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„Mangelnde Fortschritte“ im Kampf gegen die Inflation: Die Aussicht auf drei Zinssenkungen in diesem Jahr ist offenbar nicht zu halten. Manche Analysten sehen ein noch gravierenderes Risiko.
US-Notenbankchef Jerome Powell hat Zweifel an einer baldigen Zinswende genährt. Powell sprach am Dienstagnachmittag (Ortszeit) in Washington von „mangelnden Fortschritten“ im Kampf gegen die zu hohe Inflation. Deshalb könne es angemessen sein, die Leitzinsen für längere Zeit auf dem jetzigen Niveau von 5,25 bis 5,5 Prozent zu halten.
Laut Powell müssten die Währungshüter zuversichtlicher sein, dass die Inflation auf zwei Prozent zurückgeht, bevor sie die Leitzinsen senken können. „Die jüngsten Daten haben uns eindeutig nicht größere Zuversicht gegeben“, stellte Powell klar. Das werde länger dauern als angenommen.
Powell signalisiert damit, dass sich die Zinswende in den USA auf unbestimmte Zeit verzögern dürfte. Anleger reagierten verunsichert: Der breit angelegte Leitindex S&P 500 verlor zunächst 0,3 Prozent und näherte sich der Marke von 5000 Punkten, die er vor zwei Monaten erstmals überwunden hat.
Die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen, eine der wichtigsten Kennzahlen an den internationalen Finanzmärkten, stieg auf 4,69 Prozent. Somit hält sie Kurs auf die Marke von fünf Prozent, die sie im Oktober 2023 kurzzeitig erreicht hatte – zum ersten Mal seit der Weltfinanzkrise. Das setzte vor einem halben Jahr den Aktienmärkten zu.
Dass die Renditen auf US-Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit noch einmal das Niveau von fünf Prozent testen, ist ein realistisches Szenario.
Dass sie noch einmal das Niveau von fünf Prozent testen, ist für Benjamin Dietrich, Anleihechef des Vermögensverwalters Lazard Asset Management in New York, „ein realistisches Szenario“. Es sei noch offen, ob eine signifikante zweite Welle der Inflation komme. „Das ist in den Märkten noch nicht eingepreist“, sagte Dietrich. „Diskontiert ist bislang nur, dass die Inflation nicht so schnell fällt, wie sich die Fed das zunächst vorgestellt hat.“
Zu Jahresanfang lag die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen noch bei etwa 3,9 Prozent. Damals rechneten Analysten und Investoren mit sechs bis sieben Zinssenkungen der Fed im Laufe dieses Jahres. Inzwischen sind an den Geldmärkten weniger als zwei bis Ende 2024 eingepreist.
Weitere US-Notenbanker ebenfalls vorsichtig
Philip Jefferson, Vizechef der Notenbank, deutete ebenfalls an, dass die Fed die Leitzinsen möglicherweise länger als gedacht hochhalten müsse. Jefferson sagte bei einer Rede laut Protokoll: Es könne angemessen sein, den straffen geldpolitischen Kurs länger beizubehalten – und zwar falls die Daten signalisierten, dass die Inflation hartnäckiger sei als gedacht. Mary Daly, regionale Notenbankchefin aus San Francisco, sieht „keine Dringlichkeit“ für Zinssenkungen.
Der nächste Zinsentscheid steht am 1. Mai an. Bislang stellen die US-Währungshüter für dieses Jahr mehrheitlich drei Zinssenkungen in Aussicht. Auch Jefferson und Daly erwarteten im März drei Zinsschritte nach unten, wie Veröffentlichungen der Fed zum Zinsentscheid zeigten.
Seitdem nimmt jedoch auch unter Beobachtern Skepsis zu, dass die Fed die Zinswende so umsetzen kann. Denn die Inflationsrate ist im Frühjahr wieder auf 3,5 Prozent gestiegen. Zugleich läuft die Konjunktur nach wie vor hervorragend. Das betonte auch Powell.
Deutlich wird das an den Umsätzen im Einzelhändel: Sie stiegen im März auf Monatssicht um 0,7 Prozent, weil vor allem der Online-Handel boomt. Zudem korrigierten die Statistiker die Einzelhandelsumsätze für Januar und Februar nach oben.
Die Wirtschaftsleistung in den USA hängt in stärkerem Maße als in Europa vom privaten Konsum ab. Deswegen vermitteln diese Werte ein aussagekräftiges Bild vom sehr guten Zustand der amerikanischen Wirtschaft. Industrie, Versorger und Bergbauunternehmen weiteten ihre Produktion im März ebenfalls aus, wie Daten der Fed zeigen.
Anhaltend kräftige Lohnzuwächse von rund vier Prozent werden den Konsum absehbar weiter stützen. Sie tragen allerdings auch zu einer anhaltend hohen Inflation bei. Analysten gehen deshalb zunehmend davon aus, dass die Leitzinsen erst spät in diesem Jahr sinken können – wenn überhaupt.
„Reales Risiko“ weiterer Zinserhöhungen
Sowohl die Experten der Deutschen Bank als auch der Bank of America haben ihre Prognose für die erste Zinssenkung vor wenigen Tagen von Juni auf Dezember verschoben. Die Analysten der UBS aus der Schweiz erwarten jetzt zwei Zinssenkungen bis Ende 2024, die erste im September. Davor hatten sie mehr erwartet und einen früheren Beginn.
Noch gravierender: Sie sehen inzwischen ein „reales Risiko“, dass die Leitzinsen in den USA nicht etwa sinken, sondern im Gegenteil weiter steigen könnten. Ein anhaltender Wirtschaftsaufschwung und Inflationsraten über 2,5 Prozent könnten die Fed den UBS-Analysten zufolge zwingen, die Leitzinsen kommendes Jahr bis auf 6,5 Prozent anzuheben.
Derzeit liegt die Leitzinsspanne der Fed bei 5,25 bis 5,5 Prozent. Vor dem Risiko steigender Zinsen warnen auch der Star-Banker Jamie Dimon, Chef von JP Morgan Chase, und der frühere US-Finanzminister Larry Summers. An den Börsen hat die Kombination aus Zinssorgen und geopolitischen Risiken nach Irans Angriff auf Israel zu Wochenbeginn zu Kursverlusten geführt.
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