Energie : So geht es mit der Gas-Versorgung weiter

energie : so geht es mit der gas-versorgung weiter

Frankfurt (Oder) (Brandenburg): In einer Baugrube in Frankfurt (Oder) überprüft am 18.02.2003 ein Mo data-portal-copyright=

Noch nie wurde so intensiv über die Zukunft des Gasnetzes in Deutschland diskutiert. Kann es auf Wasserstoff umgestellt werden – oder wird es stillgelegt?

Als im März bekannt wurde, dass große Gasabnehmer in Augsburg von den dortigen Stadtwerken den Hinweis bekommen hatten, die Belieferung mit Erdgas werde in zehn Jahren eingestellt, wirkte das für viele Bürgerinnen und Bürger wie ein Weckruf. Vielen Gasverbraucherinnen und Gasverbrauchern wurde klar, dass die Versorgung mit Erdgas nicht ewig erfolgen wird.

Zwar bemühten sich die Stadtwerke Augsburg in den Tagen darauf, die Wogen zu glätten. Die Rede war von einer teilweise irreführenden Presse-Berichterstattung. Es werde niemandem „der Gashahn zugedreht“. Die Gasversorgung bleibe im Rahmen der gesetzlichen Regelungen weiter gesichert. Es sei derzeit kein Rückbau des Gasnetzes geplant, hieß es ergänzend bei den Stadtwerken Augsburg.

Doch es wurde auch deutlich, dass es an der Zeit ist, sich mit der Zukunft der Gasnetze zu befassen. Grundsätzlich kommen zwei Möglichkeiten in Betracht: die Stilllegung oder die Umstellung auf klimaneutrale Alternativen wie Biogas oder Wasserstoff.

Die Branche weist darauf hin, dass sich die Zukunft der Gasnetze nicht kurzfristig und pauschal klären lässt: „Die Transformation der Gasnetze wird ein heterogener Prozess sein, der sich über zwei Dekaden erstrecken wird, wobei der Umbau nicht überall im gleichen Tempo erfolgt“, sagt Kerstin Andreae, Chefin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Eine große Herausforderung bestehe darin, allgemeingültige, verbindliche Planungsgrundlagen zu schaffen.

Wie aber geht es denn nun weiter mit den Gasverteilnetzen? Das Handelsblatt gibt Antwort auf die wichtigsten Fragen.

Wie wird die Zukunft der Gasverteilnetze geregelt?

Das Bundeswirtschaftsministerium will einen verbindlichen Rahmen für die Transformation der Gasnetze schaffen. Ende vergangener Woche endete der Konsultationsprozess zum „Green Paper“ des Ministeriums zur Zukunft der Gasverteilnetze. Branchenverbände, die Bundesländer und weitere Akteure waren aufgerufen, sich an der Debatte um die Zukunft der Gasverteilnetze zu beteiligen. Im Ministerium würden nun Stellungnahmen ausgewertet, heißt es in der Behörde. In den nächsten Monaten werde es dazu weitere Treffen mit den Beteiligten geben, um sich über die Relevanz und Komplexität der Transformation der Gasverteilnetze auszutauschen. Am Ende des Prozesses sollen dann verbindliche Regelungen stehen.

Welche Bedeutung haben die Verteilnetze?

Die Verteilnetze gehören zum Kern der deutschen Energieinfrastruktur. Auf einer Länge von 555.000 Kilometern strömt das Gas zu den Endkunden. 19,6 Millionen der insgesamt 40,6 Millionen Wohnungen in Deutschland werden mit Erdgas beheizt. Hinzu kommen 1,8 Millionen Erdgasabnehmer aus Industrie und Gewerbe. Nicht erfasst sind von dem Konsultationsprozess die Ferngasleitungen. Sie stellen die übergeordnete Netzebene dar, sie sind die „Autobahnen“ des Erdgasnetzes und transportieren große Mengen Erdgas quer durch das ganze Land.

Die Ferngasleitungen sind Teil eines europäischen Verbundsystems. Über die Leitungen läuft auch der Import von Erdgas. Ein großer Teil der Ferngasleitungen soll in den kommenden Jahren auf den Wasserstoff-Transport umgestellt werden. Die Leitungen werden damit Teil des von der Ampelkoalition initiierten Wasserstoff-Kernnetzes.

Können die Gasverteilnetze auf Wasserstoff umgestellt werden?

Das wäre möglich. Der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW), ein technisch-wissenschaftlicher Branchenverband, weist in seiner Stellungnahme zum Green Paper des Wirtschaftsministeriums darauf hin, die Rohrleitungen in den deutschen Gasverteilnetzen bestünden zu über 97 Prozent aus wasserstofftauglichen Materialien wie Stahl und Kunststoff. Aus technischer Sicht stellten auch die Armaturen und Einbauteile in Gasverteilnetzen keine grundlegenden Hürden bei der Umstellung auf Wasserstoff dar.

Der DVGW befasst sich seit Jahren intensiv in verschiedenen Forschungsprojekten mit der Wasserstoffkompatibilität des Gasverteilnetzes und entwirft Regeln für die Umstellung. Die technische Regelsetzung gehört zu den Kernkompetenzen des DVGW.

Welche Rolle wird Wasserstoff im Gasverteilnetz der Zukunft spielen?

Was technisch möglich ist, das ist noch lange nicht politisch gewollt. Die Umrüstung des Gasverteilnetzes von Erdgas auf Wasserstoff soll nach Auffassung des Bundeswirtschaftsministeriums nur eine Nebenrolle spielen. Die Stilllegung des Gasverteilnetzes genießt für das Ministerium Priorität.

Dahinter steckt die Annahme, dass elektrische Wärmepumpen und Wärmenetze in Zukunft die Standardlösung zur Beheizung von Gebäuden darstellen. Der Einsatz von Wasserstoff soll nach Überzeugung des Ministeriums auf die Anwendungsbereiche beschränkt werden, in denen es keine Alternativen gibt. Damit würde der Einsatz von Wasserstoff im Gasverteilnetz auf wenige Abnehmer in Industrie und Gewerbe begrenzt.

Weite Teile der Energiebranche, darunter der DVGW und der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU), in dem die Stadtwerke zusammengeschlossen sind, halten diesen Ansatz für falsch. Sie wehren sich gegen zu starke Beschränkungen des Wasserstoff-Einsatzes. VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing sagt: „Wir dürfen uns nicht von einzelnen Systemen oder Energieträgern abhängig machen: Die Wärmeversorgung von Gewerbebetrieben und Haushalten braucht mehrere starke Schultern. Wasserstoff wird auch im Rahmen der kommunalen Wärmeplanung eine relevante Rolle spielen.“ Gerald Linke, Vorstandsvorsitzender des DVGW, warnt: „Nicht die Stilllegung der dringend für die Energiewende benötigten Gasinfrastruktur sollte im Mittelpunkt der Diskussion stehen, sondern deren Weiterentwicklung zur Klimaneutralität.“

Kurzfristige Kündigung des Gasanschlusses soll ausgeschlossen werden

Viele Gasverteilnetzbetreiber denken bereits intensiv über eine Umstellung von Erdgas auf Wasserstoff nach. „Netzbetreiber und die lokal verantwortlichen Stellen brauchen die Freiheit, die vor Ort beste Lösung umzusetzen“, sagt Florian Feller, Vorsitzender von „H2 vor Ort“. Die Initiative vereint 49 Gasverteilnetzbetreiber, die mehr als 50 Prozent der deutschen Gasverteilnetzkilometer und Netzanschlüsse betreiben. Eine Umfrage von „H2 vor Ort“ zeigt, dass 90 Prozent von rund 1000 befragten Kommunen auf Wasserstoff und klimaneutrale Gase setzen oder einen Einsatz für möglich halten. Nur fünf Prozent sehen der Umfrage zufolge keinen zukünftigen Einsatz klimaneutraler Gase.

Wer muss damit rechnen, dass der Gasanschluss gekündigt wird?

Überraschende Kündigungen des Gasanschlusses sind für viele Verbraucherinnen und Verbraucher wahrscheinlich ein Schreckensszenario – und werden nach übereinstimmender Darstellung von Politik und Energiebranche in der Realität keine Rolle spielen. „Selbstverständlich muss sichergestellt werden, dass Gasnetzbetreiber die Lieferung nicht kurzfristig kündigen können, wenn es für einen Betrieb wirtschaftlich weniger attraktiv ist. Hier müssen die Verbraucher geschützt werden“, heißt es aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Beim DVGW heißt es, Anschlusskündigungen sollten erst dann erfolgen, wenn eine gesicherte alternative Energieversorgung gewährleistet werden könne. „Zeitlich hat dies grundsätzlich mit ausreichend Vorlauf zu erfolgen, da gewerbliche und private Anlagenbesitzer ihre Anlagen umstellen müssen“, schreibt der DVGW.

Kommunale Wärmeplanung soll Klarheit bringen

Überraschende Kündigungen sollen auch durch die sogenannte Wärmeplanung verhindert werden, zu der Kommunen seit einiger Zeit gesetzlich verpflichtet sind: Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern müssen die Planung bis zum 30. Juni 2026 vorlegen. Kleinere Kommunen haben Zeit bis zum 30. Juni 2028. Anhand der Wärmeplanung können Hauseigentümer ermitteln, ob sie ihr Gebäude beispielsweise an ein Fernwärmenetz anschließen können oder ob die elektrische Wärmepumpe in ihrem Quartier das bevorzugte Instrument ist.

Welche Alternativen zum Gasanschluss haben die 1,8 Millionen Gaskunden aus Handel und Gewerbe?

Erdgas hat in Industrie und Gewerbe aktuell eine bedeutende Rolle. Mitunter lässt es sich nach heutigem Stand der Technik nicht oder nur sehr schwer durch Verfahren ersetzen, die auf dem Einsatz von Strom basieren. Neben den technischen Hürden für eine Umstellung auf strombasierte Verfahren steht ein weiteres Problem: Die Kapazitäten der Stromleitungen reichen nicht aus, um Industrieunternehmen eine Umstellung zu ermöglichen. Außerdem ist grüner Strom nicht immer in ausreichender Menge verfügbar. Viele Unternehmen werden daher auch in Zukunft auf einen gasförmigen Energieträger angewiesen sein. Neben Wasserstoff kann das beispielsweise auch Biogas sein.

Bedeutet Stilllegung auch Rückbau des Netzes?

Der BDEW wehrt sich gegen einen anlasslosen, flächendeckenden Rückbau von Gasnetzinfrastrukturen. „Es sollte gesetzlich verankert werden, dass stillgelegte Leitungen grundsätzlich im Boden verbleiben können“, fordert der Verband. Der DVGW hält das für sachgerecht: „Ein Rückbau von Verteilnetzen ist nach heutigen Kenntnissen weder erforderlich noch wirtschaftlich sinnvoll und sollte auch nicht in Erwägung gezogen werden“, empfiehlt der DVGW.

Werden Netzbetreiber zwangsverpflichtet, Netze weiterzubetreiben, wenn ihre Konzessionsverträge mit der Kommune auslaufen?

Gasverteilnetzbetreiber haben mit der Kommune, auf deren Gebiet sie ein Gasnetz betreiben, einen Konzessionsvertrag geschlossen. Gegenstand des Konzessionsvertrags ist das zwischen dem Netzbetreiber und der Gemeinde vereinbarte Recht über die Nutzung öffentlicher Verkehrswege für die Verlegung und den Betrieb von Leitungen. Die Verträge haben eine Laufzeit von bis zu 20 Jahren. Künftig könnte die Situation eintreten, dass ein Netzbetreiber nach dem Auslaufen des Konzessionsvertrags kein Interesse mehr hat, diesen zu verlängern, und sich auch sonst kein Unternehmen findet, das einen neuen Konzessionsvertrag abschließen will.

Das könnte etwa dann der Fall sein, wenn die Zahl der Gaskunden drastisch sinkt und Betrieb und Erhalt des Netzes dadurch wirtschaftlich immer uninteressanter werden. Sollen Netzbetreiber verpflichtet werden können, das Netz dennoch weiterzubetreiben?

Philipp Steinberg, Abteilungsleiter im Bundeswirtschaftsministerium, sagte in der vergangenen Woche beim Stadtwerke-Kongress des Handelsblatts, der Bund wolle niemandem den Netzbetrieb „ans Bein binden“. Gleichwohl müsse für solche Fälle eine Lösung gefunden werden. Der BDEW warnt: Eine gesetzliche Verpflichtung zum Weiterbetrieb des Netzes durch den Altkonzessionär, auch unter unwirtschaftlichen Bedingungen und gegen dessen Willen, sei äußerst kritisch zu bewerten.

Der Gegenvorschlag des Verbands: „Findet sich kein Neukonzessionär, sollte die Kommune das Eigentum an den Netzen übernehmen und selbst betreiben beziehungsweise einen geeigneten Netzbetreiber mit der Betriebsführung beauftragen. Der Netzbetreiber kann nicht zu einem unwirtschaftlichen Betrieb des Netzes verpflichtet werden“, warnt der Verband.

Welche Rolle wird Biogas im künftigen Gasverteilnetz spielen?

Im „Green Paper“ des Ministeriums spielt Biogas nur eine untergeordnete Rolle. Die Biogasbranche kritisiert das. Die vielen Vorteile und Potenziale einer Umstellung von Gasnetzen auf den Transport von Biogas, das auch als erneuerbares Methan oder Biomethan bezeichnet wird, würden nicht ernst genommen. „Für die saisonale Energiespeicherung und die Befeuerung von Gaskraftwerken und flexiblen KWK-Anlagen eignet sich erneuerbares Methan besser als Wasserstoff“, sagt Horst Seide, Präsident des Fachverbands Biogas. KWK steht für Kraft-Wärme-Kopplung.

In KWK-Anlagen werden die Strom- und die Wärmeproduktion kombiniert. Durch die Erschließung weiterer Ausgangsstoffe für die Biogas-Herstellung, die in keiner Konkurrenz zur Nahrungs- und Futtermittelproduktion stünden, und durch die Umrüstung von Bestandsanlagen könne auch in Deutschland die Einspeisung von erneuerbarem Methan gegenüber heute um ein Vielfaches gesteigert werden.

Erstpublikation: 17.04.2024, 04:30 Uhr.

News Related

OTHER NEWS

Ukraine-Update am Morgen - Verhandlungen mit Moskau wären „Kapitulationsmonolog" für Kiew

US-Präsident Joe Biden empfängt Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus. Evan Vucci/AP/dpa Die US-Regierung hält Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zum jetzigen Zeitpunkt für „sinnlos”. Bei einem Unwetter in Odessa ... Read more »

Deutschland im Wettbewerb: Subventionen schaden dem Standort

Bundeskanzler Olaf Scholz am 15. November 2023 im Bundestag Als Amerikas Präsident Donald Trump im Jahr 2017 mit Handelsschranken und Subventionen den Wirtschaftskrieg gegen China begann, schrien die Europäer auf ... Read more »

«Godfather of British Blues»: John Mayall wird 90

John Mayall hat Musikgeschichte geschrieben. Man nennt ihn den «Godfather of British Blues». Seit den 1960er Jahren hat John Mayall den Blues geprägt wie nur wenige andere britische Musiker. In ... Read more »

Bund und Bahn: Einigung auf günstigeres Deutschlandticket für Studenten

Mit dem vergünstigten Deutschlandticket will Bundesverkehrsminister Wissing eine junge Kundengruppe dauerhaft an den ÖPNV binden. Bei der Fahrkarte für den Nah- und Regionalverkehr vereinbaren Bund und Länder eine Lösung für ... Read more »

Die Ukraine soll der Nato beitreten - nach dem Krieg

Die Ukraine soll nach dem Krieg Nato-Mitglied werden. Die Ukraine wird – Reformen vorausgesetzt – nach dem Krieg Mitglied der Nato werden. Das hat der Generalsekretär des Militärbündnisses, Jens Stoltenberg, ... Read more »

Präsidentin droht Anklage wegen Tod von Demonstranten

Lima. In Peru wurde eine staatsrechtlichen Beschwerde gegen Präsidentin Dina Boluarte eingeleitet. Sie wird für den Tod von mehreren regierungskritischen Demonstranten verantwortlich gemacht. Was der Politikerin jetzt droht. Perus Präsidentin ... Read more »

Novartis will nach Sandoz-Abspaltung stärker wachsen

ARCHIV: Das Logo des Schweizer Arzneimittelherstellers Novartis im Werk des Unternehmens in der Nordschweizer Stadt Stein, Schweiz, 23. Oktober 2017. REUTERS/Arnd Wiegmann Zürich (Reuters) – Der Schweizer Pharmakonzern Novartis will ... Read more »
Top List in the World