„Frank Meyer“ beim Lichter Filmfest: Ein Bodybuilder im Kampf mit sich selbst

„frank meyer“ beim lichter filmfest: ein bodybuilder im kampf mit sich selbst

Das Frühstück ertragen: Zum Bodybuilding gehört eine rigide Ernährung.

Zwei rohe Eier und eine Banane kommen in den Mixer. Was schon drin ist weiß man nicht, und will es gar nicht wissen. Kurz durchgemixt, dann setzt der Muskelprotz an und verleibt sich einen guten Liter des dickflüssigen Gesöffs in einem Zug ein. Ein kurzes Stöhnen, ein schmerzverzerrter Blick, dann geht es weiter. Die Narben und Krampfadern auf seinem gestählten Körper lassen erahnen, dass die morgendliche Tortur nicht sein größtes Opfer ist.

Zwischen Selbstverwirklichung und -zerstörung liegt mitunter nur ein schmaler Grad. Wenige Leidenschaften offenbaren das so unmittelbar wie Bodybuildung: halb Sport, halb Sucht. Die enorm gesundheitsschädliche Einnahme von Anabolika und Hormonpräparaten ist noch heute weit verbreitet und war früher beinahe selbstverständlich.

Man könnte daher meinen, dass die Geschichte von „Frank Meyer“ schnell erzählt ist: Ein ehemaliger Bodybuilder will es noch einmal wissen, muss aber den Folgen seines exzessiven Körperkults Tribut zollen. Aber das ist nur vordergründig die Geschichte des Dokumentarfilms von Leonhard Hofmann und Riccardo Dejan Jurkovic, der auf dem am Dienstagabend eröffneten Lichter Filmfest Frankfurt International seine Hessenpremiere feiert. Mehr als von Kniebeugen und Hantelstemmen handelt er von tiefer Einsamkeit, von Vergangenheitsbewältigung und dem Versuch, dem eigenen Rollenverständnis zu entfliehen.

„frank meyer“ beim lichter filmfest: ein bodybuilder im kampf mit sich selbst

Leonhard Hofmann

Im Jahr 2012 treffen die beiden Regisseure den damals 46 Jahre alten Frank Meyer zum ersten Mal, einen vormals professionellen Bodybuilder, der auf den ersten Blick jedes Klischee bedient: blondierte Haare, enge T-Shirts, markige Sprüche. Jurkovic und Hoffmann stehen damals am Anfang ihres Filmstudiums an der Universität Darmstadt. „Wir waren offen für kleine Projekte, an denen wir uns ausprobieren können. Über einen Bekannten, der ihn als spannenden Protagonisten beschrieben hat, haben wir Frank kennengelernt“, sagt Jurkovic, heute 35 Jahre alt. Was als Studienarbeit beginnt, verselbstständigt sich im Laufe der Zeit. Über zehn Jahre begleiten die beiden Meyer.

„frank meyer“ beim lichter filmfest: ein bodybuilder im kampf mit sich selbst

Riccardo Dejan Jurkovic

„Anfangs ist er sehr dominant aufgetreten, hätte die Kamera am liebsten selbst geführt. Das haben wir bewusst auch im Film gezeigt“, sagt der 36 Jahre alte Hofmann. Das betont selbstbewusste Auftreten des Protagonisten wie auch sein Verhältnis zu den Regisseuren wandelt sich im Zuge einer Diagnose: Meyer, der zu diesem Zeitpunkt bereits einen Herzinfarkt und einen Schlaganfall zu verkraften hatte, erkrankt an Hodenkrebs.

Die Fassade, die er über die gesamte Laufzeit des Films versucht, aufrecht zu erhalten, beginnt mehr und mehr zu bröckeln. Er reflektiert die Gewalterfahrungen in seiner Kindheit. Stark wie ein Superheld habe er werden wollen, um sich wehren zu können. Er spricht über seine Einsamkeit, körperliche Nähe bekommt der Koloss nur von seiner Katze. „Es gibt Abende, da fühle ich mich alleine“, sagt er. Für einen kurzen Moment weicht sein beinahe unerschütterliches Grinsen, die Kamera entblößt seine traurigen Augen. „Jetzt gehen wir mal zum Boxsack und gucken, ob ich’s noch drauf hab.“

„frank meyer“ beim lichter filmfest: ein bodybuilder im kampf mit sich selbst

Was vom Leben bleibt: Frank Meyer zum Ende der Dreharbeiten.

“Er schafft es nicht, diese Rolle abzulegen“

Meyer setzt sich zum Ziel, einen letzten Wettkampf zu gewinnen und bleibt dem Körperkult, der ihn letztlich zum Verhängnis wurde, stets treu. Die Regisseure besuchen ihn auch weit über ihr Studium hinaus immer wieder in Darmstadt. „Durch die Konstellation zu zweit waren wir sehr unabhängig und konnten uns leisten, parallel zu anderen Projekten weiter an dem Film zu arbeiten“, sagt Hofmann.

Erst nach mehr als zehn Jahren fiel schließlich die Entscheidung, mit dem Schnitt zu beginnen. Hofmann lebt zu diesem Zeitpunkt bereits in Berlin. Er studiert Regie an der Filmuniversität Babelsberg. Jurkovic lebt als freiberuflicher Filmemacher in Offenbach. „Wir haben uns in unregelmäßigen Abständen getroffen. Die Pausen dazwischen haben zwar viel Zeit gekostet, waren rückblickend betrachtet aber ein wichtiger Teil des Prozesses, da man immer wieder einen neuen Blickwinkel auf das Material erhalten hat“, sagt Jurkovic.

Obwohl die fragmentierte Erzählung vieles im Unklaren lässt, gelingt es den Regisseuren mit einfachen Mitteln, wenigen Schnitten und banal wirkenden Alltagsbeobachtungen ein tiefes Mitgefühl für den Protagonisten zu wecken, der im Angesicht seines körperlichen Verfalls sein Selbstverständnis zwar mehr und mehr zu hinterfragen scheint, sich aber doch nie davon emanzipieren kann. „Er fängt an zu begreifen, wer er ist und woher er kommt. Aber er schafft es nicht, diese Rolle abzulegen. Darin steckt auch ein Stück weit die Tragik“, sagt Hofmann.

Die letzten Szenen des Films zeigen Meyer an einem See, an dem er immer wieder Tiere füttert, ihre Nähe sucht. Er hält inne, sein Blick wirkt leer. Spätestens hier wird klar: Das Leben wiegt schwerer als jede Hantel.

■ Lichter Filmfest International 16. bis 21. April, Frankfurt, „Frank Meyer“ ist am 18. April von 18 Uhr an im Kino des DFF zu sehen.

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