Protest gegen LNG-Terminal: Auf Rügen hat der letzte Kampf begonnen

Seit dem Wochenende läuft der Probebetrieb für das umstrittene LNG-Terminal auf der Urlaubsinsel Rügen. Anwohner fürchten Anschläge, Experten bezweifeln, dass das Gas noch gebraucht wird.

protest gegen lng-terminal: auf rügen hat der letzte kampf begonnen

Am vergangenen Wochenende machte die Energos Power, ein schwimmendes LNG-Terminal, im Hafen von Mukran fest.

Seit dem Wochenende schläft Jana Weise unruhig. Nervös und ein bisschen ängstlich sei sie, sagt sie am Telefon. „Mitten in der Ostsee hat irgendwer eine Pipeline in die Luft gejagt. Wer sagt, dass sie das nicht auch mit diesem Schiff hier vor unserer Haustür anstellen?“

Das Schiff, von dem Weise spricht, ist die Energos Power. Es ist fast 300 Meter lang, hat eine Traglast von 94.400 Tonnen und ankert seit Samstagnacht im kleinen Hafen von Mukran auf der Ostseeinsel Rügen. Bei der Energos Power handelt es sich um ein Spezialschiff zur Regasifizierung von Flüssigerdgas (LNG). Mit zwei solcher FSRU-Spezialschiffe sollen hier, mitten auf der Tourismusinsel, bald rund zehn Milliarden Kubikmeter Gas ins deutsche Netz einfließen.

Seit Monaten gibt es auf Rügen enormen Protest gegen das Projekt, mit dem die Bundesregierung die Gasversorgung in Ostdeutschland sicherstellen will. Auch Jana Weise hat gegen das LNG-Terminal mobil gemacht. Die gebürtige Insulanerin führt einen Familienbetrieb und vermietet 15 Ferienwohnungen in Binz, fast in Sichtweite zum Terminal. Wenn der Wind ungünstig steht, hört man auch in Binz das Brummen der Aggregate auf den Schiffen, die das Gas auf Minus 162 Grad herunterkühlen. Weise fürchtet, dass die Touristen abgeschreckt werden und die Natur auf der Insel Schaden nehmen könnte.

Der überdimensionierte LNG-Infrastrukturausbau ist nicht erforderlich, um eine potenzielle Gasmangellage zu vermeiden und sollte daher nicht weiterverfolgt werden.

Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung

Doch ihr Protest und der Widerstand der Lokalpolitik blieb ohne Erfolg: Seit dem Wochenende befindet sich das Projekt im Probebetrieb. „Die Deutsche Regas hat erneut geliefert“, teilte der Aufsichtsratsvorsitzende des Betreibers freudig mit. Man leiste damit einen „größeren Beitrag“ zur Versorgungssicherheit im Osten Deutschlands und in Osteuropa. „Es wird alles durchgedrückt, ohne Rücksicht auf Verluste“, sagt dagegen Jana Weise.

Eine Gasmangellage ist nicht in Sicht

Tatsächlich bleiben viele Fragen, vor allem, ob das Terminal überhaupt gebraucht wird. Der Winter neigt sich bereits dem Ende entgegen und trotzdem sind die deutschen Gasspeicher zu mehr als 70 Prozent gefüllt. Selbst Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) frohlockte in der vergangenen Woche im Bundestag, dass die Gaspreise auf Vorkriegsniveau gefallen seien, als Russland noch billiges Pipeline-Gas nach Deutschland lieferte.

Experten bezweifeln aber, ob es nach den Terminals in Wilhelmshaven, Brunsbüttel und Stade nun auch noch eines auf Rügen bedarf. „Der überdimensionierte LNG-Infrastrukturausbau ist nicht erforderlich, um eine potenzielle Gasmangellage zu vermeiden und sollte daher nicht weiterverfolgt werden“, urteilten vor wenigen Tagen die Experten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in einer aktuellen Studie.

Doch nicht nur deshalb wird das Projekt auf der Insel äußerst kritisch gesehen. Anwohner und Umweltschützer fürchten Sedimentaufwirbelungen, die zum Beispiel den Nachwuchs des Herings bedrohen und die Strände versteinen könnten. Vor allem geht jedoch die Angst vor einem Störfall am Terminal um. Rasant haben sich auf Rügen die Feuer-Bilder aus Stade verbreitet, wo es vor einigen Tagen zu einem Zwischenfall kam.

Es wird alles durchgedrückt, ohne Rücksicht auf Verluste.

Jana Weise, Anwohnerin auf Rügen

Die Behörden in Mecklenburg-Vorpommern bewerten diese Gefahr offenbar geringer. Im Zulassungsbescheid für den Probebetrieb des Terminals, der dem Tagesspiegel vorliegt, heißt es nur knapp, die Freiwillige Feuerwehr des benachbarten Sassnitz solle sich mit den Gegebenheiten am Terminal vertraut machen, „um im Einsatzfall entsprechend reagieren zu können“.

Kritik an der Landesregierung

Karsten Schneider, Bürgermeister von Binz, kritisiert die Kommunikation der Landesbehörden scharf. Erst auf dringliche Bitte des Anwalts der Kommune erhielt man dort den Zulassungsbescheid. „Das Verhalten der Landesregierung ist skandalös. Eine Schikane folgt auf die nächste“, sagte Schneider dem Tagesspiegel. Die Gemeinde prüft nun eine Klage gegen die Genehmigung – es dürfte der letzte Kampf gegen das LNG-Terminal vor der Haustür sein.

Auch die Bundespolitik übt längst Kritik an dem Bau in Mukran: „Die linke Bundesregierung beweist mit ihrem kommunikativen Desaster zum LNG-Standort vor der Insel Rügen einmal mehr: Sie hat sich vollends von der Lebensrealität der Menschen in diesem Land entkoppelt und nimmt keine Rücksicht auf berechtigte Kritik“, sagt CDU-Politiker Philipp Amthor, in dessen Wahlkreis das Terminal liegt. Er sieht die Versorgungssicherheit ebenfalls ohne das Terminal für gegeben.

Kommt das Gas aus Russland?

Und noch eine Ungewissheit verärgert die Insel. Vor ihrer Ankunft in Mukran wurde die Energos Power am französischen LNG-Terminal Montoir betankt. Der Hafen dort hat jedoch langfristige Abnahmeverträge mit einem russischen Lieferanten, ein Großteil des LNG in Montoir kommt aus Russland. Der Verdacht deshalb auf Rügen: ausgerechnet russisches LNG könnte auf der Insel anlanden.

Juristisch erlaubt wäre dies sogar, denn noch immer gibt es keine EU-Sanktionen gegen russisches Gas. „Grundsätzlich obliegt die Entscheidung über die Lieferquellen allein dem Lieferanten, der die entsprechenden Kapazitäten des Terminals bucht“, teilt die Betreiberfirma Regas auf Tagesspiegel-Anfrage mit. Die Lieferanten hätten jedoch freiwillig zugesichert, kein russisches Gas zu liefern, versichert ein Sprecher. Auch das Bundeswirtschaftsministerium verweist auf die freiwillige Verpflichtung: „Das Ministerium hat keine Anhaltspunkte, dass diese Informationen nicht zutreffen, wird dies aber nachhalten“, sagte eine Sprecherin.

Jana Weise in Binz schenkt den Worten der Politik und der Betreiber schon lange keinen Glauben mehr. Auf mehreren Infoveranstaltungen war sie und berichtet frustriert davon. „Mit denen muss man nicht reden, die haben sowieso immer Recht.“ Sie findet, die Demokratie habe durch das LNG-Terminal Schaden genommen. „Wir müssen alles hinnehmen für ein Projekt, für das es eigentlich keinen Bedarf gibt.“

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