„Im Niger noch fast sieben Kinder im Schnitt pro Frau“

Heute leben laut UN mehr als acht Milliarden Menschen auf dem Planeten. In vielen Ländern gehen die Geburtenraten zurück, fallen sogar hinter das geburtenschwache Deutschland zurück. In Afrika ist die Lage anders – auch weil vielen Frauen keine selbstbestimmte Familienplanung möglich ist.

„im niger noch fast sieben kinder im schnitt pro frau“

Getty Images/pop_jop; Getty Images/Science Photo Library RF; Montage: Infografik WELT

Auf der Erde leben inzwischen 8,1 Milliarden Menschen – falls die Datensammler der Vereinten Nationen sich nicht verzählt haben und der am Mittwoch veröffentlichte Weltbevölkerungsbericht ungefähr richtig liegt. Bei der Präsentation des Papiers erklärte Catherina Hinz, geschäftsführende Direktorin des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung: Im Jahr 1995 seien es erst 5,6 Milliarden Menschen gewesen; die Vereinten Nationen rechneten bis 2050 mit einem weiteren Wachstum um 1,6 Milliarden auf dann „ungefähr 9,7 Milliarden“ Menschen.

Allerdings verlangsame sich das Wachstum: Es liege „nur“ noch bei einem Prozent pro Jahr, so Hinz. Inzwischen lebten „zwei Drittel der Menschheit in Ländern“, in denen die Geburtenzahl auf das für die Erhaltung der Bevölkerung nötige Niveau von etwas mehr als zwei pro Frau oder darunter gesunken sei.

In einigen Regionen nähme die Geburtenrate – also die Zahl der Kinder pro Frau – aber nur langsam ab: In Afrika bekämen Frauen im Schnitt immer noch vier Kinder. Die Bevölkerung dort werde sich wohl von heute 1,4 Milliarden „bis 2050 auf 2,5 Milliarden fast verdoppeln“. Doch auch auf dem wachsenden Kontinent gebe es große Unterschiede: „Im Niger werden noch fast sieben Kinder im Schnitt pro Frau geboren“, so Hinz. Hingegen seien es etwa in Tunesien oder Botswana zwei bis drei Kinder. Auch in Äthiopien oder Malawi gehe die Kinderzahl zurück.

Man erlebe eine „Welt im Übergang“, in der Länder mit hohen Wachstumsraten immer mehr Staaten mit „niedriger Fertilität“ gegenüberstehen, die entweder schrumpfen oder „nur dank Migration“ ihre Bevölkerungszahl konstant hielten oder steigerten. Dieser Übergang des Bevölkerungsaufbaus sei eine Herausforderung für die Sozialsysteme.

Kürzlich hatte auch das Fachblatt „The Lancet“ Prognosen veröffentlicht, wonach die Geburtenrate bis 2050 in 155 Ländern unter die entscheidende Schwelle der Bestandserhaltung von 2,1 fallen werde. Im Jahr 2100 dürfte demnach die Bevölkerung fast aller Länder schrumpfen.

Laut dem Jahresbericht der UN-Abteilung für Bevölkerungsstatistik für 2023 heißt es: „Mehr als die Hälfte des prognostizierten Wachstums der Weltbevölkerung bis 2050 entfällt auf nur acht Staaten“ – nämlich die Demokratische Republik Kongo, Ägypten, Äthiopien, Nigeria und Tansania in Afrika sowie die asiatischen Länder Pakistan, die Philippinen und Indien.

Die aufstrebende Wirtschaftsmacht hat inzwischen das benachbarte China als größten Staat der Erde abgelöst. Während China demnach bis zur Jahrhundertmitte voraussichtlich auf 1,32 Milliarden Menschen schrumpft, wächst Indien auf wohl 1,67 Milliarden.

„im niger noch fast sieben kinder im schnitt pro frau“

Infografik WELT

Nigeria wird demnach 2050 die USA einholen, mit dann wohl 375 Millionen Menschen und künftig nach Indien und China der drittgrößte Staat sein. Aktuell leben in dem westafrikanischen Küstenland 229 Millionen Menschen; 1990 waren es laut dem Datenportal der UN-Bevölkerungsabteilung 92 Millionen gewesen. 1950 hatte das Land erst ungefähr eine halb so große Bevölkerung wie Bundesrepublik und DDR zusammen – rund 69 Millionen Menschen.

Fremdbestimmte Familienplanung mit Folgen

Deutschland würde ohne die sehr starke Zuwanderung schon seit einem halben Jahrhundert schrumpfen. Wegen der niedrigen Geburtenrate starben in der Bundesrepublik seit 1972 in jedem Jahr mehr Menschen, als Kinder geboren wurden. Laut Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung verzeichnete „kein anderes Land der Welt über einen so langen Zeitraum derart niedrige Geburtenziffern“ – nämlich seit 1975 fast 40 Jahre lang im Durchschnitt weniger als 1,5 Kinder pro Frau. Inzwischen verzeichnen viele andere Staaten noch geringere Geburtenzahlen; besonders stark die Südkoreaner, aber auch viele osteuropäische Nationen.

Der nun veröffentlichte Bericht betont insbesondere verbesserte Möglichkeiten von Frauen, selbstbestimmt ihre Familie zu planen. Doch trotz aller Erfolge bei der Gleichberechtigung und der Verbreitung von Verhütungsmethoden der vergangenen Jahrzehnte könnten immer noch Millionen Frauen, insbesondere in Afrika, nicht selbst entscheiden, ob und wie viele Kinder sie haben möchten. Zur weiteren Verringerung der Teenager-Schwangerschaften benötige es verstärkte Anstrengungen der Entwicklungszusammenarbeit, etwa um das Wissen um und die Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln zu steigern.

Florence Bauer, Regionaldirektorin beim für den Bericht verantwortlichen UN-Bevölkerungsfonds UNFPA, antwortete auf die Frage, ob man die Diskussionen um Kürzungen bei der Entwicklungszusammenarbeit in Deutschland mit Sorge wahrnehme: „Wir zählen auf Deutschland als einen weiterhin stark engagierten Partner“.

In dem mehr als 100 Seiten langen Bericht betonen die an der Erstellung beteiligten Organisationen, dass „demografische Entwicklungen die Welt, wie wir sie heute kennen, voraussichtlich stark verändern“ werden. In vielen Ländern altere die Bevölkerung deutlich, während sie in anderen immer jünger werde. Diese Schere werde sich noch weiter öffnen. Diskrepanzen beim Bevölkerungswachstum, aber auch die ungleiche Wirtschaftsentwicklung und andere Faktoren könnten „die globale Migration und die damit verbundenen Gefahren für die Gesundheit und Rechte von Migrantinnen weiter beschleunigen“.

Als zentral betrachten die UN-Mitarbeiter, dass „Daten als Menschenrecht“ begriffen werden sollten. Der Zugang zu öffentlichen Informationen sei „als Menschenrecht im Völkerrecht und im Vertragstext vieler Organisationen wie zum Beispiel der Afrikanischen Union, dem Europarat und der Organisation Amerikanischer Staaten fest verankert“. Die Informationsfreiheit gelte als sogenanntes „Ermöglichungsrecht, also als ein Recht, das die Wahrnehmung anderer Menschenrechte ermöglicht“. Darüber hinaus sei sie unabdingbar für die Verwirklichung der „Rechte auf Gleichbehandlung und ein diskriminierungsfreies Leben“.

Strukturelle Diskriminierung lasse sich nur erkennen, wenn repräsentative und nach verschiedenen Bevölkerungsgruppen „aufgeschlüsselte Daten erhoben und genutzt“ würden. Sonst lasse sich nicht feststellen, ob sich Gesetze, politische Konzepte und Programme trotz vermeintlicher Neutralität letztlich diskriminierend auswirken.

Für viele Staaten lägen bis heute keine belastbaren Daten vor. Etwa zur Erfassung des Anteils der Frauen, die selbstbestimmt über ihre sexuellen Beziehungen, die Anwendung von Verhütungsmitteln oder Abtreibungen entscheiden können. Es bedürfe „hochwertiger, aufgeschlüsselter Daten“, um „vulnerable Gruppen zu identifizieren und zu lokalisieren, ihre Entwicklung mit geeigneten Maßnahmen zu unterstützen und in jedem einzelnen Jahr die Fortschritte anhand relevanter Indikatoren zu verfolgen“.

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