Energiepolitik: Der Atomausstieg ist Augenwischerei

energiepolitik: der atomausstieg ist augenwischerei

Im Rückbau: der Kühlturm des stillgelegte Kernkraftwerks Isar 2

Der Atomausstieg vor einem Jahr war ein Fehler, und er war Augenwischerei. Von Verzicht auf die umstrittene Technik kann keine Rede sein, nur weil die heimischen Erzeuger keinen eigenen Atomstrom mehr produzieren. Seit Mitte April 2023 die letzten drei Reaktoren vom Netz gegangen sind, hat sich die Stromeinfuhr deutlich erhöht – damit kommt viel Nuklearenergie ins Land. Der wichtigste Stromexporteur nach Deutschland ist zwar Dänemark, das vorwiegend grüne Quellen nutzt. Gleich dahinter aber rangiert Frankreich, dessen Strom zu zwei Dritteln durch Kernspaltung entsteht. In der Schweiz auf Platz vier hinter Norwegen sind es mehr als ein Drittel. Aus Tschechien fließt (neben dreckigem Braunkohlestrom) ebenfalls ausgiebig Atomkraft, deren Bedeutung nimmt dort immer mehr zu.

Insgesamt importiert die Bundesrepublik etwa 1,5 Terawattstunden Atom­strom im Monat. Im letzten vollen Kernkraftjahr 2022 erzeugten hei­mische Reaktoren nur 1,2 Terawattstunden mehr. Heute stammt ein Viertel aller Stromlieferungen aus Kernkraft, ähnlich viel aus fossilen Quellen, die Hälfte ist Ökostrom. Im eigenen deutsche Erzeugungsmix ist der Anteil der Erneuerbaren noch hö­her. Der gesamte Rest aber wird seit dem Ende der kohlendioxid­armen Kernkraft aus CO2-intensiven fossilen Quellen gedeckt, vorwiegend aus Braun-, Steinkohle, Erdgas.

Seit Ende der Atomkraft ist der deutsche Stromimport stark gestiegen, der Export gesunken. Erstmals seit 2006 führt Deutschland mehr Strom ein als aus. Das lag nicht etwa daran, dass Erzeugungskapazitäten fehlten, im Gegenteil: Selbst ohne Er­neuer­­­ba­re stehen einer Last von 75 Gi­gawatt derzeit noch 90 Gigawatt ver­läss­licher Leistung gegenüber. Es lag vielmehr daran, dass innerhalb des eu­ro­pä­ischen Strommarkts die Preise im Ausland niedriger waren als im Inland.

Französische Nuklearkraft hat die Nase vorne

Darauf verweisen das Bundeswirtschaftsministerium von Robert Habeck (Grüne) und wohlmeinende Institute, in dem Versuch, die Kausalität zwischen Handelsbilanzdefizit und Atomende zu widerlegen. Aber die auswärtigen Anbieter konkurrieren ja gerade nicht mit der deutschen Kernkraft, sondern mit den fossilen Erzeugern, denen die steigenden Kosten für Treibhausgaszertifikate zu schaffen ma­chen. Folgerichtig hat deshalb die CO2-arme französische Nuklearkraft im Wettbewerb mit deutschem Gas- oder Kohlestrom die Nase vorn.

Hinzu kommt, dass gute Wetter- und Niederschlagsbedingungen in den Alpen und in Skandinavien die Ökostromproduktion begünstigt haben. Auf ausreichend Regen, Wind und Sonne kann sich eine große Industrienation wie Deutschland allerdings nicht verlassen. Ohnehin garantiert der Ausbau der Erneuerbaren noch keine verlässliche Versorgung. Zur Gewährleistung der Grundlast und als steuerbare Kapazitäten bei Dunkelflauten sind herkömmliche Kraftwerke unerlässlich. Dafür taugt die Kernenergie nicht optimal, aber allemal besser als die großen erneuerbaren Stromquellen.

Ersatzplanung reicht bei weitem nicht aus

Nach der Atomkraft will die Bundesregierung 2030 auch die Kohleverstromung beenden, also in nur sechs Jahren. Bis dahin sollen wasserstoffgeeignete Gaskraftwerke als „Back-up“ für die volatilen Erneuerbaren ent­stehen. Noch jedoch reicht die Ersatzplanung in Habecks Kraftwerkstrategie bei Weitem nicht aus, Finanzierung und Anreize für mögliche Investoren sind unklar. Viel einleuch­tender und billiger wäre es, die letzten noch einsatzfähigen Kernreaktoren zu­rück ans Netz zu holen und das CO2 aus bestehenden Kohleblöcken mithilfe der CCS-Technik zu speichern.

Die Gestehungs- und Fixkosten der längst abgeschriebenen Atommeiler sind viel niedriger als die der fossilen Kraftwerke, auch gegenüber den Erneuerbaren wären sie bis heute konkurrenzfähig. Atomgegner wenden ein, diese Betrachtung ignoriere den tatsächlichen Aufwand, einschließlich Subventionen und Systemkosten. Derlei Belastungen müssten dann allerdings auch im Ökostrom Berücksichtigung finden: Die Milliardenkosten für den Netzausbau und das Engpass­management entstehen vor allem dadurch, dass der Windstrom nicht dort anfällt, wo er gebraucht wird, und dass sogar abgeregelte Grünstromanlagen Vergütung erhalten.

Augenwischerei und Kurzsichtigkeiten fallen oft zusammen. Deutschland braucht endlich eine vorausschauende Energiepolitik mit Durchblick, wenn es Wettbewerbsfähigkeit und Prosperität zurückgewinnen will. Noch ist es nicht zu spät, die übereilt abgeschalteten Kernkraftwerke wieder anzuwerfen und statt in neue Gaskraftwerke in CCS-Verfahren für Kohle zu investieren. Das würde Klimaschutz und Wirtschaft vereinen – wo­für es eigentlich ein eigenes Ministe­ri­um gibt.

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