Pharmakonzern : So verändert die Diätspritze Mounjaro eine Kleinstadt in Rheinhessen

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Der US-Konzern Eli Lilly investiert 2,3 Milliarden in ein neues Werk im kleinen Alzey. Zum Spatenstich schaut Kanzler Olaf Scholz vorbei – und die Region entwickelt sich zum Hotspot für die Pharmabranche.

In der kleinen Stadt Alzey herrscht an diesem Montag große Aufregung. Der Kanzler kommt, und er kommt nicht allein. Olaf Scholz (SPD) trifft mit dem Parteikollegen und Gesundheitsminister Karl Lauterbach zusammen, auch Landes- und Lokalpolitik sind vertreten.

Ebenfalls angereist ist David Ricks, Chef des US-Pharmakonzerns Eli Lilly. Das Unternehmen zählt mit seinem Diätmittel Mounjaro zu den derzeit erfolgreichsten Medikamentenherstellern weltweit. Und Ricks hat Alzey ausgewählt, um in der rheinhessischen Provinz für rund 2,3 Milliarden Dollar ein neues Werk zu errichten.

Kanzler Scholz sieht in der Ansiedlung von Eli Lilly „ein erfreuliches Signal für die Attraktivität des Pharma- und Industriestandorts Deutschland“, wie er in seiner Rede sagt. Es gehe um eine, wenn nicht gar die größte Einzelinvestition in den Pharmastandort Deutschland seit der Wiedervereinigung, so Scholz. Und verspricht: „Was immer wir als Bund tun können, um den Pharmastandort Deutschland noch weiter zu stärken, das werden wir tun.“

„Deutschland wird das Land sein, in dem in Europa die meisten klinischen Studien in der Pharma- und Medizinproduktebranche durchgeführt werden“, sagte Gesundheitsminister Lauterbach. Die Ansage ist weniger ambitioniert, als sie zunächst klingt: Aktuell liegt Deutschland in diesem Bereich laut Verband der forschenden Arzneimittelunternehmen (VFA) auf Platz vier.

Spanien liegt als einziges europäisches Land mit wenig Vorsprung vor Deutschland, die USA und China werden aber wohl auch in Zukunft die unangefochtenen Lenker bezüglich klinische Studien bleiben.

Eli Lilly schätzt laut dem Vorstandsvorsitzenden Ricks „die Unterstützung der deutschen Behörden in diesem Projekt und das Interesse der hiesigen Politik daran, verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen“.

Im neuen Werk in Alzey soll unter anderem die Abnehmspritze Mounjaro gefertigt werden. Ursprünglich als Diabetesmittel entwickelt, sorgt es auch dafür, dass Patienten Körpergewicht verlieren. Seit Ende vergangenen Jahres ist es in Europa deshalb auch als Abnehmmittel zugelassen.

1000 neue Arbeitskräfte bei Eli Lilly

In Zukunft dürfte das Mittel Eli Lillys wichtigste Einnahmequelle werden: Schon 2023 war Mounjaro mit 5,16 Milliarden Dollar Umsatz der zweitgrößte Umsatzbringer für Eli Lilly. Analysten schätzen, dass der Markt für Abnehmmittel bis 2030 auf 50 Milliarden Dollar anwachsen könnte. Davon dürfte in Zukunft auch der 20.000-Einwohner-Ort Alzey profitieren.

„Eli Lilly will bis zu 1000 Arbeitsplätze schaffen, da muss man nur mal überlegen, was das für die Region bedeutet: für den Einzelhandel, für die Winzer, für die Bauwirtschaft“, schwärmt Daniela Schmitt, Wirtschaftsministerin von Rheinland-Pfalz, selbst gebürtige Alzeyerin. Und ist überzeugt: „Es wird die regionale Wirtschaft in jedem Fall ankurbeln.“

Das glaubt auch Alzeys Bürgermeister Steffen Jung: Er hofft durch die Ansiedlung des Pharmaunternehmens auf zusätzliche Gewerbesteuereinnahmen im einstelligen Millionenbereich. Bisher nimmt die Stadt „in guten Jahren“ zwölf Millionen Euro Gewerbesteuern ein.

Die Pharmabranche ist in der Region wichtiger Teil der Wirtschaft. Das sieht auch Steffen Jung: „Wenn man die Entwicklung wie in Mainz sieht, dann ist man ein Stück weit neidisch – derzeit müssen Kommunen darum kämpfen, einen ausgeglichenen Haushalt hinzubekommen.“

Die Stadt Mainz hatte während der Coronapandemie vom Aufstieg Biontechs und dessen Covidimpfstoff profitiert – 2021 und 2022 hatte Mainz durch das Biotech-Unternehmen mehr als eine Milliarde Euro an Gewerbesteuern eingenommen. Inzwischen hat in der Stadt Eli-Lilly-Konkurrenz Novo Nordisk seine Deutschlandzentrale aufgebaut.

Weiter westlich sorgt in der Region mit Boehringer Ingelheim zudem ein weiteres Pharmaunternehmen für Tausende Arbeitsplätze. Und etwas weiter auf der anderen Rheinseite ist in Darmstadt der Dax-Konzern Merck ansässig, ebenfalls aus der Pharmabranche.

Wirtschaftliche Entwicklungen in Alzey

Alzeys Bürgermeister hofft durch die Standortentwicklung auf weiteren wirtschaftlichen Anschub von zugezogenen Bürgern. Jung spekuliert etwa auf Mehreinnahmen bei der Einkommensteuer sowie höhere Umsätze der Innenstadtgeschäfte.

Er plant angesichts der US-Investition vor Ort zusätzlichen Wohnraum und will auch die Bildungsinfrastruktur erweitern, damit es genug Kita- und Schulplätze für potenzielle neue Alzeyer Bürger und ihre Familien gibt.

Das ist der Punkt, der Alzeys Einwohnern mitunter Sorgen bereitet: „Die Kindergärten sind schon voll, die Grundschulen haben massive Probleme, alle unterzubekommen, es gibt schon Notbesetzungen, und wir haben viele marode Schulen“, sagt einer, der im Ort lebt und gut informiert ist. „Wir sind da nicht so gut aufgestellt.“

Nicht einmal ein Jahr ist es her, dass Eli Lilly Interesse am Standort bekundet hat, der „heimlichen Hauptstadt Rheinhessens“, wie der Slogan der Stadt heißt. Die Ansiedlung wurde über die Außenwirtschaftsagentur des Bundes, die Germany Trade and Invest (GTAI), organisiert. Grundsätzlich seien mehrere Flächen in Süddeutschland infrage gekommen, eine davon auch in Südhessen, berichten mit der Angelegenheit vertraute Personen.

Eli Lilly erhofft sich am Standort Synergieeffekte durch die „günstige Lage zwischen der deutschen Zentrale in Bad Homburg und dem französischen Produktionsstandort in Fegersheim“, heißt es vom Unternehmen. In den Taunus sind es von Alzey aus gut 85 Kilometer, nach Frankreich knapp 180. Die Region habe sich dynamisch entwickelt, ziehe Fachkräfte an und ermögliche Zugang zu Spezialisten. Außerdem seien Stadt und Land sehr offen für eine „langfristige und partnerschaftliche Zusammenarbeit“.

Fabrik soll in drei Jahren fertig sein

Bürgermeister Jung fasst den Standortvorteil so zusammen: „Für Eli Lilly war von Anfang an einer der wesentlichen Faktoren, dass sie ab 2027 produzieren können, das brauchen sie unbedingt.“

Während Kanzler Scholz, Lauterbach und die übrige Prominenz sich zum symbolischen Spatenstich an einem kleinen Erdhügel ablichten lassen, werden auf dem Rest des Geländes schon ganz andere Mengen Erde gewebt. Bagger graben die Erde um, bereiten alles vor für die Hallen von Eli Lilly, die in drei Jahren fertiggestellt sein sollen.

Seit 2017 bereitet die Gemeinde eine Erweiterung des Industriegebiets vor, die Pläne stießen zwischenzeitlich auf Widerstand in der Bevölkerung. Mittlerweile sind mit der Pharmaansiedlung auch ehemalige Kritiker zufrieden: Die Interessengemeinschaft Holzweg, die ehemals etwa über entstehenden Verkehrslärm klagte, hofft auf Wohlstand und Entwicklung weit über Alzey hinaus und schreibt sich „die Ansiedlung des Global Players Eli Lilly“ auch als eigenen Erfolg auf die Fahne.

Neben der Hoffnung auf eine große Neuansiedlung sei die Erweiterung des Industriegebiets auch von den Wünschen der schon ansässigen Unternehmen getrieben gewesen, die ihre Flächen erweitern wollen, berichtet einer der Verantwortlichen. In Alzey unterhalten etwa die Lufthansa Lufttechnik und der Markenimporteur Importhaus Wilms größere Standorte.

Eigentlich wollte die Stadt eine Fläche von 15 Hektar in der Mitte des Industriegebiets für eine Fabrik freihalten, Eli Lilly brauchte das Doppelte – die Stadt lieferte. „Eli Lilly ist ein Marktgigant, ein absolutes Schwergewicht und sogar mehr als die erhoffte Leuchtturmansiedlung“, sagt Jung.

Für ihn ist die Ansiedlung ein Schritt weg von der heimlichen hin zur „echten“ Hauptstadt Rheinhessens. „Das wird dazu führen, dass Alzey anders wahrgenommen wird“, sagt der Bürgermeister.

Erstpublikation: 08.04.2024, 16:37 Uhr

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