Internationaler Gedenktag: Die offenen Wunden des armenischen Volkes

internationaler gedenktag: die offenen wunden des armenischen volkes

Armenischier auf der Flucht aus dem Osmanischen Reich im Jahr 1915.

Als Ani Aghabekyan mit ihrer Violine vor das Publikum in der Paulskirche tritt, will sie noch etwas sagen: „Als Armenierin bedeutet mir dieser Tag sehr viel“. Am Mittwochabend versammelten sich dort mehr als 400 Menschen, Armenier und Deutsche, um der Opfer des Genozids an den Armeniern im Osmanischen Reichs zu gedenken. „Ein Lehrer meines Sohnes hat mit den Kindern der Klasse eine ganze Stunde über den Genozid gesprochen, obwohl in keinem Schulbuch etwas darüber geschrieben steht. Das fand ich sehr wichtig“, sagt Aghabekyan, bevor sie ein Duett mit dem ebenfalls in Jerewan geborenen Cellospieler Hayk Sukiasyan beginnt.

Damit drückt sie aus, was viele in Deutschland lebende Armenier fühlen und auch an diesem Abend einige der Redner und Rednerinnen beklagen: Das Leid des armenischen Volkes spielt in der deutschen Wahrnehmung noch immer keine große Rolle. Auch nachdem der Bundestag 2016 den Völkermord an den Armeniern offiziell anerkannt hat.

Kritik an der Türkei

Hunderttausende Armenier wurden im Frühjahr und Sommer 1915 von türkischen Soldaten und Polizisten sowie kurdischen Hilfstruppen ermordet. Unzählige verdursteten und verhungerten auf Todesmärschen in Richtung der syrischen Wüsten. Der Schrecken begann am 24. April des Jahres mit der Verhaftung der ersten Armenier in Konstantinopel. Weltweit gedenken Armenier an diesem Datum den Opfern des Völkermords, in Deutschland seit vielen Jahren in der Frankfurter Paulskirche.

Dass dieser Ort nicht zufällig gewählt ist, sagt Bastian Bergerhoff (Grüne), Kämmerer der Stadt Frankfurt, in seiner Begrüßungsrede: „Die Paulskirche steht wie kein anderes deutsches Gebäude für Demokratie, Frieden und Menschenrechte“. Es dürfe nie wieder geschehen, dass ein Volk vertrieben, vernichtet oder ihm die Lebensgrundlage genommen wird, sagt Bergerhoff und erinnert gleichwohl an die gegenwärtige globale Menschenrechtslage: „Ich will nicht verschweigen, dass wir gerade jeden Tag Grausamkeiten wahrnehmen.“

Nicht nur wegen der Kriege in der Ukraine und in Nahost steht der Gedenktag in diesem Jahr in einem besonderen Licht. Das Wiederaufflammen des Bergkarabach-Konflikts im vergangenen Herbst riss bei den Armeniern alte Wunden auf: Hunderttausende mussten aus ihrer Heimat fliehen. Das spricht auch der Vorsitzende des Zentralrats der Armenier in Deutschland, Jonathan Spangenberg, an: „Die Erinnerung an die Vertreibung und Ermordung der Armenier vor 109 Jahren taucht sofort auf.“

Stehender Apllaus für Ocampo

Spangenberg kritisiert auch die Türkei, deren Präsident Recep Tayyip Erdogan die aserbaidschanische Regierung in ihrem brutalen Vorgehen gegen die in Bergkarabach lebenden Armenier unterstützte. Den Völkermord von 1915 habe die Türkei bis heute nicht anerkannt: „Demokratie beginnt mit einem Bekenntnis. Dazu hat der türkische Staat bis heute nicht den Mut aufgebracht.“ Die Vizepräsidentin des hessischen Landtags Angela Dorn (Grüne) fragt: „Wie lange war Bergkarabach in unseren Medien? Wie lange war es die wichtigste Meldung des Tages?“

Stehenden Applaus von den Gästen in der Paulskirche erhält Luis Moreno Ocampo. Der 71 Jahre alte Argentinier war von 2003 bis 2012 Chefankläger des internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. Er hatte das Vorgehen Aserbaidschans schon im vergangenen Jahr als Völkermord bezeichnet. „Es begann genauso wie 1915“, sagt er. Wie damals sei auch in Bergkarabach die Strategie gewesen, zuerst die armenischen Anführer aus dem Weg zu räumen. Sie seien getötet oder verschleppt worden, viele von ihnen säßen noch heute in aserbaidschanischen Gefängnissen.

Ocampo erinnert auch an die zurückhaltende Rolle des Deutschen Kaiserreichs während des Völkermords im Jahr 1915. Die deutsche Regierung sei damals nur um ihr Verhältnis zur Türkei besorgt gewesen. „An diesem Freitag hat der deutsche Kanzler die Chance, es besser zu machen. Er hat die Chance, die Geschichte zu verändern“, sagt er. Dann empfängt Olaf Scholz den Präsidenten der Republik Aserbaidschan, Ilham Alijew, im Bundeskanzleramt.

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