Michael Kretschmer auf dem F.A.Z.-Kongress „Zwischen den Zeilen“
Auf die Wirklichkeit kommt es Michael Kretschmer an. Ihr will er sich stellen, ihr gegenüber müsse sich die Politik verhalten, sagt der sächsische Ministerpräsident auf dem F.A.Z.-Leserkongress „Zwischen den Zeilen“ am Freitag in Frankfurt. Das gelte bei der Migrationspolitik wie für die Unterstützung der Ukraine in ihrer Verteidigung gegen den russischen Angriffskrieg. Und für den Umgang mit der AfD. Denn zur Realität gehört aus Kretschmers Sicht auch, dass die Partei, die in Sachsen derzeit zweitstärkste Kraft im Landtag ist, sich durch den vorherrschenden Diskurs als Opfer gerieren könne.
Mit dem verantwortlichen Redakteur für Innenpolitik der F.A.Z., Jasper von Altenbockum, sprach der CDU-Politiker unter dem Titel „Werden wir unregierbar?“ über die Lage in Sachsen vor der Landtagswahl im September. Derzeit sehen Umfrageinstitute die AfD mindestens gleichauf mit Kretschmers CDU bei gut 30 Prozent der Stimmen.
Kretschmer selbst hatte vor einiger Zeit davor gewarnt, dass ein solches Ergebnis in Sachsen zu „thüringischen Verhältnissen“ ohne klare Regierungsmehrheit führen könne. Ein Bündnis mit der AfD schließt die Union bisher aber kategorisch aus. Wenn sie regieren will, wird sie es womöglich gemeinsam mit dem neu gegründeten BSW um Sahra Wagenknecht tun müssen – für eine Koalition aus CDU, SPD und Grünen, die derzeit in Sachsen regiert, würde es nach den aktuellen Umfragen jedenfalls nicht mehr reichen.
Kretschmer bekräftigt im Gespräch, nicht mit „Rechtspopulisten“ zusammenarbeiten zu wollen. Dass Sprachbild der Brandmauer lehnt er jedoch ab. „Der Begriff Brandmauer hat es diesen Rechtspopulisten möglich gemacht zu sagen: Mit uns redet keiner, wir spielen keine Rolle, unsere Vorschläge werden nicht durchgesetzt, es gibt ein Kartell der anderen Parteien. Dabei haben die jedes demokratische Recht.“ Gerade auf kommunaler Ebene, in den Ausschüssen im Landtag und dort, wo Politiker der Partei Verwaltungsstellen besetzen, brächten sie sich sehr wohl ein.
„Wir haben die Dinge beim Thema Migration nicht geklärt“
Es gebe „gute Gründe“, nicht mit der AfD zusammenzuarbeiten, bekräftigt Kretschmer. Die rechtsextreme Sprache und das Verhalten der Mitglieder etwa. Der Skandal um den Europapolitiker Maximilian Krah „lüftet endlich ein wenig den Deckel“: Man sehe, was „in diesem braunen Sumpf“ vor sich gehe.
Inhaltlich geht Kretschmer vor allem auf die Migrationspolitik ein, denn vor allem über dieses Thema erhalte die AfD Zulauf. Die Lage beschreibt er so: „Wir haben die Dinge beim Thema Migration nicht geklärt.“ Dafür bekommt er, wie öfter einmal während der Diskussion, Zwischenapplaus aus dem gut gefüllten Konferenzsaal im Kap Europa der Messe Frankfurt. Er wolle Probleme aber nicht nur benennen, sondern lösen, sagt Kretschmer. Das sei auch in der Vergangenheit der Weg gewesen, wie die CDU sich gegen den rechten Rand behauptet habe. „So entzieht man Rechtspopulismus den Nährboden.“
Er höre immer wieder, dass die Bevölkerung sich radikaleren Parteien zuwende, da unklar sei, wie etwa die Position der CDU in der Migrationspolitik sei, sagt Kretschmer. Die CDU habe aber eine sehr klare Position, die man seit Jahren verfolgen könne. Nur gebe esLeute, die „das wirklich nicht mitbekommen“: weil sie in ihrer eigenen Blase lebten. „Man wird einen Teil der Bevölkerung nicht mehr mitbekommen, weil sie eine andere Realität haben als wir.“
„Irgendwann ist Putin auch weg“
Ein Teil der Lösung sei auch, dass sich Bürger stärker engagieren müssten. „Wenn da ein Vakuum ist, wird das gefüllt. Wenn man das nicht will, muss man sich engagieren. Macht man das nicht, führt es dazu, dass eine kleine Minderheit zu mächtig wird.“
Die Realität als solche zu akzeptieren gelte auch für den Umgang mit schwierigen internationalen Partnern wie der italienischen Regierungschefin Meloni oder dem türkischen Präsidenten Erdogan. „Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit“, zitiert Kretschmer Kurt Schumacher. Man dürfe sich nicht verbiegen, nicht kleinmachen, aber müsse die Realität erstmal akzeptieren.
Auch mit Blick auf die Ukraine vertritt Kretschmer diesen Kurs. Kein einziger Quadratmeter, den die Russen besetzten, sei russisch geworden, auch nicht die Krim, bekräftigt er. Zu helfen, sei richtig. Doch er frage sich, wohin der jetzige Kurs führe: „Mit den immergleichen Instrumenten versuchen wir seit zwei Jahren, ein Problem zu lösen.“ Er wolle nicht, dass die Ukraine Territorium abgebe. Kretschmer spricht dennoch vom „Einfrieren des Konflikts“, damit etwa die BRICS-Staaten Einfluss auf Russland nehmen oder Europa mit einem Raketenschutzschirm versehen werden könnte.
Die Forderung, die Ukraine „dürfe nicht verlieren“, bleibe im Ungefähren. Man müsse sich stark und wehrhaft machen, um mit einem so „unsicheren Nachbarn“ wie Russland leben zu können. Dazu gehöre vor allem, ökonomisch stark zu sein. „Irgendwann ist Putin auch weg. Dann werden die Dinge anders sein“, sagte Kretschmer. „Wir sollten daran glauben, dass die westlichen Werte so überzeugend sind“, dass sie auch in Russland Anklang fänden.
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