Barry Callebaut: Rückzug aus Deutschland: Diese Werksschließung ist nur der Anfang

barry callebaut: rückzug aus deutschland: diese werksschließung ist nur der anfang

Schokolade kommt bald seltener aus Deutschland. Foto: dpadata-portal-copyright=

Der Schokoladenkonzern Barry Callebaut schließt sein Werk in Norderstedt. Hohe Kosten und die Bürokratie vertreiben nun selbst die Unternehmen der Lebensmittelindustrie aus dem Land. Ein Kommentar.

Eine Schokoladenfabrik ist nur im Film ein Schlaraffenland: Barry Callebaut, der weltgrößte Hersteller von Schokolade, kämpft in seinen Werken verbissen um Rendite. Das Unternehmen, dessen Produkte Kunden wie der Milka-Hersteller Mondelez in Süßwaren großer Marken gießen, streicht weltweit jede fünfte Stelle. Die Fabrik in Norderstedt bei Hamburg schließt Barry Callebaut gar ganz. Die Schokolade, die dort bislang entsteht, dürfte bald zum Beispiel aus Belgien nach Deutschland kommen.

Das ist ein Signal: In der deutschen Ernährungsindustrie, bislang so stabil wie kaum ein anderer Wirtschaftszweig, droht eine Rationalisierungswelle. Die Unternehmen der Branche streichen Investitionen in Deutschland. Viele bauen stattdessen im Ausland neue Fertigungsstätten.

Überregulierung droht das Gegenteil dessen zu bewirken, was sich viele Konsumenten wünschen: dass Lebensmittel in ihrer Nähe hergestellt werden. So werden die Transportwege länger. Und die Politik verliert, was sie sich so dringend wünscht: die Kontrolle über die Produktionsbedingungen.

Barry Callebaut ist börsennotiert – und bei den Aktionären gerade nicht gut gelitten: Der Börsenwert des Unternehmens ist innerhalb eines Jahres um ein Drittel geschrumpft.

Konzernchef Peter Feld muss den Kurs stabilisieren – offensichtlich mit allen Mitteln. Barry Callebaut ist deshalb eigentlich ein schlechtes Beispiel für die deutsche Ernährungsindustrie: Rund 90 Prozent der Beschäftigten in dem Wirtschaftszweig arbeiten nach Angaben des Branchenverbands in Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitern.

Wer expandiert, investiert im Ausland

In den meist kleinen und mittelständischen Unternehmen der Branche geschehen Umbrüche vergleichsweise langsam. Was bei Barry Callebaut schnell geht, geschieht mit Verzögerung aber auch anderswo: Wer sparen muss, streicht am ehesten in Deutschland. Wer expandiert, investiert im Ausland.

Zahlen der Bundesvereinigung der deutschen Ernährungsindustrie (BVE) bestätigen die Beobachtung. 43 Prozent der Unternehmen des Wirtschaftszweigs planen nach den Angaben des Verbands, ihre Investitionen in Deutschland zu reduzieren. Nur 10 Prozent der Firmen wollen hierzulande mehr ausgeben. 35 Prozent wollen dagegen ihre Investitionen im Ausland steigern. Die Branche ist auf dem Rückzug aus Deutschland.

Dabei spielen die Energiepreise ein Rolle: Sie sind in Deutschland noch immer rund doppelt so hoch wie einige Monate vor dem russischen Angriff auf die Ukraine. Es kommt aber viel mehr dazu: „Im europäischen Vergleich haben wir die höchsten Steuern und Abgaben, die höchsten Löhne und leider auch eine marode Infrastruktur“, schimpfte Katjes-Mitinhaber Bastian Fassin vor einigen Tagen. Die Bundesregierung und die EU müssten sich um die „existenziellen Herausforderungen“ kümmern, statt den Unternehmen „immer noch mehr Bürokratie aufzuhalsen“.

Die Branche braucht eine Regulierungspause

Tatsächlich sind die Unternehmen der Lebensmittelindustrie eingezwängt zwischen nachvollziehbaren, aber sich widersprechenden Wünschen: Die Hersteller sollen für Menschenrechtsverletzungen möglichst bis auf die Felder afrikanischer Kleinbauern Verantwortung übernehmen. Sie sollen für Umweltschutz sorgen, zum Beispiel Abholzung verhindern. Zugleich verlangen Konsumenten und Händler niedrige Preise.

Das alles geht nicht zugleich. Die Branche braucht – mindestens so sehr wie andere Wirtschaftszweige – eine Regulierungspause. Sonst gehen der Politik die Unternehmen aus, die sie regulieren kann.

Viele Lebensmittelhersteller fühlen sich im Moment überfordert. Manche suchen deshalb Anschluss an Konkurrenten: Der Branche steht eine Konsolidierungswelle bevor, wie jüngst etwa der Inhaber des Süßwarenherstellers Lambertz, Hermann Bühlbecker, in der WirtschaftsWoche prognostizierte. Andere suchen bessere Bedingungen im Ausland.

Die Folgen für den Standort Deutschland dürften heftiger ausfallen, als vielen im Land bewusst ist: Die Unternehmen der deutschen Lebensmittelindustrie beschäftigen rund 600.000 Menschen. Die Branche ist damit beinahe so groß wie die Automobilindustrie.

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