Israel-Gaza-Krieg: Was der UNRWA-Report aussagt – und was nicht

Hat das Palästinenserhilfswerk ein Neutralitätsproblem? Nach horrenden Vorwürfen Israels hat die Uno eine unabhängige Untersuchung beauftragt. Jetzt erschien ein Bericht, der die Vorwürfe nur teilweise entkräftet.

israel-gaza-krieg: was der unrwa-report aussagt – und was nicht

Israel-Gaza-Krieg: Was der UNRWA-Report aussagt – und was nicht

Israels Kritik am Palästinenserhilfswerk hat gewissermaßen Tradition. Seit vielen Jahren wirft Jerusalem der UNRWA fehlende Neutralität vor: Seine Mitarbeiter seien in politische Organisationen verstrickt, seine Schulbücher in Teilen antisemitisch. All das galt lange, bevor die Hamas am 7. Oktober ins israelische Grenzgebiet einfiel, mordete, folterte und vergewaltigte. Und bevor Israel erklärte, dass zwölf der Täter vom 7. Oktober offenbar für UNRWA gearbeitet hatten.

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Seitdem erreichten die Anschuldigungen jedoch ein völlig neues Ausmaß. Hunderte Mitarbeiter und Lehrer seien Mitglieder der Terrororganisation, heißt es nun. Die Welt reagierte prompt: Viele Staaten froren ihre Spenden an das UNRWA ein. Die USA haben die Spenden bis mindestens 2025 ausgesetzt. Doch das Hilfswerk ist von zentraler Bedeutung für die palästinensischen Gebiete, nicht erst, aber insbesondere seit Kriegsbeginn im Gazastreifen.

Was ist dran an Israels Vorwürfen? Die Uno beauftragte eine Untersuchung, Anfang der Woche erschien ein erster Bericht. Die ehemalige französische Außenministerin Catherine Colonna hat ihn gemeinsam mit drei unabhängigen Forschungsinstituten verfasst.

Erleichterung bei der Uno

Der Bericht befasst sich explizit nicht mit dem Vorwurf der Beteiligung von zwölf UNRWA-Mitarbeitern am Hamas-Massaker – dieser Frage widmet sich eine gesonderte Untersuchung. Auch über Israels Vorwurf, dass Hunderte Mitarbeiter den Terrororganisationen angehören, kann der Bericht keine Aussage treffen. Israel hat keine Beweise für seine Anschuldigungen eingereicht, erklärt Colonna. Trotzdem verschafft die Untersuchung der Uno vorerst Erleichterung.

Die unabhängigen Experten überprüften, welche Mechanismen und Verfahren die UNRWA nutzt, um die Neutralität der Organisation zu garantieren – und beurteilt in dem Report, ob diese ausreichend sind. Colonna kommt zu dem Schluss, dass das UNRWA-Regelwerk das »ausgefeilteste« im Uno-System sei – gerade, weil es so schwierig sei, in einem derart »komplexen und sensiblen Umfeld zu arbeiten«. So sagte sie es Journalisten in New York bei der Vorstellung. Im Report macht sie dennoch 50 Vorschläge, wie die Verfahren verbessert und das Vertrauen internationaler Spender in die Organisation gestärkt werden könne.

Immer wieder verstießen UNRWA-Mitarbeiter etwa gegen das Neutralitätsgebot. Ein häufiger Grund sei, dass deren Familienmitglieder oder andere Angehörige von Gewalt betroffen seien. In der Folge träten Neutralitätsverstöße meist in Form von Social Media Posts auf. Der Report schlägt vor, dem durch bessere Fürsorge für die Mitarbeiter zu begegnen.

Im Hinblick auf die Vorwürfe gegen UNRWA-Schulen gibt der Bericht Entwarnung. UNRWA habe »konsistent daran gearbeitet, die Neutralität in der Bildung zu sichern«. Antisemitische Inhalte, wie von Israel vorgeworfen, seien nicht gefunden worden.

50 Empfehlungen

Nichtsdestotrotz betont Colonna in dem Report, dass UNRWA in einem Umfeld operiere, dass die Organisation der Gefahr von Beeinflussung aussetze. Eben deshalb sei besondere Vorsicht geboten. UNRWA sei eine »Rettungsleine« für die Menschen in Gaza.

Uno-Generalsekretär António Guterres akzeptierte die von Colonna unterbreiteten Vorschläge und ließ verkünden, dass gemeinsam mit dem UNRWA-Kommissar Philippe Lazzarini ein Plan erarbeitet werden soll, wie diese in die Tat umgesetzt werden können.

Aus Israel kam hingegen Kritik am Report. Oren Marmorstein, Sprecher des Außenministeriums, schrieb auf X, vormals Twitter: »Die Hamas hat die UNRWA so tief infiltriert, dass es nicht mehr möglich ist, zu unterscheiden, wo die UNRWA endet und wo Hamas beginnt«. Mehr als 2135 UNRWA Mitarbeiter seien entweder Mitglieder der Hamas oder des Islamischen Dschihad. Ein Fünftel der Schulverwalter seien ebenfalls Hamas-Mitglieder, behauptete Marmorstein. »Das Problem mit UNRWA in Gaza ist nicht, dass es ein paar verdorbene Äpfel gibt«, so Marmorstein weiter, »es ist ein verrotteter und giftiger Baum, dessen Wurzeln in der Hamas liegen«. Marmorstein sagt, der Report ignoriere, wie schwerwiegend das Problem sei und biete ausschließlich kosmetische Lösungen, die sich nicht mit dem enormen Problem befassten.

Dass Israel künftig von seiner Meinung abweichen wird, ist auszuschließen. Der von Colonna verfasste Report richtet sich wohl vielmehr an die westliche Spender-Audienz. Wirkliche Aufklärung darüber, inwieweit UNRWA-Mitarbeiter mit der Hamas verknüpft sind, kann er nicht leisten und versucht es auch nicht. Vielmehr geht es darum, darzustellen, dass das UNRWA Vorwürfen nachgeht – wenn es Beweise gibt. Doch diese hat Israel, abgesehen von einem sechsseitigen Dossier, offenbar nicht bereitgestellt.

Solange der Vorwurf im Raum steht, dass UNRWA-Mitarbeiter an den Gräueltaten des 7. Oktobers beteiligt gewesen waren, wird der Schatten wohl nicht von der Uno-Organisation weichen. Wann der zweite Report, der wohl deutlich wichtigere, erscheinen soll, ist nicht bekannt.

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