Iuventa-Prozess: Ein Sieg für die Seenotretter

iuventa-prozess: ein sieg für die seenotretter

Rettungsaktion: Die Iuventa im November 2016 vor der libyschen Küste

Die Iuventa ist ein rostiges Mahnmal. Seit August 2017 liegt das Schiff der deutschen Hilfsorganisation Jugend Rettet im Hafen von Trapani im Nordwesten Siziliens, beschlagnahmt von den italienischen Behörden. Das über 60 Jahre alte Schiff war viele Jahre in der Fischerei im Einsatz. 2016 kaufte es die Berliner Nichtregierungsorganisation und baute es für die Seenotrettung um. Nach den Jahren im Hafen ist es nun seeuntüchtig und kann eigentlich nur noch verschrottet werden.

Die italienischen Behörden hatten nicht nur das Schiff festgesetzt, sondern waren auch gegen dessen ehemalige Besatzung vorgegangen. Und auch dieses Strafverfahren wegen des Vorwurfs der Beihilfe zur illegalen Einwanderung und zum Menschenschmuggel gegen insgesamt 21 Verdächtige von Jugend Rettet sowie von weiteren internationalen Hilfsorganisationen, etwa Ärzte ohne Grenzen, ist eine Art Mahnmal: für das Scheitern der italienischen Versuche, der privaten Seenotrettung im Mittelmeer mit strafrechtlichen Mitteln beizukommen.

Denn am Freitag hat das Gericht in Trapani entschieden, das Verfahren gegen die Crew der Iuventa einzustellen. Der Prozess vor einem Einzelrichter hatte im Mai 2022 begonnen und sich über mehr als 40 Anhörungstage gezogen. Dabei ging es um die Frage, ob der Richter eine Hauptverhandlung eröffnet oder das Verfahren einstellt und die Vorwürfe gegen die Crew fallen lässt.

Die Staatsanwaltschaft zog die Vorwürfe zurück

Dass Letzteres geschieht und die Angeklagten von den Vorwürfen freigesprochen werden, damit hatten Beobachter gerechnet. Ende Februar beantragte die Staatsanwaltschaft unerwartet, ihre eigenen Ermittlungen einzustellen und das Verfahren noch vor Beginn der Hauptverhandlung abzubrechen.

Nach dem Freispruch zeigten sich die Seenotretter am Freitag erleichtert. Sascha Girke, einer der Angeklagten, sagte nach der Entscheidung des Gerichts: „Wir begrüßen die heutige Entscheidung, aber wir sind besorgt über den Schaden, den der Prozess angerichtet hat.“ Seit der Beschlagnahmung im Jahr 2016 seien mehr als 10.000 Menschen im Mittelmeer ertrunken, während die Iuventa, das Schiff der Seenotretter, im Hafen von Trapani verrottet sei.

Auch Nicola Canestrini, einer der Anwälte der Beklagten, freute sich über die Entscheidung des Richters. Das Gericht habe bestätigt, „dass die Vorwürfe von keinen Fakten gestützt wurden. „Heute war ein wichtiger Tag gegen die Kriminalisierung der Seenotrettung“, sagte Francesca Cancellaro, eine andere Anwältin.

Die Vorwürfe gegen die Crew der Iuventa fußten auf einer gut 650 Seiten umfassenden Anklageschrift, die die Staatsanwaltschaft von Trapani verfasst hatte. Zuvor hatten die Strafverfolger jahrelang gegen die Seenotretter ermittelt, sie hatten Gespräche an Bord abgehört und Chat-Protokolle aufgezeichnet, Telefonate von Besatzungsmitgliedern mit Juristen, Journalisten und Aktivisten belauscht, sogar einen verdeckten Ermittler eingeschleust, um den Anfangsverdacht zu erhärten, dass die Besatzungen der Iuventa sowie anderer Rettungsschiffe mit libyschen Schleppern gemeinsame Sache gemacht und mit diesen die Übergabe der Bootsflüchtlinge auf hoher See abgesprochen haben. Die Beweisaufzeichnungen umfassten gut 30.000 Seiten Papier und 400 elektronische Datenträger.

Im Falle eines Schuldspruchs hätten den Angeklagten bis zu 20 Jahre Gefängnis gedroht. Den Prozess nutzten die Seenotretter, um auf die ihrer Ansicht nach katastrophale Lage der Seenotrettung aufmerksam zu machen. Auch deshalb gehörten die Proteste der Unterstützer, die Pressebegegnungen der Angeklagten, Anwälte und Aktivisten neben der Feuerwache am Hafen von Trapani, unweit des Gerichtsgebäudes und in Sichtweite der Iuventa zum Ritual dieses langen Vorverfahrens mit der überraschenden Wende.

14.000 Menschen in zwei Jahren aus Seenot gerettet

Nach dem Freispruch kündigten die Aktivisten an, schnellstmöglich wieder in die Seenotrettung einsteigen zu wollen. Durch die Einstellung des Verfahrens ist auch ihr Schiff wieder freigegeben. Mit diesem wurden nach Angaben der Betreiber in den Jahren 2016 und 2017 gut 14.000 Bootsmigranten aus Seenot gerettet und in italienische Häfen gebracht. Die Iuventa war eines der ersten privaten Schiffe, das zur Rettung von Migranten ins Mittelmeer aufbrachen. Dort sind auch heute noch Schiffe von Nichtregierungsorganisationen im Einsatz, um Migranten und Flüchtlinge aus Seenot zu retten. Immer wieder kommt es auf der gefährlichen Überfahrt von Afrika nach Europa zu tödlichen Katastrophen.

Die Einstellung des Verfahrens ist ein Erfolg für die privaten Seenotrettungsorganisationen. Die italienische Politik hatte mehrere Versuche unternommen, diese zu kriminalisieren. Und das schon lange bevor Giorgia Meloni an die Macht kam.

Zu Beginn des Prozesses von Trapani im Sommer 2017 regierten in Rom noch nicht der spätere Arbeits- und Außenminister Luigi Di Maio von der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung, der seinerzeit private Rettungsschiffe als „Taxi der Meere“ für Migranten bezeichnete, oder wie der spätere Innenminister Matteo Salvini von der rechtsnationalen Lega, der während seiner Amtszeit von Juni 2018 bis September 2019 alle italienischen Häfen für Schiffe mit Bootsmigranten an Bord einfach sperren ließ.

Stattdessen regierte damals als Ministerpräsident der europafreundliche Sozialdemokrat Paolo Gentiloni, heute EU-Kommissar, sowie dessen gleichfalls sozialdemokratischer Innenminister Marco Minniti, der den privaten Seenotrettern mit einem „Verhaltenskodex“ die humanitäre Arbeit zu erschweren beziehungsweise zu verunmöglichen suchte.

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