Hasskriminalität: Nancy Faesers „Kampf gegen rechts“ gerät außer Kontrolle

hasskriminalität: nancy faesers „kampf gegen rechts“ gerät außer kontrolle

Wirft ihren Kritikern eine „Verdrehung der Tatsachen“ vor: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).

Denk- und Sprachmuster, die sich nicht in unsere Sprache einnisten dürfen. Hass unterhalb der Strafbarkeitsgrenze. Verhöhnung des Staates.

Die Minister der Ampelkoalition bringen in ihrem Kampf gegen Rechtsextremismus ein Vokabular in Stellung, das die Grenze zwischen legalen und strafbaren Handlungen verwischt – und das jedem liberalen Verfassungsrechtler sauer aufstoßen muss.

Entsprechend zitiert die Bild am Sonntag mehrere namhafte Juristen und Politiker, die mahnen: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) muss die Grenzen der Verfassung achten – auch und erst recht dann, wenn es um den Kampf gegen Verfassungsfeinde geht.

Dabei ist es richtig, wenn Verfassungsrechtler und Politiker Faeser kritisieren. So warnt Staatsrechtler und Ex-Verteidigungsminister Rupert Scholz (CDU), die Verfassungsschutz-Kategorie „Delegitimierung des Staates“ erinnere ihn an den DDR-Straftatbestand „staatsfeindliche Hetze“. Und FDP-Urgestein Gerhart Baum kritisiert Faesers Plan, Gesinnungsprüfungen für pensionierte politische Beamte einzuführen: „Wir müssen dem Staat nicht beweisen, dass wir Demokraten sind“, sagt er. Zu Baums Zeit stellte der Staat Anwärter auf den öffentlichen Dienst unter den Generalverdacht des Linksextremismus und überprüfte sie auf ihre Verfassungstreue. Baum hatte diesen Radikalenerlass zu seiner Zeit als Innenminister gekippt.

Faeser hätte sich diese Kritik zu Herzen nehmen und gegebenenfalls ihre Politik überdenken sollen. Es kommt nun einmal vor, könnte man sagen, dass übereifrige Innenminister einen Tunnelblick entwickeln: hier die wehrhafte Demokratie, dort ihre Feinde. Und wenig dazwischen. Stattdessen entschied sich die Ministerin, zum politischen Gegenangriff überzugehen und weiteren Flurschaden anzurichten. Auf X schrieb sie über den Zeitungsbericht: Es sei eine „Verdrehung der Tatsachen“, den Kampf gegen Rechtsextremismus als „Eingriff in die Meinungsfreiheit zu diskreditieren“. Und weiter: „Wir bekämpfen Hasskriminalität, weil sie zu mörderischer Gewalt wie dem Attentat auf Dr. Walter Lübcke geführt hat.“

Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Nicht nur diskreditiert die Ministerin ihre Kritiker – erfahrene Juristen und Politiker –, indem sie ihnen eine „Verdrehung der Tatsachen“ vorwirft. Sie spricht auch von „Hasskriminalität“, obwohl dieser Begriff in keinem deutschen Gesetzbuch als Tatbestand aufgeführt ist. Und sie instrumentalisiert für ihre Argumentation den rechtsterroristischen Mord am hessischen Kommunalpolitiker Lübcke.

Dabei gilt jedoch: Es hätte gar nicht die juristische Kategorie der „Hasskriminalität“ gebraucht, um den Mörder des engagierten hessischen CDU-Politikers Walter Lübcke rechtzeitig zu stoppen. Als der vorbestrafte Neonazi Stephan Ernst seelenruhig seine „Feinde“ ausspähte und sich Waffen beschaffte, hätten die zuständigen Sicherheitsbehörden nicht wegschauen dürfen. Bis heute muss sich das hessische Landesamt für Verfassungsschutz die Frage gefallen lassen, warum es den Mord am 1. Juni 2019 geschehen ließ und nicht rechtzeitig eingriff.

Über die hessischstämmige Sozialdemokratin Faeser heißt es, sie sei mit Lübcke befreundet gewesen. Auch vor diesem persönlichen Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass sie den Rechtsextremismus entschlossen bekämpfen will: Nie wieder soll einer wie Walter Lübcke von einem Rechtsterroristen ermordet werden. Doch der Begriff der „Hasskriminalität“ ist denkbar ungeeignet, um dieses Problems Herr zu werden.

Das liegt vor allem an seiner Unschärfe: „Hate crime“ ist im angloamerikanischen Sprachraum ein Straftatbestand, der alle möglichen Gewalttaten mit Diskriminierungsbezug umfasst. Dabei wird die Meinungsfreiheit in den USA viel weiter gefasst als hierzulande. „Hasskriminalität“ wird deshalb gemeinhin von „Hassrede“ abgegrenzt, also von abwertenden Äußerungen über Personengruppen, die in der Regel legal sind. Im amerikanischen Rechtsrahmen ergibt das Sinn.

Mit dem deutschen Rechtssystem, das der Meinungsfreiheit ohnehin enge Grenzen setzt, wäre diese Unterscheidung schwerer zu machen. Die Kategorie „Hasskriminalität“ ist nach Ansicht kundiger Juristen zu schwammig für den deutschen Rechtsstaat, der klar zwischen zulässigen Meinungsäußerungen und strafbarer Beleidigung beziehungsweise Volksverhetzung unterscheiden muss. Sie befürchten einen Rückfall ins Gesinnungsstrafrecht, sollte diese Kategorie jemals hierzulande zur Anwendung kommen.

Die Juristin Faeser tut deshalb niemandem einen Gefallen, indem sie einen fiktiven Tatbestand in die Debatte einführt, der geltende Rechtsgrundsätze aufweicht – am wenigsten ihrer eigenen Zunft. Und sie vergisst in ihrem Verfolgungseifer gegen rechtsextreme Umtriebe eine elementare Maxime: Man kann die Demokratie nicht verteidigen, indem man ihre freiheitlichen Grundlagen untergräbt.

Das wusste seinerzeit auch Gerhart Baum, als er nach dem „Deutschen Herbst“ eine Phase „neuer Nachdenklichkeit“ in den deutschen Sicherheitsbehörden einläutete und den Radikalenerlass abschaffte. Er wollte dem Klima des Verdachts in den Behörden entgegensteuern, auch wenn die RAF zu dem Zeitpunkt noch nicht vollständig besiegt war. Viele Bürger sind dafür dem 91-Jährigen bis heute dankbar. Ein Gespräch mit Baum könnte Faeser dabei helfen, ihren Tunnelblick zu weiten.

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