Interview mit Thomas Schaufler: „Deutschland ist immer noch ein Bargeldland“

interview mit thomas schaufler: „deutschland ist immer noch ein bargeldland“

Thomas Schaufler, Privatkundenvorstand Commerzbank data-portal-copyright=

Der Manager spricht über die Gründe für das Comeback der Filiale, die schwache Entwicklung der Onlinebank Comdirect und das wieder anziehende Geschäft in der Baufinanzierung.

Nach den Erfahrungen der Coronazeit erwartete die Commerzbank, dass viele Menschen ihre Bankgeschäfte dauerhaft digital oder per Telefon abwickeln. „Tatsächlich aber hatten viele Menschen nach der Pandemie wieder das Bedürfnis nach physischer Präsenz“, sagt Privatkundenvorstand Thomas Schaufler im Handelsblatt-Interview.

Die 400 Filialen des Instituts sind deshalb wieder gut besucht, besonders am 1. und 15. eines Monats. „Viele Menschen heben dann einen Teil ihres Gehalts ab – Deutschland ist eben immer noch ein Bargeldland.“ Für die Commerzbank und andere Institute ist das Revival der Filiale eine Herausforderung, schließlich investieren sie massiv in digitale Angebote, die viele Kunden aber nicht so rege nutzen wie erhofft.

„Wenn Kunden wegen einfacher Serviceanliegen in die Filiale kommen, müssen wir diese Dienstleistungen entsprechend bepreisen, sonst rechnet sich das für uns nicht“, kündigt Schaufler an. Zudem will die Bank Kunden durch mehr Informationen und Beratung dazu bringen, die digitalen Angebote stärker zu nutzen.

Lesen Sie hier das komplette Interview mit Thomas Schaufler

Herr Schaufler, der Commerzbank-Aufsichtsrat hat gerade seine Bewertungen für die Vorstände 2023 veröffentlicht. Ihre Zielerreichungsquote lag nur bei 80 Prozent. Woran hat es gelegen? Ich habe mein Kostenziel nicht erreicht, weil wir in das Kundenerlebnis investiert haben. Wir haben die Stellen in den Filialen langsamer abgebaut als ursprünglich geplant. Zudem haben wir 90 Servicekräfte und punktuell auch zusätzliche Berater eingestellt. Damit wollten wir sicherstellen, dass die verbleibenden Filialen für unsere Kunden voll funktionsfähig sind.

Warum waren diese Maßnahmen nötig? Wir hatten 2021 beschlossen, knapp die Hälfte unserer Filialen zu schließen und Privatkunden stärker über unser digitales Beratungscenter zu betreuen. Wir waren davon ausgegangen, dass Menschen nach Covid dauerhaft mehr Bankgeschäfte digital oder per Telefon abwickeln werden. Tatsächlich hatten viele Menschen nach der Pandemie aber wieder das Bedürfnis nach physischer Präsenz. Vor unseren Filialen gab es daher Ende 2022 und Anfang 2023 Schlangen.

Haben Sie die Probleme inzwischen im Griff?Ja. Nur am 1. und 15. eines Monats kann es an manchen Standorten zuweilen zu kurzen Wartezeiten kommen. Viele Menschen heben dann einen Teil ihres Gehalts ab – Deutschland ist eben immer noch ein Bargeldland. Auch viele Unternehmer kommen in unsere Filialen, um Bargeld einzuzahlen oder abzuheben.

Gibt es außer der Liebe zum Bargeld noch andere Gründe für das Revival der Filiale? Generell geht der Trend weiterhin zum digitalen Banking. Bei wichtigen finanziellen Entscheidungen wie zum Beispiel dem Abschluss einer Baufinanzierung wird aber oftmals der persönliche Kontakt gesucht. Zudem kommen einige Kunden mit Serviceanliegen in die Filialen, die sie online auch selbst erledigen könnten – beispielsweise das Limit der Kreditkarte erhöhen oder einen neuen Pin für eine Girocard bestellen. Für uns Banken ist das ein Aufwand, mit dem wir umgehen müssen.

Was meinen Sie damit konkret? Wir investieren in Digitalisierung, damit Kunden einfache Serviceanliegen selbst lösen können. Diese digitalen Prozesse kundenorientiert zu gestalten und weiterzuentwickeln kostet Geld. Deshalb müssen wir durch Informationen und Beratung dafür sorgen, dass Kunden diese Angebote auch stärker nutzen.

Was machen Sie mit den Kunden, die trotzdem weiter lieber in die Filiale kommen? Ein Teil Ihrer Kunden nutzt ja kein Onlinebanking.Wenn Kunden wegen einfacher Serviceanliegen weiter in die Filiale kommen, müssen wir diese Dienstleistungen entsprechend bepreisen, sonst rechnet sich das für uns nicht. Ich verstehe, dass einige Menschen ihre Bankgeschäfte weiter analog tätigen wollen.

Denken Sie angesichts der Beliebtheit der Filialen darüber nach, wieder zusätzliche Niederlassungen zu eröffnen?Ich fühle mich wohl mit unserem Netz von rund 400 Filialen, aber es wird immer wieder kleinere Anpassungen geben. Wenn die Nachfrage an bestimmten Orten groß ist, eröffnen wir eine neue Filiale oder stocken bestehende Niederlassungen personell auf. Aber wir schließen auch Filialen, wenn Standorte für uns nicht mehr attraktiv sind. Grundsätzlich bin ich überzeugt, dass über die Zeit immer mehr Bankgeschäfte digital abgewickelt werden. Viele junge Menschen kommen heute kaum noch in die Filiale.

Viele junge Menschen nutzen die Dienstleistungen Ihrer Onlinetochter Comdirect. Deren Kundenzahl ist nach der Komplettübernahme durch die Commerzbank Ende 2020 aber drei Jahre lang nicht mehr gestiegen, während Konkurrenten wie ING und DKB kräftig zugelegt haben. Warum?Zum Zeitpunkt der Komplettübernahme wurde innerhalb der Commerzbank intensiv diskutiert, was mit der Comdirect passieren soll. Hier gab es den Plan, nur noch auf die Marke Commerzbank zu setzen. Diese Idee haben wir mit der Strategie 2024 umgekehrt und setzen heute klar auf beide Marken. Der Fokus lag zunächst auf der notwendigen Restrukturierung, sodass jahrelang zu wenig investiert wurde – in Neukunden, in die Weiterentwicklung der digitalen Prozesse und auch in Innovationen.

Rückblickend halten viele Commerzbanker die Komplettübernahme für einen Fehler. Wäre es besser gewesen, Comdirect als getrennte Einheit freier agieren zu lassen?Diese Diskussion bringt nichts. Ich bin sehr froh, dass wir neben der Commerzbank mit Comdirect noch eine zweite starke Marke haben. Sie spricht besonders jüngere Menschen an, die ihre Bankgeschäfte ausschließlich digital tätigen. Wir haben die Investitionen bei Comdirect in diesem Jahr hochgefahren. Die Neukundenzahlen in den vergangenen Monaten waren beachtlich. Diesen Wachstumskurs setzen wir jetzt weiter fort.

Weniger gut läuft es Insidern zufolge bei dem Beratungscenter. Dort werde noch zu wenig Beratung und zu viel Service gemacht – unter anderem, weil die Steuerung eingehender Anrufe nicht richtig funktioniere, klagen Mitarbeiter.Man kann immer sagen, das Glas ist halbleer. Aber für mich ist es halbvoll. Wenn man bedenkt, dass es das Beratungscenter erst seit einem Jahr und vier Monaten gibt, bin ich mit der Entwicklung zufrieden. Das Angebot im Beratungscenter wird bereits gut angenommen. Unsere Prozesse funktionieren, und die durchschnittliche Wartezeit liegt derzeit bei rund 90 Sekunden. Aber natürlich gibt es immer Verbesserungspotenzial.

Wo genau?Nach einer Beratung in der Filiale können Kunden eine Geldanlage oder eine Baufinanzierung direkt abschließen. Im Beratungscenter geht das in einigen Fällen noch nicht, weil wir noch Dokumente verschicken und eine Unterschrift auf Papier einholen müssen. Damit dies künftig nicht mehr nötig ist, wollen wir in den kommenden Jahren noch mehr Prozesse digitalisieren.

Wie wollen Sie sicherstellen, dass das Beratungscenter künftig mehr berät? IT spielt dabei eine wesentliche Rolle. Mithilfe Künstlicher Intelligenz werden wir mehr einfache Anfragen automatisiert beantworten. Dass wir aktuell noch viele Serviceanliegen bearbeiten, ist auch dem Filialabbau geschuldet. Aber auch hier gibt es eine Entwicklung. Unsere Mitarbeiter – sowohl im Beratungscenter als auch im Servicecenter in Duisburg – erklären unseren Kunden bei Anrufen, wie sie ihr Anliegen künftig in der App, im Onlinebanking oder auch im Selfservice lösen können.

Lassen Sie uns noch etwas über das aktuelle Geschäft sprechen. Eines Ihrer wichtigsten Geschäftsfelder, die private Baufinanzierung, steht wegen der gestiegenen Zinsen und Baukosten unter Druck. Wie beurteilen Sie die Lage?Im vergangenen Jahr ist das Neugeschäft in Deutschland branchenweit eingebrochen, bei uns war der Rückgang geringer. Nun dreht sich die Stimmung langsam. Wir sind gut ins Jahr 2024 gestartet. Es gibt wieder deutlich mehr Nachfrage seitens der Kunden – sowohl direkt als auch über die Plattformen für Immobilienkredite.

Ist das schon eine Trendwende?Ich würde von einer Konsolidierung auf niedrigem Niveau sprechen. Vom Geschäftsvolumen der Jahre 2021 und 2022 sind wir noch weit entfernt. Aber viele Kunden realisieren inzwischen, dass eine Baufinanzierung für drei bis vier Prozent gar nicht so unendlich teuer ist. Da gab es in der Vergangenheit schon höhere Niveaus. Viele warten aktuell allerdings noch ab, weil sie im Sommer dieses Jahres mit der ersten Zinssenkung der Europäischen Zentralbank rechnen. Gerade bei einer fixen Zinsbindung für zehn oder 15 Jahre kann eine Baufinanzierung dann noch mal etwas günstiger werden.

Aktuell parken viele Privatanleger ihr Geld auf Tages- und Festgeldkonten. Sie haben Ihr Werben um Spareinlagen im Laufe des Jahres 2023 intensiviert und im Privatkundengeschäft allein im vierten Quartal neun Milliarden Euro an zusätzlichen Einlagen angezogen. Wie sieht Ihre Strategie für 2024 aus? Wir werden weiterhin attraktive Zinsen bieten, das ist im aktuellen Marktumfeld notwendig. Aber wir haben nicht den Ehrgeiz, Höchstanbieter zu sein. Viele Kunden bringen ihr Geld auch deshalb zu uns, weil sie die Marken Commerzbank und Comdirect kennen und ihnen vertrauen. Privatkunden sollten sich aber grundsätzlich nicht zu stark auf Tages- und Festgeld fokussieren.

Sondern?

In Deutschland liegen 2140 Milliarden Euro als Sichteinlagen auf meist unverzinsten Konten. Die Rendite ist dort gedeckelt, bei manchen Tagesgeldangeboten zum Beispiel bei zwei oder drei Prozent. Das reicht – erst recht nach Steuern – meist nicht einmal für den Inflationsausgleich. Mit Wertpapieranlagen hingegen haben Kunden die Chance, fünf, sechs oder gar sieben Prozent Rendite pro Jahr zu erzielen. Diese Möglichkeiten nutzen bisher leider viel zu wenige. Der Großteil unserer Kunden besitzt bisher kein einziges Wertpapier. Wertpapiersparen in die Breite zu bringen zählt deshalb zu meinen größten Anliegen. Wir wollen aus Sparern Anleger machen.

Die Commerzbank hat sich im Asset-Management durch mehrere Zukäufe verstärkt. Sie haben die Tochter Yellowfin gegründet, den Sachwerte-Investor Aquila Capital übernommen und sich an der Impact-Investmentgesellschaft Nixdorf Kapital beteiligt. Haben Sie damit alles, was Sie für das angepeilte Wachstum im Asset-Management und der Vermögensverwaltung brauchen?

Wir können jetzt alle Assets anbieten, die von relevanter Bedeutung sind. Bei Private-Equity-Investitionen kooperieren wir mit Allianz Global Investors, weil wir selbst keine große Investmentbank haben. Aber klar ist: Der Markt entwickelt sich sehr dynamisch. Da wird es immer wieder Möglichkeiten geben, sich das eine oder andere anzuschauen.

Herr Schaufler, vielen Dank für das Interview.

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