U.S. President Joe Biden meets with Chinese President Xi Jinping on the sidelines of the G20 leaders data-portal-copyright=
Mit dem amerikanischen Tiktok-Bann eskaliert der Wirtschaftskrieg mit China. Die Ära der Globalisierung weicht einer neuen Blockkonfrontation. Auch die EU geht gegen chinesische Firmen vor.
„Endlich, endlich, endlich!“, rief Chuck Schumer, der demokratische Mehrheitsführer im US-Senat, kurz nachdem die Kammer ein 95 Milliarden schweres Verteidigungspaket verabschiedet hatte. Kombiniert war es mit einem Anti-Tiktok-Gesetz, das zu einem Verbot der App in den USA führen könnte. „Wir schreiben Geschichte“, sagte Schumer. „Wir senden unseren Feinden die Botschaft: Legt euch nicht mit uns an.“
Beim Tiktok-Verbot heißt der Feind China. In der Logik der amerikanischen Abschreckung steht das Land längst in einer Reihe mit Schurkenstaaten und Kriegstreibern. Dass Millionen von Amerikanern täglich viele Stunden mit einer chinesischen App verbringen, ärgert Demokraten wie Republikaner. 79 von 100 Senatoren stimmten für den Bann. So viel Einigkeit erlebt man im polarisierten Washington selten.
Die Tiktok-Entscheidung ist nur das jüngste Beispiel in einer ganzen Reihe von Maßnahmen, die Chinas Macht eindämmen sollen. Vergangene Woche kündigte US-Präsident Joe Biden an, die Zölle auf bestimmte Stahl- und Aluminiumprodukte aus der Volksrepublik zu verdreifachen. Er hat zudem weitreichende Tech-Sanktionen und Exportkontrollen gegen China erlassen, Screenings von Kapitalflüssen nach China eingeführt und eine Untersuchung gegen chinesische E-Auto-Importe veranlasst.
Es sind harsche Maßnahmen, die gleichzeitig nur Vorboten viel bedeutenderer Verschiebungen sein könnten. Deglobalisierung, Entkopplung, der zweite Kalte Krieg: In der politischen Debatte kursieren viele Begriffe, die die Konfrontation zwischen den USA und China umschreiben. Die Fragmentierung der Weltwirtschaft, vor der Ökonomen seit Längerem warnen, schreitet voran.
Ob das Vorgehen mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO im Einklang ist, spielt praktisch keine Rolle mehr. Für die USA geht es im Kampf mit der Volksrepublik um Fragen der „nationalen Sicherheit“. Ob bei Tiktok, Autos oder Stahlzöllen. Moritz Schularick, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft, sieht aufseiten der USA eine klare „Strategie der Abkoppelung“. Das zeige sich bereits in den Wirtschaftskennzahlen zu Zukunftssektoren wie Computerchips, Daten und Telekommunikationstechnologien.
Allerdings bleibe dieses „beginnende Decoupling“ offensichtlich nicht auf wenige Tech-Sektoren beschränkt. „Auch bei Direktinvestitionen und beim Güterhandel beobachten wir, dass sich Waren- und Finanzströme immer stärker an geopolitischen Koalitionen ausrichten“, sagt Schularick. „Sicherheitspolitische Kalküle und geopolitische Risiken“ würden in den nächsten Jahren noch mehr an Bedeutung für die Weltwirtschaft gewinnen.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) warnt in seinem jüngsten „World Economic Outlook“, die geoökonomische Fragmentierung sei ein Fakt und „könnte den Welthandel und das Wohlstandswachstum in den kommenden Jahren belasten“. So ist der Anteil Chinas an den US-Importen zwischen 2017 und 2023 von 21,6 Prozent auf 13,9 Prozent gefallen, wie das Ifo-Institut errechnet hat.
Ifo-Präsident Clemens Fuest warnt vor den „enormen Kosten dieser Politik“. Die Entkopplung werde für beide Seiten „umso teurer, je weiter sie voranschreitet“, so der Ökonom: „Hinzu kommt, dass die US-Regierung die Abkopplung vor allem in Bereichen will, die sie als strategisch wichtig ansieht.“
Noch sind die USA und die EU mit jeweils gut 460 Milliarden Euro im Jahr 2023 die mit Abstand größten Exportpartner der Volksrepublik. Doch Biden will verhindern, dass sich der Chinaschock der Nullerjahre wiederholt, als die Preisvorteile chinesischer Unternehmen den Niedergang der US-Industrie beschleunigten. Darum schottet Washington den amerikanischen Markt ab. Im Wahlkampf ist die Abgrenzung von China Bidens Leitmotiv.
Biden verfolgt eine radikale Anti-China-Politik
„Früher waren wir in Forschung und Entwicklung weltweit die Nummer eins. Jetzt sind wir auf Platz neun“, erzählt er bei Wahlkampfauftritten. Sein Mantra: „Wir dürfen uns nie wieder abhängen lassen.“ Der Präsident verfolgt in mancher Hinsicht sogar eine radikalere Anti-China-Politik als sein Vorgänger Donald Trump, der eher sporadisch auf technologische Entkopplung setzte. Biden versucht, die heimische Produktion gezielt zu stärken und China aus kritischen Zukunftsbranchen auszuschließen, etwa über Milliardensubventionen für die Chip- und Batterieproduktion.
Auch Trump richtet seinen Wahlkampf nach Chinathemen aus. Bei Massenkundgebungen verspricht er einen „Kampf gegen die Kommunisten in Peking“ und einen „globalen Handelskrieg“. Ein Vertrauter des Republikaners bestätigte dem Handelsblatt, Ziel sei ein „strategisches Decoupling“. Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan – einer der wichtigsten Strippenzieher der Regierung und der Kopf hinter Bidens Chinavision – verglich die harte Chinapolitik der Regierung mit „den neuen Weltordnungen nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Kalten Krieg“.
Zwar versicherte Biden bei seinem Gipfeltreffen mit Xi Jinping im November, die USA wollten „Wettbewerb, keinen Konflikt“ – doch gleichzeitig wird China öffentlich zur Bedrohung erklärt. Mittlerweile betrachten 40 Prozent der US-Bürger China als „Feind der Vereinigten Staaten“ und nicht als Konkurrenten oder Partner – das ist ein Anstieg von 13 Prozentpunkten binnen eines Jahres. Gleichzeitig lieben die US-Konsumenten günstige Produkte aus Fernost.
Um seine konjunkturelle Schwächephase zu überwinden, überschwemmt China derzeit die Weltmärkte mit hochsubventionierten Produkten, darunter Solarzellen, E-Autos und Batterien – zur Freude von Konsumenten weltweit. Vier der zehn beliebtesten Apps in den USA stammen aus China. US-Finanzministerin Janet Yellen warnte bei ihrem jüngsten Besuch in Peking vor einer Gefahr durch Chinas Überkapazitäten: „Besonders direkte und indirekte Unterstützung durch die Regierung führt zu einer Produktionskapazität, die deutlich die heimische Nachfrage in China und das, was der Weltmarkt vertragen kann, übersteigt“, sagte sie.
Allerdings gehört Yellen zu den Mahnerinnen innerhalb der US-Regierung. Neuerdings spricht sie wie die Europäer von „Derisking“ statt „Decoupling“. Eine Abkopplung wäre destabilisierend für die Weltwirtschaft, sagte die angesehene Ökonomin neulich. Schon der Versuch der Entflechtung wäre eine „Katastrophe“.
Die Deutschen gehen aus diesem Grund bisher nicht so weit wie die Amerikaner. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach Chinas Handelspraktiken bei seinem Treffen mit dem Staats- und Parteichef Xi Jinping in der vergangenen Woche an. Er betonte aber, den „wirtschaftlichen Austausch“ mit China „fortsetzen und intensivieren“ zu wollen.
Die EU-Kommission ist weniger zurückhaltend. Sie hat inzwischen mehrere Ermittlungen gegen die Handelspraktiken der Chinesen aufgenommen und andere angekündigt. Am Dienstag ließ sie die Büros des chinesischen Unternehmens Nuctech durchsuchen, das unter anderem Sicherheitsscanner für Flug- und Seehäfen herstellt. Am Mittwoch kündigte die Behörde von Ursula von der Leyen eine Untersuchung auf dem Markt für Medizingeräte an. Der chinesische Markt sei für europäische Firmen zunehmend unzugänglich, erklärte die Kommission.
Die Untersuchung ist ein erster Schritt, um später Gegenmaßnahmen gegen chinesische Firmen und Produkte einleiten zu können. Und seit dem vergangenen Jahr laufen Ermittlungen der Kommission gegen chinesische Elektroautohersteller. Mittelfristig könnte der Streit zwischen den USA und China einen positiven Effekt für Europa haben.
„Die sinkende Nachfrage aus den USA verbilligt chinesische Produkte, davon profitieren europäische Konsumenten“, sagt Ökonom Fuest. Europäische Produzenten kämen in Europa zwar stärker unter Konkurrenzdruck der Chinesen, etwa bei Elektroautos. Dafür aber lasse wegen der amerikanischen Anti-China-Maßnahmen die Konkurrenz auf dem US-Markt nach.
Insgesamt allerdings ist klar, dass die Fragmentierung für die globale Ökonomie und für das wirtschaftlich ohnehin angeschlagene Europa zu einer weiteren Belastung wird. Fuest‧ betont: „Letztlich gilt, dass Protektionismus für die Weltwirtschaft insgesamt mehr wirtschaftlichen Schaden als Nutzen anrichtet.“
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