Kommentar - Kleine Kader bei Olympia 2024 im Frauenfußball: Im Minivan nach Paris

“Das wird wehtun”, sagte Horst Hrubesch. Was er damit meinte? Bei dem kurzen Satz bieten sich viele Interpretationsmöglichkeiten an. Als junger Stürmer hätte Hrubesch, früher “Kopfballungeheuer” genannt, den Satz vor einem hart geführten Zweikampf in der Luft sagen können. Oder doch nun, im Alter von 72 Jahren, wenn er seine Pläne für einen Marathonlauf nochmal überdenkt? Nein – dafür bleibt aktuell sowieso wenig Zeit, denn Hrubesch muss ja seine Elf auf ein olympisches Turnier vorbereiten.

Genau das sprach Hrubesch mit seiner Aussage an. Nicht Olympia selbst wird wehtun – schließlich haben die DFB-Frauen hart dafür gearbeitet, um im Juli und August mit Croissant in Frankreich zu sitzen -, sondern die Aufgabe des Interimstrainers vor dem Turnier. 18 Spielerinnen soll er auswählen, und das bereitet ihm schon jetzt Kopfzerbrechen, trübt die Freude des Wiedersehens – Hrubesch hat an die Olympischen Spiele ja ansonsten gute Erinnerungen, gewann 2016 mit den DFB-Männern Silber.

Aber bevor die nostalgischen Gefühle aufkommen können, muss Hrubesch die Kaderauswahl hinter sich bringen. Eine einfache Aufgabe ist das nie, auch wenn das die 80 Millionen Bundestrainer selbstverständlich anders sehen und bereits ihre Traumelf im Kopf haben. Es wird wieder diskutiert werden über Stärken und Schwächen, über Kompabilität und Kurswechsel. Alles wie immer also – nur, dass Hrubesch in einer noch unbequemeren Lage ist als Martina Voss-Tecklenburg vor der WM 2023, die dort schon einige unglückliche, vor allem unglücklich kommunizierte, Entscheidungen traf.

Schon während der WM 2023 Kritik an Kadergröße

Hrubesch hat nur 18 Spielerinnen zur Verfügung statt 23, wie bei der letzten Weltmeisterschaft. Und schon die Größe von 23 Spielerinnen hatte für Kritik gesorgt: Die FIFA lehnte einen Antrag des DFB ab, die Kader auf 26 Spielerinnen zu erweitern. Das sorgte in Deutschland, aber auch bei den anderen Vereinen, für Unverständnis – bei der Männer-WM in Katar 2022 waren die Kader nämlich größer gewesen.

Wegen der vielen Verletzungen im Turnier wurde auch während der WM Kritik an der geringen Kadergröße laut: „Diese Weltmeisterschaft hätte mit 26er-Kadern gespielt werden müssen, um den Stress für die Spielerinnen zu reduzieren und die Trainer angemessen mit Verletzungen umgehen zu lassen”, schrieb etwa Arsenal-Spielerin Vivianne Miedema.

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Spricht häufig über die Belastung der Spielerinnen: Vivianne Miedema | BSR Agency/GettyImages

Im Vergleich zu der jetzigen Situation waren das wohl champagne problems, wie man es in Miedemas Wahlheimat London sagt – Luxusprobleme also. Jetzt, bei Olympia, hat sich die Lage nochmal deutlich verschärft. Fünf Spielerinnen weniger im Kader – das mag nicht nach viel klingen, kann bei der Belastungssteuerung aber sehr viel ausmachen.

Hitze im Hochsommer: Olympia wird ein anstrengendes Turnier

Zwar ist das olympische Turnier nicht komplett vergleichbar mit der letzten WM: Zum einen ist Olympia ein Miniturnier, nur 12 Teams nehmen teil. Dementsprechend geringer ist die Anzahl der Spiele, denn nach der erfolgreich überstandenen Gruppenphase geht es direkt ins Viertelfinale, statt ins Achtelfinale. Ein Spiel weniger also – ob das nun den Kohl fett macht, ist aber fraglich.

Für die DFB-Frauen wird das Turnier auch wegen der wegfallenden Zeitverschiebung weniger anstrengend als das in Australien – aber für Brasilien, die USA oder Japan gilt dieses Argument natürlich nicht. Dazu gibt es einen weiteren, erschwerenden Faktor, den Hrubesch bereits angesprochen hat.

In Marseille oder Lyon werden die Temperaturen im Hochsommer wahrscheinlich um die 30 Grad betragen. “Wir müssen körperlich fit, vom Kopf her klar sein”, sagte Hrubesch deshalb bereits. Kurz: Von der Belastung der Spielerinnen wird sich Olympia also nicht zu sehr von anderen Turnieren unterscheiden. Warum also nur so ein kleiner Kader?

Gerade mit Blick auf die stark gestiegene Belastung im Frauenfußball scheint die Minigröße wenig sinnvoll. Olympia 2021, EM 2022, WM 2023, nun nochmal Olympia: Irgendwas ist immer los, und wie sehr das auf Kopf und Körper schlägt, haben bereits zahlreiche Spielerinnen angesprochen. Die Anzahl der Spiele einer Topspielerin in einer Saison ist binnen kurzer Zeit von ca. 35 auf bis zu 50 gestiegen – Champions-League-Reform und Nations League sei Dank.

In der französischen Hitze wird sich diese Müdigkeit wohl noch mehr bemerkbar machen. Klar: Ob ein Trainer 18 oder 23 Spielerinnen zur Verfügung hat, das macht, auf ein einzelnes Spiel gesehen, keinen Unterschied – denn die Anzahl an Einwechselungen ist ja in jedem Fall begrenzt. Und da es bei Olympia in jedem Spiel um alles geht, wird die Rotation bei vielen Teams wohl eher gering ausfallen. Auf Verletzungen können Hrubesch und seine amerikanischen, spanischen und japanischen Kolleginnen und Kollegen zudem reagieren – dazu gibt es die vier Spielerinnen, die auf Abruf stehen.

DFB protestiert – schon 2016 gab es Kritik

Und trotz alldem sind die 18er-Kader völlig aus der Zeit gefallen, zudem es kaum probate Gründe dagegen gibt, die Spielerinnen zu schonen. Der DFB hat sich daher gemeinsam mit anderen europäischen Nationen beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) beklagt, aber mit geringen Erfolgsaussichten. Vorsicht ist aus Sicht der Regelhüter der Ringe wohl wichtig, aber: Die olympischen Traditionen! Bloß nichts ändern.

Der DFB steht hier ausnahmsweise als fortschrittlich da, brachte er das Thema doch schon vor acht Jahren auf. 2016 beschwerte sich die damalige Bundestrainerin Silvia Neid über den Schrumpfkader – auch mit ihren 18 gelang ihr der Coup, die Goldmedaille zu holen. Gut, dass das den DFB nicht davon abgehalten hat, erneut gegen die unnütze und unzeitgemäße Regelung zu protestieren.

Die Beweggründe des IOC bleiben schleierhaft. Vielleicht ist schlicht das Geld und der Mehraufwand für weitere Spielerinnen der entscheidende Punkt. Aber daran, fünfmal Baguette und Croissant zu finanzieren, sollte es eigentlich nicht scheitern. Aus dem Finanzbericht des IOC von diesem Jahr ist etwa zu entnehmen, dass allein der Generaldirektor Christophe de Kepper im Jahr 2022 etwa 1,58 Millionen Euro abkassierte. So geht es jetzt im Minivan nach Paris – die Leidtragenden sind, neben den Trainern, die sich umso mehr den Kopf zermartern müssen, mal wieder die Spielerinnen.

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Dieser Artikel wurde ursprünglich auf 90min.de als Kommentar – Kleine Kader bei Olympia 2024 im Frauenfußball: Im Minivan nach Paris veröffentlicht.

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