FDP-Parteitag und Ampel-Zoff: Preisen und zündeln

Christian Lindner versucht den Spagat: Beim Parteitag wirbt der FDP-Chef für seine umstrittenen Wirtschaftspläne. Zugleich kämpft er gegen den Eindruck, die Liberalen arbeiteten am Koalitionsbruch. Gelingt so der Ausweg aus dem Umfragetief?

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FDP-Parteitag und Ampel-Zoff: Preisen und zündeln

Das nennt man wohl eine Text-Bild-Schere. Auf dem Rednerpult des Bundesparteitags präsentiert die FDP bei ihrem Parteitag ein schwarzes Adlerküken auf rosa Grund, dazu ein Wortspiel auf dem Niveau einer Schülerzeitung: Wachstun.

Die Liberalen haben sogar rosa T-Shirts mit dem Maskottchen drucken lassen, doch Christian Lindner tritt am Samstagmittag in Berlin lieber mit Anzug und Krawatte vor die Delegierten. Nicht nur äußerlich setzt er sich von dem Bühnenklamauk ab, auch seine Rede konzentriert sich aufs Programmatische. In einer Stunde und 13 Minuten dekliniert der FDP-Chef das durch, was er unter einer Wirtschaftswende versteht.

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Es ist durchaus ein Balanceakt. Einerseits will Lindner nicht den Eindruck vermitteln, die Papiere zur Wirtschaftswende seien lediglich Parteitagsfolklore. Andererseits ist er erkennbar bemüht, nicht erneut Spekulationen zu nähren, die FDP wolle vorzeitig aus der Ampelkoalition aussteigen.

Um der Wirtschaftswende Gewicht zu verleihen, wählt Lindner zunächst die Geopolitik. Er spricht vom Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. »Die Durchhaltefähigkeit der Ukraine bei der Verteidigung ihres Rechts auf Selbstbestimmung ist auch eine Aufgabe von uns«, sagt Lindner. »Wir unterstützen die Ukraine, weil sie unsere first line of defense gegen Putin ist. Putin meint uns alle und unsere Lebensweise.«

Von der Ukraine geschwind zur Schuldenbremse

Wirtschaftliche Stärke sei auch ein Faktor der Geopolitik, sagt der Parteichef. »Wenn wir nur auf die Kraft unseres moralischen Zeigefingers bauen, wird niemand beeindruckt sein.« Von der Ukraine sind es für Lindner nur wenige Sätze bis zur Schuldenbremse. Die Aufrüstung der Bundeswehr, die Sicherung von Frieden und Freiheit sei nicht eine Sache von Jahren, sondern von Jahrzehnten und Generationen. »Deshalb kann das nicht auf Pump erfolgen.«

Lindners schärfste Kritik trifft indes nicht die Koalitionspartner SPD und Grüne, sondern die Union. Er zitiert CDU-Länderchefs, die sich für eine Reform der Schuldenbremse ausgesprochen haben, und geht besonders EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an. Sie sei für die überbordende Bürokratie verantwortlich, unter der vor allem der deutsche Mittelstand leide.

Am 9. Juni steht für die FDP viel auf dem Spiel. Für die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg rechnen sich die Liberalen keine großen Chancen aus, erhoffen sich dagegen von der Europawahl Rückenwind für den Bundestagswahlkampf 2025. Die meisten Wählerinnen und Wähler wollen sie aus dem Lager der Union gewinnen. Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann hält am Nachmittag eine mitreißende Rede.

Ein zentrales Element der FDP-Wirtschaftswende ist der Rückbau der Rente mit 63. Auf eine Kampfansage verzichtet Lindner hier, immerhin hatte er selbst das Rentenpaket mit SPD-Sozialminister Hubertus Heil vorgestellt.

Lästerbremse bei Koalitionskritik

Die Vorsitzende der Jungen Liberalen, Franziska Brandmann, hat bereits angekündigt, dass die Julis den Leitantrag beim Thema Rente zu schwach finden. Lindner sagt in seiner Rede lediglich, dass zu viele gut verdienende Menschen in den Vorruhestand gingen, die man dringend noch im Erwerbsleben brauche.

Lästereien über Koalitionspartner, gar über Kabinettsmitglieder, unterlässt Lindner. Die Debatte über den grünen Vizekanzler Robert Habeck und sein Agieren rund um den Atomausstieg erwähnt er gar nicht erst, intern hat die Parteiführung die Parole ausgegeben, sich nicht Rücktrittsforderungen aus den Unionsreihen anzuschließen. Nicht alle Liberale hielten sich daran.

Den Kanzler schont Lindner ebenfalls. Dabei hatte Olaf Scholz kürzlich behauptet, der wirtschaftliche Turnaround sei bereits geschafft, also so ziemlich das Gegenteil der FDP-Position. Lindner kritisiert ihn nur indirekt, als es um den Solidaritätszuschlag geht. Er fordert erneut die stufenweise Abschaffung, weil der Solidaritätszuschlag vor allem Personengesellschaften belaste, also den Mittelstand: »Er ist zu einer Sondersteuer auf wirtschaftlichen Erfolg geworden.«

Wenn die Politik nicht handele, bestehe die Gefahr, dass das Bundesverfassungsgericht den Soli als verfassungswidrig einstufe. »Mit der verfassungsrechtlichen Expertise der SPD habe ich als Finanzminister schon Erfahrungen gemacht«, spottet Lindner – eine Anspielung auf das Karlsruher Urteil zum Nachtragshaushalt von Ende 2021.

Rhetorischer Ausflug ins Möbelgeschäft

Lindner stellt sich bewusst gegen das Narrativ in Teilen der FDP, die Partei habe in der Ampel nicht genug durchgesetzt. Er zählt die Erfolge auf: Bürokratieabbau, das neue Klimaschutzgesetz, Abbau der Inflation, Änderungen am EU-Lieferkettengesetz.

Die schlechten Umfragewerte der FDP spricht Lindner in seiner Rede nur indirekt an. Ihm sei bewusst, dass man als Mitglied gefragt werde, wie es mit den Freien Demokraten weitergehen soll. Lindner erzählt, er habe sich neulich mit seiner Frau einen neuen Tisch bestellt. Der Inhaber des Möbelgeschäfts habe ihm daraufhin einen Brief geschrieben. Er sei überzeugter FDP-Wähler – aber wann setze sich die FDP wieder für Freiheit und den Respekt vor Leistung und Eigentum ein?

»Mich hat dieser Brief durchaus betroffen gemacht«, sagt Lindner. Seine Antwort münzt er zu einem Schlussappell an die Delegierten: »Jeden Tag setzen wir uns ein, für Freiheit und für den Respekt vor Leistung und Eigentum. Die politischen Umstände sind, wie sie sind, von Krisen geprägt, von Wahlentscheidungen, die nicht immer klare Mehrheiten hervorbringen. Aber wir wissen, wo wir stehen. Wir haben kein Problem damit, dass wir nicht unsere Identität kennen. Wir müssen sie erklären, jedes Mal aufs Neue. Umso mehr kommt es auf jede und jeden an, deutlich zu machen, dass wir nichts aufgegeben haben von unseren Ãœberzeugungen und dass wir die einzige Kraft der Freiheit in Deutschland sind.«

Kubicki lässt das Zündeln nicht

Die Delegierten danken es Lindner mit viel Applaus und Standing Ovations. Die Pläne zur Wirtschaftswende überzeugen alle. Viele Redner weisen allerdings darauf hin, dass das Zwölfpunktepapier der FDP aus der vergangenen Woche hohe Erwartungen an die Parteiführung geweckt habe. »Wenn wir die zwölf Punkte nicht umsetzen können, wenn insbesondere die Grünen nicht bereit sind, ihre Realitätsverweigerung zu überwinden, können wir darauf nur eine Antwort geben: Raus aus der Ampel«, fordert Florian Kuhl aus dem Landesverband Bayern.

Auch Lindners Stellvertreter Wolfgang Kubicki stellt die Koalitionsfrage. Er erzählt von einer Rede der Grünenvorsitzenden Ricarda Lang, mit der man sie bedenkenlos in die FDP aufnehmen könne. Aber hinter den Kulissen würden die Grünen knallhart ihre Interessen durchsetzen. Sollten die Grünen nicht Gespräche mit der FDP aufnehmen, könne es keine Grundlage für die Koalition geben, sagt Kubicki. »Ich kann nur davor warnen, den Grünen zu trauen.«

Nicht allen gefällt diese Rhetorik. »Herr Kubicki, Sie haben eben auch wieder gesagt, dass wir den Grünen nicht vertrauen dürfen. Ich bitte sehr, dies zu unterlassen«, sagt Susanne Kayser-Dobiey aus dem Landesverband Nordrhein-Westfalen. Bei Fragen zur Rolle der FDP in der Bundesregierung gehe es in ihrem Wahlkreis nicht darum, dass die FDP zu durchsetzungsschwach sei. »Was Unbehagen auslöst, ist das Gefühl, dass wir mit den eigenen Ergebnissen nicht zufrieden sind«, erklärt die Geschäftsführerin einer Wirtschaftsförderungsgesellschaft. »Wenn wir einen Erfolg haben und ein Ergebnis, dann müssen wir das auch nach draußen verteidigen.«

Auch Uwe Probst aus dem Landesverband Bayern kritisiert den Umgangston mancher Liberaler. FDP-Vertreter würden mitunter politische Gegner wegen Äußerlichkeiten angehen. Auch Grüne und SPDler wollten die Welt verbessern, sie hätten nur andere Vorstellungen, sagt Probst. Sein Appell: »Werden wir wieder liberaler, das macht uns wieder sympathisch, das macht uns wieder wählbar.«

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