Sie versuchten es mit Härte, die Dänen antworteten mit lässiger Klasse. Deutschland verliert das EM-Halbfinale mit gutem Gewissen und hat eine wichtige Lektion gelernt.
Es bleibt das Spiel um Platz 3: Deutschlands Philipp Weber nach dem Spiel gegen Dänemark.
Johannes Golla steigerte sich mit jeder seiner Aktionen. Erst erzwang er in einer der ersten Abwehraktionen mit einem Schubser einen Fehlpass der Dänen. Ballbesitz Deutschland. Als nächstes ließ er Mathias Gidsel, den besten Handballer der Gegenwart, nicht durch und hob ihn stattdessen mit einem Ringergriff in Richtung Publikum. Das reagierte wie bei einem Tor. Vier Minuten später wurde er im Angriff umgeworfen, hielt den Ball aber fest, rappelte sich sofort wieder auf und walzte weiter. Foul, Siebenmeter.
Schließlich war er es, der nach einer Parade von Andreas Wolff einen Konter vollendete. Statt der ersten dänischen Führung lag Deutschland nach einer Viertelstunde mit 9:8 vorne, kurz darauf waren es nach zwei weiteren Balleroberungen von Golla sogar drei Tore Vorsprung. “Das Verteidigen hat mehr Spaß gemacht als das Angreifen”, sagte Golla. Er war so aufgepeitscht, dass er einmal aus Ärger über eine verpasste Einwechslung den deutschen Co-Trainer in den Nacken kniff. Golla führte das Rudel an.
Die Deutschen verloren das Heim-EM-Halbfinale zwar gegen Dänemark 26:29, aber sie nahmen die Dänen in diesem Halbfinale hart ran. Hygge geht anders. Sebastian Heymann übertrieb es einmal, als er sich selbst mit einem Charakter aus dem Videospiel Tekken verwechselte und schon früh seine zweite Zweiminutenstrafe erhielt. Doch die deutsche Härte kam sowohl beim Publikum als auch bei den Dänen gut an. Als sie nach dem Spiel Interviews gaben, waren der Knöchel von Gidsel und das Knie von Mikkel Hansen in Eisbeutel bandagiert. Sie waren aber voller Anerkennung für die ruppige Tour, die sie erhalten hatten. “Wir haben uns 60 Minuten lang auf die Schnauze gehauen”, sagte Deutschlands Christoph Steinert, “das spürt man.”
Spezialisten im Rangeln und Hartsein
Die Deutschen wollten der dänischen Übermacht Spezialkenntnisse im Rangeln und Hartsein entgegensetzen. Das gelang. Die beste Abwehr des Turniers traf auf den besten Angriff und zur Pause gab es einen klaren Sieger. Gegen den Weltmeister führten sie mit 14:12, die Sensation flirrte durch die Kölner Arena. Der deutsche Mittelblock aus Golla und Julian Köster, später auch mit Heymann und Jannik Kohlbacher, blockte, verhinderte und drückte die Wurfquote der dänischen Ausnahmewerfer Gidsel und Simon Pytlick unter fünfzig Prozent. Diese Quote kannten die bis dahin gar nicht. Hätte man Golla und Köster ein Kölsch gebracht, sie hätten die Gläser gegessen. Und vorne trafen alle, endlich lag die ganze Last mal nicht nur in den Händen von Juri Knorr. Den Dänen gaben sie jedenfalls für die Halbzeit etwas zum Nachdenken mit.
Im vergangenen Sommer war er der Kapitän der U21-Weltmeisterschaft, nun betrat er die große Bühne: Renars Uscins, Spieler des Spiels
Doch das Fiese an Spielen gegen Dänemark ist, dass ihr cooler Trainer Nikolaj Jacobsen an seiner Bank entlang blickt und er noch mehr Folterwerkzeuge für den schon leidenden Gegner entdeckt. Über die Dänen muss man nur wissen, dass die eigentliche Sensation Spieler wie Flensburgs Stammtorhüter Kevin Møller oder Berlins Lasse Anderson (Platz 4 in der Bundesliga-Torschützenliste) sind, weil sie es nicht in den EM-Kader geschafft haben. Jacobsen sah also in seinem Werkzeugkoffer nach und entschied sich für Daumenschraube, Kneifzange und das glühende Eisen.
Drei Kniffe kippten das Spiel. Er brachte noch vor der Pause einen neuen Spielmacher, den 37-jährigen Mikkel Hansen. Nicht jeder Trainer erlaubt sich den Luxus, den dreimaligen Welthandballer erst dann zu bringen, wenn es brenzlig wird. Hansen zog das Spiel an sich, an seinen Vorlagen und Laufwegen sah man, warum er ein relevanter Teil der Goat-Debatte im Handball ist. Zudem traf er jeden Siebenmeter.
Für das Tor muss sich Jacobsen vor jedem Spiel zwischen einem Rolls Royce und dem Bugatti entscheiden: Niklas Landin oder Emil Nielsen? Für den deutschen Torhüter Andreas Wolff sind sie das beste Duo, nicht nur der Gegenwart, sondern in der Handball-Geschichte. Nielsen kam nach der Pause, und hielt die ersten drei Bälle, am Ende waren es acht von neunzehn.
Doch was das Spiel wirklich entschied, war eine taktische Maßnahme von Jacobsen. Er griff auf das unpopuläre Überzahlspiel Sieben gegen Sechs zurück. Für die deutsche Abwehr hieß das noch mehr Stress. Ein zweiter Kreisläufer drängelte sich nun zu Golla und Köster und der warf in neun Minuten vier Tore. Nicht einmal verloren die Dänen dabei den Ball, was ja das eigentlich Riskante am Sieben gegen Sechs ist.
“Es zermürbte uns”, sagte Golla. 15 Minuten lang penetrierten die Dänen sie mit einem Mann mehr. Während die ihr Tempo konstant hielten, manchmal über ihren Linksaußen kurz anzogen, wurde aus dem deutschen Abwehrwall der ersten Halbzeit ein aufgeweichter Damm. Die Führung wich in Minute 40 einem erstmaligen Rückstand und dem liefen sie bis zum Schluss hinterher.
Doch davon kann man etwas mitnehmen. Im Turnier griffen die Dänen bisher kaum auf das Sieben gegen Sechs zurück. Nicht nur Golla empfand das als Anerkennung. Heymann warf in der zweiten Halbzeit die dollsten Würfe. Und einer spielte sich in einen Rausch, Renars Uscins, der 21-jährige, der als Ersatz für Kai Häfner im rechten Rückraum auflief, warf fünf Tore und wurde Spieler des Spiels. Das will bei der Dichte an Weltklassespielern, die mit ihm auf dem Feld standen, etwas heißen. Hätte er seine Trefferquote aufrechterhalten, das Spiel wäre auf ein dramatisches Ende zu gerannt. Auch, weil Andreas Wolffs Paraden im Zusammenspiel mit der Abwehr der andere Part der deutschen Kombiversicherung gewesen sind.
Ging geschlagen vom Feld: Juri Knorr
Doch Lob für das deutsche Team gab es zunächst nur vom Gegner. “Weltklasse”, urteilte der geschmeidige Gidsel über die Deutschen. Sie selbst haderten. “Ich bin leer”, sagte Rune Dahmke der ganzen Arena, von einer großen Enttäuschung sprach Uscins. Julian Köster war nur in der Abwehr in Normalform. Vorne durchlebte er einen Fehlerreigen. Und Juri Knorr warf zwar vier Tore, aber ebenso viele Fehlwürfe und betrieb erst für alle sichtbar auf dem Feld und später in der Mixed Zone Selbstkasteiung. Statt vom Spiel seines Lebens zu erzählen, stellte er sich große Fragen. Er bat in der zweiten Halbzeit selbst um eine Pause, aus der er nicht wiederkam. Anschließend warf er sich das vor. “Ich weiß nicht warum, ich muss mehr Verantwortung übernehmen.” Er ist ein gutes Beispiel dafür, dass man im Handball auch zu viel grübeln kann. Er sprach von einer “verpassten, riesengroßen Möglichkeit”, ohne sie erklären zu können.
Bei diesem Fehlersport muss man jede sich bietende Chance nutzen. Etwa die, als kurz vor Schluss die Dänen nochmal in Unterzahl gerieten und ein Siebenmeter den Rückstand entscheidend hätte verkürzen können. Doch den hielt Nielsen. Gegen Dänemark reicht eine gute Abwehrhalbzeit nicht. Sie so lange in Schach gehalten zu haben, honorierte das kölsche Publikum mit stehenden Ovationen. Die Deutschen sorgten lange für die Fehler der anderen, doch die Kraft, die sie dafür aufwenden musste, fehlte ihnen am Schluss, um die eigenen zu vermeiden. Dänemark bleibt der Goldstandard der Gegenwart.
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