie gegeben. Im April 2021 hat das Gericht das vorherige Gesetz in einem historischen Urteil als teilweise verfassungswidrig eingestuft: Kommende Generationen seien durch das alte Gesetz über die Maße belastet. Zu diesem Zeitpunkt hatte Deutschland international längst zugesagt, bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral zu sein. Und je länger man mit dem Klimaschutz wartet, desto einschneidendere Maßnahmen sind nötig, um dieses Ziel noch zu erreichen. Die Regierung dürfe die Verantwortung für den Klimaschutz nicht weiter in die Zukunft verschieben, mahnte das Bundesverfassungsgericht an.
Kurz darauf hat die damalige Bundesregierung aus CDU und SPD das Klimaschutzgesetz überarbeitet. Das neue Gesetz war damals eine kleine Sensation: denn es verankerte die Verpflichtung zu echtem Klimaschutz im Gesetz. Jährlich sollten die Klimaschutzbemühungen evaluiert werden – und wo immer dabei Lücken entstünden, müsse die jeweilige Regierung nachbessern. “Die alte Regelung wurde in der Wissenschaft sehr begrüßt, weil es als erstes Klimaschutzgesetz weltweit die Verantwortlichkeiten so klar zugewiesen hat”, sagt der Klimawissenschaftler Niklas Höhne vom NewClimate Institute.
Doch mit dem neuen Entwurf könnten diese wichtigen Errungenschaften für den Klimaschutz verloren gehen – und somit die Verantwortung für den Klimaschutz erneut an kommende Generationen abgeschoben würde. “Wir kommen zu dem Schluss, dass diese Änderungen verfassungswidrig sind”, sagt die Anwältin Franziska Heß als Sprecherin für den BUND.
Die jetzige Regierung befreit sich von der Verantwortung für neue Klimaschutzmaßnahmen
Die aktuelle Bundesregierung zieht sich mit den Änderungen am Klimaschutzgesetz geschickt aus der Verantwortung. Zwar muss sie nach dem neuen Gesetz noch einige Regelungen für die EU-Klimapolitik beschließen und von nun an jährlich einen Klimaschutzbericht abliefern. Konkrete Klimaschutzmaßnahmen sind laut dem neuen Gesetz aber erst einmal nicht nötig. Nicht nur Verkehrsminister Wissing muss also durch die sektorübergreifende Rechnung im Verkehr nun keine großen Veränderungen mehr durchbringen. Auch die anderen Bereiche könnten sich – wenn sie wollen – zurücklehnen.
Das liegt daran, dass ein Nachsteuern nach der neuen Regelung erst dann zwingend notwendig wird, wenn die Klimaziele zwei Jahre in Folge verfehlt werden. Gerade eben erst hat aber das Umweltbundesamt bestätigt, dass die Ziele für 2023 erfüllt wurden – zumindest nach der neuen, sektorübergreifenden Regelung. Das heißt: Ein Nachsteuern ist frühestens in zwei Jahren nötig – nur bis dahin hat die Bundesregierung längst gewechselt.
Verantwortung für den Klimaschutz trägt also die kommende Regierung. Ob man darin vertrauen kann? Dass ein Gesetz allein nicht für Klimaschutz sorgt, dafür hat die aktuelle Bundesregierung nun einen Präzedenzfall geschaffen.
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