Ortsvorsteherin Susanne Serke: „Weil es meine Heimat ist“

ortsvorsteherin susanne serke: „weil es meine heimat ist“

Susanne Serke kämpft als Orts­vorsteherin um eine Aufwertung der heruntergekommenen Königsteiner Straße.

Kürzlich hat Susanne Serke überlegt, ob sie mit dem Ortsbeirat 6, zuständig für die neun westlichen Frankfurter Stadtteile, einen groß angelegten Ausflug für die Kindergärten und Horte aus dem Frankfurter Westen organisiert. Ziel der kleinen Busreise wäre Bockenheim – und dort ein Spielplatz. „Den hätte ich gerne mal in Beschlag genommen mit unseren Kindern. Das wäre einmal eine Demo der anderen Art“, sagt die Ortsvorsteherin.

Hintergrund für das Gedankenspiel ist ein Schlagabtausch aus der Stadtverordnetenversammlung. Auch dort ist Serke für die CDU Mitglied, und dort brachte sie einen Antrag zur Verbesserung der Situation auf den Spielplätzen in der Stadt ein. „Ich hatte dabei natürlich vor allem die Zustände in meinen Stadtteilen im Blick und sah großen Verbesserungsbedarf.“ Eine Stadtverordnete aus Bockenheim habe dann gut gelaunt erwidert, dass sie bei Spielplätzen überhaupt keinen Verbesserungsbedarf sehe – bei ihr im Stadtteil sei die Situation vorbildlich. „Da war ich etwas baff.“

„Eine echte Altstadt“ in der Heimat

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Willkommen in der Heimat: Am Schlossplatz in Höchst ist viel geboten.

Der Wortwechsel steht beispielhaft für die tägliche Arbeit von Serke. „Wir haben schon oft das Gefühl, dass die Kollegen im Römer gar nicht wissen, dass hier im Westen auch noch Frankfurt ist“, sagt sie. „Ich fühle mich oft als diejenige, die die Themen erst in den Römer tragen muss.“ Dabei ist der Westen mit mehr als 130.000 Einwohnern so etwas wie eine Großstadt in der Großstadt. Wäre er selbständig, wäre Serke eine Oberbürgermeisterin. In der politischen Wirklichkeit aber ist der Westen mit seinen inzwischen gut 140.000 Einwohnern beispielsweise in der Stadtverordnetenversammlung unterrepräsentiert. Weniger als zehn der 93 Stadtverordneten wohnen laut Serke im Westen, in Relation zur Einwohnerzahl Frankfurts müssten es fast doppelt so viele sein.

ortsvorsteherin susanne serke: „weil es meine heimat ist“

Der Anblick, der „jedes mal schmerzt“: Die Königsteiner Straße in Höchst hat sich über die Jahre stark verändert.

Höchst, historisch das Zentrum des Frankfurter Westens, ist in mancher Hinsicht ein besonderer Stadtteil: Einer, der durch die Hoechst AG jahrzehntelang viel Geld in die Stadt brachte, einer in dem auch das älteste Gebäude Frankfurts, die Justinuskirche, steht. Einer, in dem die einzige verbliebene Mainfähre den Fluss quert. „Und wir haben, anders als Frankfurt, eine echte Altstadt“, sagt Serke mit einem gewissen Stolz in der Stimme. Sie selbst lebt heute in Sossenheim, ist in Nied aufgewachsen und versteht den Westen, zu dem auch Goldstein, Griesheim, Schwanheim, Sindlingen, Unterliederbach und Zeilsheim gehören, als „meine Heimat“.

ortsvorsteherin susanne serke: „weil es meine heimat ist“

Unten am Fluss: Die letzte Fähre Frankfurts quert seit 400 Jahren auf Höhe der Höchster Altstadt den Main und schafft so eine fußgängergerechte Verbindung nach Schwanheim.

Höchst aber liebt sie ganz besonders, auch wenn es nicht unbedingt den besten Ruf genießt. Für einen Rundgang hat sie als Startpunkt den Schlossplatz ausgewählt. Vor allem bei gutem Wetter strömen hier die Höchster in die historischen Gaststätten mit ihren Terrassen und genießen mit Blick auf das Schloss und nur wenige Meter entfernt vom Mainufer in aller Ruhe Ebbelwei und Grüne Soße. Hier ist Höchst eine einzige Idylle.

Geht man aber kaum 200 Meter weiter, kommt man zur Königsteiner Straße – und erkennt schon auf den ersten Blick, was es mit dem oft beklagten Niedergang des Ortsteils auf sich hat. „Mich schmerzt der Anblick jedes Mal“, sagt Serke. „Als Kind bin ich mit großen Augen hier lang gegangen, das war eine Prachtstraße. Meine Mutter hat mich aus Nied mitgenommen und gesagt, dass wir in die Stadt gehen“, erinnert sie sich an eine Zeit, als man von der „Kö“ sprach in Anlehnung an die Düsseldorfer Luxusmeile.

ortsvorsteherin susanne serke: „weil es meine heimat ist“

Auch die Höchster Justinuskirche gehört als ältestes Gebäude Frankfurts zu den Juwelen im Frankfurter Westen.

Leere Ladenlokale und Warnblicklichter

Am Eingang zur Fußgängerzone stehen heute zwei Tafeln, die zu einem Jubiläum vor vier Jahren aufgestellt wurden, und man sieht überall überfüllte Mülleimer. Wo früher ein Kaufhaus und ein Modeladen waren, da reihen sich jetzt Mobilfunkgeschäfte und Imbissbuden aneinander – und leere Ladenlokale. An der Ecke zur Emmerich-Josef-Straße steht ein Auto, die Warnblinklichter leuchten im Takt, bis die Insassen nach ein paar Minuten von irgendeiner Erledigung zurückkehren. „Das ist hier leider Dauerzustand, und keiner kontrolliert oder sanktioniert das“, sagt Serke. „Das verstärkt den Eindruck, dass das hier ein rechtsfreier Raum ist. Das ganze Ambiente stört das Sicherheitsempfinden der Menschen zusätzlich.“

Das „zusätzlich“ bezieht sich darauf, dass es immer wieder zu Zwischenfällen in der Gegend zwischen dem gut 200 Meter entfernten Bahnhof und der Königsteiner Straße kommt. Serke überlegt, ob es vielleicht sinnvoll wäre, die Straße wieder von einer Fußgängerzone zu einer Einbahnstraße umzurüsten. „Das würde wieder mehr Ordnung hier reinbringen. In jedem Fall darf es keine Denkverbote geben, wenn wir hier etwas verbessern wollen.“

Für all ihre Vorhaben braucht die Ortsvorsteherin allerdings die Unterstützung der Stadt. Oberbürgermeister Mike Josef (SPD) steht dabei sowohl in der formalen, als auch in einer eher moralischen Pflicht: Denn als Stadtoberhaupt ist er aufgrund einer Regelung des Eingemeindungsvertrags von 1928 in Personalunion auch Dezernent für die westlichen Stadtteile. Dem Sonderstatus von Höchst sind im Übrigen auch andere Regelungen geschuldet: Beispielsweise muss es im Stadtteil immer ein Hallen- und ein Freibad geben. Zudem gibt es eine eigene Verwaltungsstelle, die nach jahrelanger Vakanz mittlerweile immerhin wieder besetzt ist.

In der Wirklichkeit habe sich, so Serke, das Privileg für den Westen bei Josefs Vorgängern oft auf die jährliche Audienz im Bolongaropalast beschränkt, wo das Stadtoberhaupt Vertretern der Stadtteile oder Vereine oder auch des Klinikums und des Industrieparks als größtem Arbeitgeber für Gespräche zur Verfügung steht. Bei Josef hofft Serke nun auf mehr eigenes Interesse, schließlich habe der neue Oberbürgermeister einige Jahre mit seiner Familie selbst in Höchst gelebt und sei nach eigenen Worten „nicht wegen des Westens“ weggezogen.

Serke vermisst aber noch die entscheidenden Impulse für Verbesserungen. Etwas neidisch blickt sie auf das Frankfurter Bahnhofsviertel, wo mittlerweile Missstände entschlossener angegangen würden, wie sie findet. „Natürlich verstehe ich, dass das noch Priorität hat, aber ich hoffe doch sehr, dass bei uns auch ein wenig mehr getan wird“, sagt sie. Auch in Höchst müsse mehr Polizeipräsenz möglich sein, die Straßen müssten sauber gehalten werden, der Sperrmüll schneller entsorgt werden. „Auch die Betreuungssituation von Kindern ist verbesserungsbedürftig, Parkplatzprobleme oder der Zustand der Schulen sind eine Belastung.“

Das Fremdeln beruht auf Gegenseitigkeit

Diese Aufzählung könnte Serke fortsetzen. Der Mangel an mindestens einer, eher sogar mehreren weiterführenden Schulen ist so ein Problem. Vieles liege im Argen nach einem Niedergang, der mit dem Strukturwandel von Höchst zusammenhänge, meint die Ortsvorsteherin. Einschneidend sei selbstverständlich die Zerschlagung der Hoechst AG vor einem Vierteljahrhundert gewesen, womit dem Stadtteil so etwas wie der Schutzpatron verloren gegangen sei. Aber auch das nur zwei Kilometer entfernte Main-Taunus-Zentrum habe dem Einzelhandel in Höchst geschadet. Dennoch gebe es noch immer eine hohe Identifikation mit dem Ortsteil. Alteingesessene, Zugezogene und auch gut inte­grierte Migranten engagierten sich. Das motiviere sie, weil es „um meine Heimat“ geht. Sie selbst identifiziert sich noch heute so sehr mit den westlichen Stadtteilen, dass sie davon spricht, „nach Frankfurt zu fahren“, wenn sie zur Arbeit oder in den Römer muss. „Das sage ich nicht anders, als wenn ich jemandem erzähle, dass ich nach Mainz fahre“, sagt sie.

Dieses Fremdeln beruht aber offenbar auf Gegenseitigkeit. Immer wieder unterlaufen der Stadt protokollarische Ärgernisse: Als kürzlich eine Behelfslösung für die Omegabrücke in Griesheim vorgestellt wurde, haben Serke und der Ortsbeirat keinen Hinweis zum Termin erhalten und erst morgens aus der Zeitung davon erfahren. „Wenn aber was schiefläuft, sind wir Ortsbeiräte die ersten, die den Frust abbekommen.“

In dem Gremium herrsche immerhin Einigkeit. „Wir gehen kollegial miteinander um und sind in den Grundanliegen auch meist einer Meinung, nur in den Details unterschiedlicher Ansicht. Wir alle fordern beispielsweise dringend eine neue weiterführende Schule, als CDU sind wir für ein Gymnasium, andere Fraktionen eher für eine Gesamtschule“, sagte Serke. Andere drängende Themen seien der Markt samt Markthalle, um deren Erhalt in einer klassischen Art statt der „szenigen Form wie am Friedberger Platz oder andernorts“ die Stadtteilvertreter gerade kämpfen. Dem Ortsbeirat sei es zudem wichtig, dass die 19 Mitglieder parteiübergreifend alle Ortschaften zumindest durch ein Mitglied vertreten. Dadurch könne man sich kollegial gegenseitig aushelfen, wenn es um Anliegen oder Termine vor Ort gehe.

Für den Ortsbeirat setzt sich Serke nach Kräften ein, beruflich tritt sie deshalb kürzer. Die 400 Euro Aufwandsentschädigung für das Ehrenamt als Ortsvorsteherin könnten das nicht aufwiegen, zumal die „locker draufgehen für Fahrtkosten oder auch für die Hemdenpflege in der Reinigung, weil abends einfach keine Zeit mehr bleibt fürs Hemdenbügeln im eigenen Haushalt.“ Umso ärgerlicher sei es, wenn sie dann E-Mails erhalte in einem fordernden Tonfall von Menschen, die offenbar den Posten der Ortsvorsteherin für eine gut bezahlte Vollzeitstelle hielten. „Wenn man den Menschen dann ausführlich erklärt, dass man das neben der normalen Arbeit macht, dann entschuldigen sich die meisten immerhin und reagieren höflich.“ Aber Serke will nicht meckern. Sie bezeichnet es vielmehr als eine Ehre, im Zusammenspiel mit allen Ortsbeiräten wenigstens ansatzweise etwas bewegen zu können. „Die Hoffnung habe ich immer noch. Es geht schließlich um meine Heimat, um unsere Heimat, an der das Herz hängt.“

In vier Jahren steht für diese Heimat ein Jubiläum an: 100 Jahre Eingemeindung. Sie sei schon gefragt worden, wie der Westen das feiern wolle, sagt Serke. „Aber eigentlich muss man die Frage doch an den Römer richten. Frankfurt müsste feiern, dass sie uns dazubekommen haben.“

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