Ein Schritt des CRISPR/Cas-Verfahrens ist in einem Labor am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin
Taube hören, Lahme gehen, Hungernde werden satt. Die jüngsten Erfolgsmeldungen aus der Genforschung erinnern an Bibelverse. Bloß dass es nicht um eine Glaubenssache geht, die sich auf das Jenseits richtet, sondern um Wissenschaft. Und um das Geld, das vor allem Pharmakonzerne und Saatguthersteller damit im Diesseits verdienen werden.
Die Haltung der Deutschen dazu ist merkwürdig gespalten. Weit verbreitet ist eine diffuse Skepsis gegenüber der Gentechnik. Lassen sich Krankheiten damit besiegen, ist sie gleichwohl willkommen. Vom Acker und vom Teller würde die Mehrheit sie dagegen am liebsten fernhalten. Und was die wirtschaftliche Bedeutung angeht, stehen hierzulande viele immer noch auf dem Standpunkt, die Gentechnik sei eine Sache für Hasardeure.
Die Zeit für solche Zögerlichkeiten ist vorbei. Der Börsencrash am berüchtigten Neuen Markt, der viele Anleger viel Geld gekostet hat, ist bald ein Vierteljahrhundert her. Was damals übertriebene Erwartungen waren, ist heute fester Bestandteil vieler profitabler Geschäfte. In der Pharmabranche kommt mehr als die Hälfte aller Neuentwicklungen dank gentechnischer Verfahren zustande. Es spricht Bände, dass Novartis nun fast 3 Milliarden Euro für den kleinen Münchner Entwickler Morphosys bietet.
Auch für Patienten mit seltenen Erbkrankheiten gibt es Anlass zur Hoffnung. Therapien zur Behandlung einer tückischen Muskellähmung und einer schweren Blutkrankheit wurden schon zugelassen, die Heilung angeborener Schwerhörigkeit scheint greifbar nah.
Für diese neuen Therapien verlangen die Hersteller zum Teil allerdings Beträge von mehr als einer Million Euro je Patient. Das wird sich in einem solidarischen Gesundheitssystem nur rechtfertigen lassen, wenn die Patienten tatsächlich auf Dauer geheilt werden. Noch bestehen dafür keine verlässlichen Bezahlmodelle, auch weil es an der Datenerfassung mangelt, um Behandlungserfolge auf die dafür nötige Weise zu dokumentieren.
Die Zeit des Zögerns ist vorbei
Ganz anders und doch vergleichbar ist die Lage in der sogenannten grünen Gentechnik. Das üblicherweise nicht zu Fortschrittsbegeisterung neigende EU-Parlament hat gerade dafür gestimmt, den Einsatz neuer Züchtungsmethoden zu erleichtern. Gemeint ist vor allem das, was die als „Gen-Schere“ bekannt gewordene CRISPR/Cas-Technik möglich macht. Mit ihr lassen sich gezielt Bestandteile des Erbguts aus einer Zelle entfernen. Der durchtrennte DNA-Strang wächst wieder zusammen, entweder mit oder ohne Einbau eines Stücks fremden Erbguts.
Die Variante ohne fremdes Erbgut soll nun in den EU-Staaten einfacher genutzt werden können. Vor Monster-Mais und Grusel-Tomaten muss sich deshalb niemand fürchten. Die neue Technik wirkt wie ein Katalysator. Derselbe Effekt, dass im Erbgut einer Pflanze Abweichungen vom Standard auftauchen, ist seit jeher die Basis der Saatgutzüchtung. Züchter wählen diejenigen Abweichler aus, die robust oder ertragreich sind.
Was die Gen-Schere jetzt schon kann
Die Natur produziert solche Abweichungen zufällig. Mit der Gen-Schere lassen sie sich gezielt herbeiführen. Nachher ist nicht zu unterscheiden, auf welche Weise sie zustande gekommen sind.
Es ist gut, dass diese Technik nun leichter zu nutzen sein soll. Die Landwirtschaft wird dadurch in einigen Jahren nach aller Voraussicht mit weniger Pestiziden und Düngemitteln auskommen, manche Pflanzen werden Trockenheit oder Hitze besser ertragen als heute.
Ungeklärt ist indes auch hier die Frage, wer wie viel für den Fortschritt bezahlen soll. Die EU-Abgeordneten schlagen vor, dass die von CRISPR-/Cas-Pflanzen geernteten Produkte gesondert gekennzeichnet werden müssen. Die Züchter sollen für die neuen Sorten aber keine Patente anmelden dürfen, sondern mit dem herkömmlichen Sortenschutz auskommen. Darin liegt ein Widerspruch. Einleuchtend wäre, Kennzeichnungspflicht und Patentschutz zu kombinieren – oder Kennzeichnungsfreiheit und Patentfreiheit, weil es sich demnächst eben um die neue Normalität auf dem Acker handeln wird und nicht mehr um einen Sonderfall. Für eins von beiden sollte Europa sich entscheiden.
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