„Es ist wie verrottendes Essen“ - Beunruhigende Trendumkehr in der Arktis macht Klimaforscher nervös

„es ist wie verrottendes essen“ - beunruhigende trendumkehr in der arktis macht klimaforscher nervös

Ein Tundra-Feuchtgebiet mit Permafrostboden in Grönland Getty Images/iStockphoto

Bislang waren die arktischen Permafrostböden ein wichtiger Speicher für CO2 – und verlangsamten den Klimawandel. Durch die Eisschmelze werden die Böden jetzt aber von der Bremse zum Turbo, wie neue Studien zeigen. Und die Forscher sagen: Womöglich unterschätzen wir den Effekt noch.

Milliarden Tonnen CO2 und Stickstoff lagern unter einer der unzugänglichsten Gegenden der Erde. Der sogenannte Permafrostboden erstreckt sich über etwa 14 Millionen Quadratmeter Land in der Arktis-Region, unter der eisigen Oberfläche hält er große Mengen klimaschädlicher Gase gefangen – eine wertvolle Hilfe fürs Klima.

Schnelles Schrumpfen

Ein Boden gilt dann als „Permafrost“, wenn seine Temperaturen für mindestens zwei Jahre ununterbrochen unter dem Gefrierpunkt liegen. Doch wegen der Erderwärmung durch den Klimawandel sind die Permafrostböden in den letzten 50 Jahren um sieben Prozent geschrumpft – mit unabsehbaren Folgen für das Klima. Denn wenn der Eisboden wegschmilzt, gelangen all die klimaschädlichen Gase wieder in die Atmosphäre, die teilweise Millionen Jahre lang weggesperrt waren.

Ein wichtiger Kipppunkt ist in dieser Entwicklung jetzt schon überschritten, stellt eine neue Studie fest. Seit einigen Jahren stoßen die Permafrostböden erstmals mehr CO2 aus als sie aufnehmen. Die Eisschmelze hat die Klimawandel-Bremse also zum Turbo gemacht. Insgesamt 144 Millionen Tonnen Kohlenstoff pro Jahr habe die Permafrostregion zwischen den Jahren 2000 und 2020 emittiert, heißt es in einer neuen Studie des renommierten Forschungsinstituts Nordregio in Stockholm.

Nie dagewesener Aufwand

Studienleiterin Justine Ramage und ihr Team widersprechen damit einem Großteil der Studien der letzten Jahre. Die meisten aktuellen Untersuchungen kamen zu dem Schluss, dass die Region noch immer eine sogenannte Kohlenstoffsenke darstellt. Zwar schmelze immer mehr Eis, im Sommer gebe es dafür mehr Wachstum bei den Pflanzen, die ebenfalls CO2 aufnehmen.

Für ihre Studie nahm Ramages Team jedoch einen bislang nicht betriebenen Aufwand auf sich. Viele Studien zum Permafrost beruhen auf Satellitendaten und Computerschätzungen, entsprechend unsicher sind die Ergebnisse. Die schwedischen Forscherinnen und Forscher hingegen sammelten Emissionsdaten von insgesamt 200 Standorten in Skandinavien, Russland, Alaska und Kanada. Und, ganz wichtig: Sie bezogen auch den Ausstoß anderer giftiger Gase wie Methan in ihre Berechnungen ein – statt nur den CO2-Ausstoß zu betrachten, wie die meisten Studien.

Der Kühlschrank-Effekt

„Wenn Sie Lebensmittel einfrieren, ist alles in Ordnung“, sagte Ramage der Zeitschrift „New Scientist“. „Sobald Sie sie herausnehmen, beginnen sie sehr schnell zu verrotten.“ Beim auftauenden Permafrost sei der Effekt ähnlich: Wenn das Eis verschwindet, nehmen die eingefrorenen Mikroben wieder ihre Arbeit auf – oft mit schlechten Folgen für das Klima.

Der Positiv-Effekt durch das Pflanzenwachstum sei außerdem überbewertet, schlussfolgert die Studie. Denn einerseits verwandeln sich durch die Eisschmelze viele Permafrost-Zonen in Seeplatten, was das Wachstums-Potenzial für Pflanzen mindert. Und außerdem hätten die bisherigen Studien zu dem Thema nicht berücksichtigt, dass es mit der Erderwärmung auch zu großen Waldbränden in der Region kommt – die gewaltige Mengen CO2 ausstoßen.

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„Das ist eine neue Quelle“

Allerdings gilt auch bei der Studie von Ramages Team: In der unzugänglichen Arktis-Region ist es kaum möglich, exakte Zahlen zu den CO2-Emissionen ermitteln. Die Methodik verbessert sich zwar langsam, aber die Permafrost-Region ist so riesig, dass jegliche Messung eher mit einer Schätzung zu vergleichen ist. Problematisch ist vor allem das sogenannte „Plötzliche Auftauen“, zu dem es etwa durch Felsbrüche und Erdrutsche kommt. Große Mengen Boden tauen dort auf einmal auf – aber die Forschung bekommt es unter Umständen nicht einmal mit.

Sicher ist nur eines, sagen Expertinnen und Experten: Vermutlich unterschätzen wir derzeit noch die Auswirkungen der Polareis-Schmelze auf das Klima. Die Trendwende im Permafrost werde den Klimawandel schlimmer machen als erwartet, sagte die US-Forscherin Susan Natali, die an der Stockholmer Studie beteiligt war, dem „New Scientist.“ „Das ist eine neue Quelle von Treibhausgasen, die in die Atmosphäre entweichen – die wir in unseren globalen Klimamodellen noch nicht vollständig abbilden.“

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