Brisanter Audio-Mitschnitt: Taurus-Raketen für Angriff auf Krim-Brücke?

brisanter audio-mitschnitt: taurus-raketen für angriff auf krim-brücke?

Ein Hubschrauber wirft Wasser ab, um ein Feuer auf der Krim-Brücke, die das russische Festland und die Halbinsel Krim über die Meerenge von Kertsch verbindet, zu löschen.

Es gibt Ereignisse, da kommt die politische Interpretation fast zeitgleich mit dem Ereignis, mitunter sogar schon vorher. Und dann gibt es Ereignisse, von denen man glauben würden, sie müssten einschlagen wie eine Bombe und es geschieht – nichts, stundenlang nichts.

Ein solches Ereignis trug sich am Freitagmittag zu: Der russische Propagandakanal RT veröffentlichte einen angeblichen Gesprächsmitschnitt einer Video-Konferenz von hochrangigen Bundeswehr-Offizieren. Bei dem Gespräch geht es unter anderem um die Frage, wie das Waffensystem Taurus zur Sprengung einer Brücke oder zum Angriff auf russische Munitionsdepots eingesetzt werden könnte. RT titelte reißerisch: „Transkript des Gesprächs deutscher Offiziere über Angriff auf Krimbrücke veröffentlicht“. Am Freitagabend wurde dann die Audio-Datei geleakt, die Berliner Zeitung hat sich das Gespräch angehört.

Zur Frage, ob die Datei echt ist oder eine russische Fälschung, war es bis zum Abend nicht möglich, Auskunft zu erhalten: Weil die Weitergabe von russischen Nachrichten ohne Gegencheck in Deutschland kein umfassend objektives Bild bieten würde, sandte die Berliner Zeitung Anfragen an das Auswärtige Amt, an die Bundeswehr, an das Bundesverteidigungsministerium, an Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Roderich Kiesewetter und Stefan Meister, einen Russland- und Desinformationsexperten von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Wir wollten wissen, ob es sich bei der Meldung um Fake News handelt oder nicht. Wir erhielten keine einzige Antwort – auch keine Mitteilung, dass man sich nicht äußern wolle. Im Außenministerium schien die Telefonanlage defekt zu sein, mehrere Anrufe endeten in einer ewigen Warteschleife, um dann abzubrechen. Schließlich erreichten wir gegen 17 Uhr eine Kollegin in der Pressestelle des Amtes. Sie bestätigte uns höflich den Eingang unserer Anfrage und teilte uns mit, dass die Beantwortung der Anfrage bei den zuständigen Kollegen in Arbeit sei, und wir eine Antwort erwarten dürften. Wann diese kommen würde, konnte sie uns nicht sagen. Danach hörten wir nichts mehr vom Amt.

Wir riefen überdies bei der Deutschen Presse-Agentur an, wo uns eine freundliche Kollegin erklärte, dass man das Thema auf dem Schirm habe, aber ebenfalls auf Antworten aus dem Ministerium warte. Am Abend sagte uns die Kollegin, dass die dpa nun eine Stellungnahme aus dem Verteidigungsministerium erhalten habe. Diese sei sehr allgemein gehalten, es werde seitens des Ministeriums „geprüft“, ob der Audio-Mitschnitt echt sei. (Am Abend kam schließlich die dpa-Meldung, sie ist am Ende dieses Artikels im Wortlaut).

Die einzige Stellungnahme, die wir bekamen, war die der Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen, die zur Wagenknecht-Gruppe gehört. Sie sagte der Berliner Zeitung: „Verteidigungsminister Pistorius muss der Öffentlichkeit dringend erklären, inwiefern der Audio-Mitschnitt von Beratungen deutscher Bundeswehroffiziere über mögliche Angriffsszenarien auf die Krim-Brücke der Wahrheit entspricht oder eine Fälschung ist.“

Auch aus Russland selbst kamen spärliche Rezeptionen der Meldung: Die staatliche Nachrichtenagentur Tass meldete zunächst nur, dass ein Sprecher der Staatsduma Aufklärung vom deutschen Bundestag und die Bestrafung der Offiziere verlange. Im übrigen werde sich die Staatsduma mit dem Thema beschäftigen – allerdings erst nach dem Urlaub der Abgeordneten am 11. März. Es scheint also aus Sicht der russischen Abgeordneten keine aktuelle Weltkriegsgefahr zu bestehen. Allerdings drohte der Sprecher, dass sich Russland „reziproke“ Vergeltungsmaßnahmen vorbehalte. Kreml-Sprecher Peskow sagte, man wisse nichts vom Inhalt der Aufzeichnung. Am Abend brachte die Tass schließlich eine Meldung über den Inhalt des Gesprächs.

Der Inhalt des Gesprächs dreht sich um die Frage, wie die Taurus-Systeme von der Ukraine genützt werden könnten. Das Gespräch wurde als digitale Videokonferenz geführt, einer der Teilnehmer hatte sich aus Singapur eingewählt und schwärmt von der phänomenalen Aussicht von seinem Hotel. Allerdings störe ihn die hohe Luftfeuchtigkeit, „quite humid“, sagt er in lässigem Business-Englisch. Das Gespräch wirkt wie eine Vorbereitung eines Treffens mit Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, um ihm die Entsendung der Taurus-Raketen an die Ukraine schmackhaft zu machen. Es gäbe zu viele Spekulationen in der Öffentlichkeit, warum Bundeskanzler Olaf Scholz zögert, die Waffen zu schicken. Ein Offizier berichtet von einer „Journalistin“, die ihm gesagt habe, sie hätte aus Bundeswehrkreisen gehört, dass die Taurus nicht funktionieren würden – und Scholz daher zögere. Man müsse verhindern, dass solches „Gelaber im Raum“ stehe. Die Diskussion beschäftigt sich dann weiter mit der Frage, dass der Haushaltsausschuss zu überzeugen sei, warum es bei den jüngst bestellten F-35-Kampfjets viel teurer werde als ursprünglich gedacht. Schließlich geht es um die Ukraine. Die Offiziere sprechen darüber, das andere Nationen bereits mit Soldaten in der Ukraine seien: „Die Engländer haben ein paar Leute vor Ort“, und: „Wir wissen ja mittlerweile, dass viele Leute mit amerikanischem Akzent in Zivilklamotten herumlaufen.“ Im Fall der Taurus sei zu überlegen, wie die Ukrainer am Gerät trainiert werden könnten. Das Training dauere einige Monate. Daher sei zu überlegen, wie die Einsätze der Ukraine unterstützt werden könnten, ohne dass es zu einer direkten Beteiligung Deutschlands komme. Ein Offizier sagt, es sei das „Alleinstellungsmerkmal“ der Taurus, dass sie „die Brücke im Osten“ und Munitionsdepots bekämpfen könne. Ein anderer Offizier wirft ein, dass ein Angriff auf die Brücke nicht so einfach sei: „Die Brücke hat die Größe eines Flugplatzes.“ Man würde vermutlich „zehn Flugkörper“ benötigen. Einen Pfeiler zu treffen sei nicht ausreichend, „da machen wir vielleicht nur ein Loch rein“. Allerdings sei klar, dass die Ukraine die Brücke angreifen wolle. Ein Offizier sagt: „Wir alle wissen ja, dass sie die Brücke rausnehmen wollen, das ist klar.“ Die Brücke sei nicht nur militärisch, sondern auch politisch wichtig. Die Debatte dreht sich schließlich darum, wie verhindert werden könne, „dass es einen direkten Link der Streitkräfte in die Ukraine gibt“. Schließlich wird die Möglichkeit diskutiert, „die Briten zu fragen“, ob sie bei einer Zwischenlösung mitwirken könnten – bis die Ukrainer selbst in der Lage sind, das Taurus-System vollständig zu bedienen. Das Treffen endet eher unentschlossen, man werde den Verteidigungsminister briefen. Pistorius sei ein „cooler Typ“, sehr im Unterschied zu den „Modellen davor“. Abschließend unterrichtet ein Teilnehmer die anderen, dass ein Interview mit der Süddeutschen Zeitung „problemlos gelaufen“ sei.

Am Montagabend schreibt die Bild-Zeitung: „Viel spricht dafür, dass der Mitschnitt echt ist – auch wenn die Bundeswehr die Echtheit bisher nicht offiziell bestätigt hat.“

Am Montagabend, um 20.09 Uhr, bringt die dpa schließlich folgende Meldung:

Das deutsche Verteidigungsministerium prüft nach Vorwürfen aus Moskau, ob die Kommunikation im Bereich der Luftwaffe abgehört wurde. „Das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) hat alle erforderlichen Maßnahmen eingeleitet“, teilte eine Sprecherin des Ministeriums auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit.

Zuvor hatten russische Medien über ein möglicherweise abgehörtes Gespräch berichtet. Darin sollen Offiziere der Bundeswehr zu hören sein, wie sie über theoretische Möglichkeiten eines Einsatzes deutscher Taurus-Raketen diskutieren.

Das russische Außenministerium forderte nach dem angeblich abgehörten Gespräch von ranghohen Bundeswehroffizieren eine Erklärung der Bundesregierung. „Versuche, um Antworten herumzukommen, werden als Schuldeingeständnis gewertet“, schrieb Moskaus Außenamtssprecherin Maria Sacharowa auf ihrem Telegram-Kanal. Zugleich veröffentlichte Margarita Simonjan, die Chefin des russischen Staatssenders RT, einen Audiomitschnitt des rund 30-minütigen Gesprächs. Wie Simonjan an die Aufnahmen gekommen ist, sagte sie nicht.

In dem Mitschnitt soll es unter anderem um die Frage gehen, ob Taurus-Raketen technisch theoretisch in der Lage wären, die von Russland gebaute Brücke zur Halbinsel Krim zu zerstören. Ein weiterer Punkt im Gespräch ist demnach, ob die Ukraine den Beschuss ohne Bundeswehrbeteiligung bewerkstelligen könnte. Allerdings ist in dem Mitschnitt auch zu hören, dass es auf politischer Ebene kein grünes Licht für den Einsatz gibt.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat mehrfach betont, dass er gegen die Lieferung von Taurus-Raketen an die Ukraine ist. Er begründete dies mit der Gefahr, dass Deutschland in den von Russland begonnenen Angriffskrieg hineingezogen werden könnte.

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