Im März 2022 gab es in der Türkei Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland Murat Cetinmuhurdar/Presidential Press Office/via REUTERS
Mehr als zwei Jahre dauert der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine nun schon. Jetzt enthüllt ein Dokument, dass Kiew und Moskau bereits zwei Monate nach Kriegsbeginn auf dem Weg waren, sich auf ein Ende des Krieges zu einigen.
Wenige Wochen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine sollen sich Kiew und Moskau weitgehend über die Bedingungen für ein Ende des Krieges einig gewesen sein. Nur wenige – wenn auch teilweise zentrale – Punkte seien noch offen gewesen. Das geht aus einem Dokument hervor, das der „ Welt am Sonntag “ vorliegt.
Demnach habe Russland versucht, Kiew durch Verhandlungen zur Kapitulation zu bewegen. Als die Ukraine auf dem Schlachtfeld Widerstand geleistet habe, sei Moskau sogar von seinen Maximalpositionen abgerückt. Erste Verhandlungen sollen Ende März 2022 in Istanbul unter Vermittlung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan stattgefunden haben.
Vertragsentwurf aus dem April 2022: Ukraine verpflichtete sich zu „permanenter Neutralität“
Darin habe sich die Ukraine zu „permanenter Neutralität“ verpflichtet und hätte damit unter anderem einen Nato-Beitritt ausgeschlossen. Die Ukraine habe sich zudem verpflichtet, keine Atomwaffen „zu erhalten, produzieren oder zu erwerben“, keine ausländischen Waffen und Truppen ins Land zu lassen und ihre militärische Infrastruktur keinem anderen Land zur Verfügung zu stellen. Auch auf Militärübungen mit ausländischer Beteiligung oder die Teilnahme an jeglichen militärischen Auseinandersetzungen hätte Kiew verzichtet, wie die „Welt am Sonntag“ unter Bezugnahme auf das Dokument berichtet.
Im Gegenzug habe die Ukraine die Zusicherung Russlands erhalten, nicht erneut angegriffen zu werden. Russland habe sich bereit erklärt, gemeinsam mit den anderen ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates – USA, Großbritannien, Frankreich und China – der Ukraine umfassende Sicherheitsgarantien zu geben. Nach den Verhandlungen in Istanbul hätten die Delegationen dann den Vertragsentwurf vom 15. April aufgesetzt.
Kiew soll Russland Kontrolle über die Krim zugestanden haben
Darin sollte die Krim von den Sicherheitsgarantien ausgenommen werden. Damit hätte Kiew Russland die Kontrolle über die annektierte Halbinsel zugestanden. Offen sei geblieben, welcher Teil der Ostukraine von den Garantien ausgenommen werden solle. Die entsprechenden Stellen seien im Dokument rot markiert worden. Kiew habe sich bereit erklärt, Teile von Donezk und Luhansk auszunehmen, die bereits vor dem Krieg von Russland kontrolliert wurden. Russland habe aber darauf bestanden, dass die Staatsoberhäupter die Grenzen persönlich ziehen. Dies habe Kiew abgelehnt.
Auch über die künftige Größe der ukrainischen Armee habe es Uneinigkeit gegeben. Während Russland forderte, dass Kiew die Armee auf 85.000 Soldaten und die Zahl der Panzer auf 342 reduziert, habe die Ukraine für 250.000 Soldaten und 800 Panzer plädiert. Und auch bei der weiteren militärischen Ausrüstung – unter anderem der ukrainischen Luftwaffe – habe es Differenzen gegeben.
Über die unklaren Punkte sollten sich die Präsidenten Putin und Selenskyj dann in einem persönlichen Treffen einig werden. Zu dem kam es jedoch nie.
Nach weiteren russischen Forderungen scheiterten die Verhandlungen
Denn: Nach dem Treffen in Istanbul habe Moskau weitere Forderungen gestellt. Demnach sollte Russisch zur zweiten Amtssprache in der Ukraine werden, die gegenseitigen Sanktionen aufgehoben und die Klagen vor internationalen Gerichten fallen gelassen werden. Außerdem hätte die Ukraine „Faschismus, Nazismus und aggressiven Nationalismus“ per Gesetz verbieten sollen. Diesen Forderungen habe Kiew nicht zugestimmt.
„Das war der beste Deal, den wir hätten haben können“, sagte ein Mitglied der ukrainischen Delegation der „Welt am Sonntag“ zum Scheitern der Verhandlungen. Aus dem Dokument gehe hervor, dass die Unterhändler damals davon ausgegangen seien, dass Putin und Selenskyj das Dokument noch im April 2022 unterzeichnen würden.
Ein Grund für das Scheitern des Deals könnte auch der Besuch des damaligen britischen Premierministers Boris Johnson in der Ukraine gewesen sein, so der ukrainische Verhandlungsführer David Arakhamia. Damals habe Johnson Selenskyj dazu aufgefordert, „nichts“ mit Putin zu unterzeichnen und die Kämpfe fortzusetzen, sagte Arakhamia in einem TV-Interview 2023. ohnson wies die Vorwürfe später zurück, dem Bericht zufolge liegt der Verdacht nahe, dass der Vorschlag, Sicherheitsgarantien in Absprache mit Russland zu geben, zu diesem Zeitpunkt bereits gescheitert war.
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