Erinnert „The Zone Of Interest“ an Gaza? Erbitterte Debatte um Film

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Szene aus Jonathan Glazers „The Zone Of Interest“ mit Sandra Hüller als Hedwig Höß.

Kurz nachdem Sandra Hüllers Tränen wieder getrocknet waren, die sie zur Verleihung des Oscars an Jonathan Glazers Film „The Zone Of Interest“ vergossen hatte, ging es wieder härter zu im Debattengeschäft. Der Spielfilm über das Alltagsleben des Lagerkommandanten Rudolf Höß und dessen Ehefrau Hedwig am Rande des NS-Vernichtungslagers von Auschwitz steht seither nicht allein im Zentrum einer ästhetischen Auseinandersetzung über die Darstellbarkeit des Holocaust, sondern auch über dessen sich unweigerlich aufdrängende oder mutwillig herbeizitierte Deutung im Kontext des aktuellen Gewaltgeschehens in Gaza.

Die kanadische Politaktivistin und Globalisierungskritikerin Naomi Klein glaubt, dass man sich angesichts der emotionalen Wucht der Bilder einer aktualisierten Lesart des historischen Stoffes nicht zu entziehen vermag. „Jeder, den ich kenne, der den Film gesehen hat“, schrieb sie soeben in der britischen Zeitung Guardian, „fühlte sich zwangsläufig an Gaza erinnert. Damit soll nicht behauptet werden, dass es eine Eins-zu-eins-Gleichsetzung oder einen Vergleich mit Auschwitz gibt. Keine zwei Völkermorde sind identisch: Gaza ist keine Fabrik, die absichtlich für den Massenmord gebaut wurde, und wir kommen auch nicht an das Ausmaß der Todesopfer der Nazis heran.“

Die einschränkenden Bemerkungen nehmen Anlauf zur Formulierung eines entschiedenen „Aber“. Dass es sich beim militärischen Vorgehen der israelischen Armee um einen Genozid handele, stellt für Klein eine mehrfach im Text wiederholte Gewissheit dar, die schon aus solchen Elementen wie Mauer, Ghetto, Massentötungen und gezielten Demütigungen sichtbar werde. Das Völkerrecht sei einst geschaffen worden, um derlei Muster zu erkennen und zu ahnden. Die Hoffnung, dass dies nach wie vor gilt, scheint Klein nicht zu haben.

Eine Szene des Films, in der Hedwig Höß Habseligkeiten jüdischer Ermordeter an die Hausbediensteten verteilt und für sich selbst einen Pelzmantel reserviert, bringt Naomi Klein in Zusammenhang mit Videos von israelischen Soldaten, „die sich dabei gefilmt haben, wie sie die Unterwäsche von Palästinensern durchwühlen, deren Häuser sie in Gaza besetzen“. Die Banalität des Bösen erzeugt heute massenhaft Bilder. Über die Videos der obszön-selbstdarstellerischen Brutalität der Hamas-Kämpfer, die am 7. Oktober meuchelten und vergewaltigten, schreibt Klein nicht.

Der Berliner Schriftstellerin Mirna Funk kommen beim Nachdenken über Glazers Film und dessen sich anschließende Dankesrede, in der Naomi Klein ihre Lesart weitgehend bestätigt sieht, ganz andere Gedanken. Dass Glazers Film keine Shoah-Opfer zeige und er in seiner Rede auch nicht an sie erinnere, schrieb Funk kürzlich in der Neuen Zürcher Zeitung, „liegt daran, dass er einen Film machen wollte, in dem es um den Holocaust geht, ohne von ihm zu erzählen. Das Ziel Glazers ist, eine vermeintliche Lehre zu vermitteln, die konturlos jederzeit und auf jeden politischen Konflikt angewendet werden kann. Der Sprung zum gegenwärtigen Nahostkonflikt ist denn bei Glazer kurz: Geschichtliche Zusammenhänge oder Fakten werden ignoriert“.

Ganz ähnliche Vorwürfe wurden seinerzeit übrigens gegen Martin Walsers Roman „Ein springender Brunnen“ erhoben, in dem er, stark autobiografisch gefärbt, die Zeit des Aufwachsens im schwäbischen Wasserburg während der heraufziehenden NS-Zeit beschreibt – ohne den Referenzpunkt Auschwitz. Walser wiederum hatte bereits auf den ersten Seiten seines Romans gewissermaßen zur Abweisung des Vorwurfs geschrieben: „Solange etwas ist, ist es nicht das, was es gewesen sein wird.“

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Jonathan Glazer

Die kontroversen Einlassungen von Naomi Klein und Mirna Funk sind kaum um eine ästhetische Durchdringung des Films bemüht. Vielmehr dient ihnen „Zone of Interest“, ebenso wie die politischen Akklamationen des Regisseurs zur Preisverleihung, als Material im Ringen um Deutungshoheit über das Gewaltgeschehen in Gaza, das zuletzt jenseits jeglichen Bemühens um begriffliche Genauigkeit als Völkermord, Apartheid etc. beschrieben worden ist. Glazer selbst scheint mit seinem Bedürfnis, sich politisch eindeutig zu positionieren, der künstlerischen Dimension seines Filmes, die ja nicht zuletzt in Mehrdeutigkeit besteht, zu misstrauen. Die Haltungen zum Kriegsgeschehen in Gaza, dem die jeweiligen Sprecher von großer Entfernung aus zuschauen, geraten zu Glaubensbekenntnissen, in denen es scheinbar vor allem darum geht, moralisch auf die sichere Seite zu gelangen.

Naomi Klein liest aus Glazers Dankesrede eine Eindeutigkeit heraus, die diese nicht hatte. Zumindest bleibt der zentrale, von einem kleinen Zettel abgelesene Satz widersprüchlich. „Unser Film“, so führte Glazer aus, „zeigt, wohin die Entmenschlichung in ihrer schlimmsten Form führt. Sie hat unsere gesamte Vergangenheit und Gegenwart geprägt. Heute stehen wir hier als Menschen, die ihr Jüdischsein und den Holocaust ablehnen, der von einer Besatzung gekapert wurde, die zu Konflikten für so viele unschuldige Menschen geführt hat. Ob die Opfer des 7. Oktobers in Israel oder des andauernden Angriffs auf Gaza. Alle sind Opfer dieser Entmenschlichung … Wie können wir Widerstand leisten?“

Was war gemeint? Lehnt Glazer sein Jüdischsein ab, während er den Holocaust als Ganzes gekapert sieht? Wahrscheinlicher ist, dass er sich gegen die Instrumentalisierung des Holocaust-Traumas durch die in Teilen rechtsradikale israelische Regierung wendet. Aber wie soll man sich den Widerstand vorstellen, von dem Glazer sprach, ehe der Applaus aufbrandete? Die Ratlosigkeit über das Gesagte ist nicht verflogen.

Die Diskussion um „The Zone Of Interest“ geht weiter, und das ist gut so. Aber sie sollte sich nicht in holzschnittartigen Bekenntnissen erschöpfen. So inspirierend es erscheinen mag, dass einem Kunstwerk die Relevanz zugesprochen wird, Erhellendes zu einem heillos verfahrenen Konflikt beitragen zu können, der mit unfassbarer Gewalt ausgetragen wird: Es ist überfällig, endlich über die argumentativ vergifteten Positionskämpfe hinauszugelangen, in denen der Zivilisationsbruch des Holocaust eingesetzt wird wie eine Münze für schnelle Terraingewinne.

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