Donald Trump vor Gericht in New York: Die Entzauberung des Ex-Präsidenten

Seit zwei Wochen steht Trump in New York vor Gericht. Im Verhandlungssaal scheint er zu verkümmern, friert, jammert, schläft – Zeichen eines Mannes, der jede Macht über sein Umfeld verloren hat. Selbst Fans wenden sich ab.

donald trump vor gericht in new york: die entzauberung des ex-präsidenten

Donald Trump vor Gericht in New York: Die Entzauberung des Ex-Präsidenten

Der Angeklagte friert. Seit zwei Wochen jammert Donald Trump über die Temperaturen im Saal 1530. »Von morgens bis abends muss ich in diesem eisigen Raum sitzen«, klagt er. Oder: »Sie halten mich in einem eiskalten Gerichtssaal fest.« Oder: »Es ist sehr kalt, das ist Absicht!« Selbst sein Anwalt Todd Blanche schaltet sich ein. »Herr Richter, könnten wir es ein oder zwei Grad wärmer machen? Wir zittern.«

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Richter Juan Merchan erklärt, dass es nur zwei Stufen gebe, Ofen oder Kühlschrank: »Ich friere lieber, als zu schwitzen.« Ende der Debatte.

Sicher, es ist wirklich frostig, nicht nur im Saal 1530. Sondern im gesamten Criminal Courthouse, einem renovierungsbedürftigen Steinkoloss in Lower Manhattan. Doch das Gebäude ist nun mal von 1941. Täglich strömen Hunderte durch dieses zugige Labyrinth, ohne auf die Temperaturen zu achten: Angeklagte, Richter, Staatsanwälte, Verteidiger, Geschworene, Zeugen, Stenografen, Reporter, Wachleute.

Nur Donald Trump, 77, kann so nicht leben.

Muss er aber. Vier Tage die Woche, 9.30 bis 16.30 Uhr, oft länger. Die Besetzung der Jury und die ersten Zeugenauftritte hat er hinter sich. Doch seine Tortur dürfte sich noch mindestens bis Ende Mai hinziehen.

Der Anklagetisch ist aus Resopal und Trumps Stuhl so niedrig, dass er darauf aussieht wie ein Kind. Dies mag zwar der »Trial of the Century« sein, der erste Strafprozess überhaupt gegen einen Ex-Präsidenten, begleitet von Hunderten Reportern, drinnen und draußen. Zugleich ist es aber auch nur eins von Dutzenden Verfahren, die parallel in diesen Mauern laufen – und Richter Merchan behandelt Trump nicht anders als die Mörder, Diebe, Betrüger und Sextäter in den unteren Etagen.

Ein Ritual, das zur Entwürdigung geschaffen ist

»Sir, können Sie sich bitte setzen«, fährt er Trump an, als der einmal gehen will, bevor der Richter aufgestanden ist. Es ist keine Frage.

Harte Zeiten. Frühmorgens verlässt er die Falschgoldwelt des Trump Towers, wo er die Nächte mit Social-Media-Tiraden für seine Fans verbringt, und lässt sich 20 Minuten südwärts chauffieren, um in der Betonwelt der New Yorker Kriminaljustiz zu landen, wo er wenig Fans hat. Im Neonlicht, dem weder Make-up noch Haartinte standhält, muss er sich einem Ritual unterwerfen, das zur Entwürdigung geschaffen ist. Seiner Bühnentricks beraubt, verkümmert »King Trump« zum pockennarbigen Greis. Er erinnert an den Zauberer von Oz, den allwissenden Magier, der sich ohne Vorhang als Hochstapler entpuppt.

Der »unglaublich schrumpfende Donald«, schreibt der Republikaner Adam Kinziger, ein erbitterter Trump-Gegner, sei »endlich gezwungen, so zu leben wie der Rest von uns«. Wenn wir vor Gericht stünden.

Trump soll eine mutmaßliche Sexaffäre vertuscht haben, um den Wahlausgang 2016 zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Es könnte das einzige der vier Strafverfahren gegen ihn sein, das zur Verhandlung kommt, bevor er im November erneut antritt. Ob es der New Yorker Staatsanwaltschaft gelingt, die Brücke zwischen läppisch (Sexaffäre) und illegal (Wahlbetrug) zu schlagen, bleibt nach zwei Wochen Verhandlung noch unklar – und ist auf gewisse Weise auch egal. Denn Trump sitzt ja längst im Gefängnis. Sein Gefängnis ist der Saal 1530.

Kein Marmor, keine Claquere, keine Unterlinge

Für einen, der mal der mächtigste Mann der Welt war und sich zeitlebens mit den Insignien von Exzess und Kontrolle umgeben hat, muss dies ein Schock sein. Keine goldenen Rolltreppen, kein italienischer Marmor, keine Claquere, keine Unterlinge, die sich herumkommandieren lassen. Kein Kamerafilter, der ihn jünger macht.

Ein halbes Jahrhundert lang hat Trump Masken getragen, um einem den Mythos vom starken Mann vorzugaukeln. Im Saal 1530, der wie eine Kantine riecht, wo es gestern Grünkohl gab, bröckelt sein Putz. Trumps Gesicht sieht aus wie eine Mondlandschaft, durch die klebrigen Strähnen erkennt man nackte Kopfhaut. Unter denen, die sich das im Publikum nicht entgehen lassen, sind Enthüllungsautor Michael Wolff, Staranwalt George Conway und Rachel Maddow, die quotenstärkste Moderatorin der TV-Primetime. »Er wirkte beträchlich älter«, sagt sie.

Nun ist der Boss ein anderer

David Pecker, Ex-Verleger des Klatschblatts »National Enquirer«, der diese Woche als erster Kronzeuge gegen Trump aussagte, nannte ihn 23-mal »Boss«. »Der Boss war wütend.« »Der Boss war zufrieden.« »Der Boss wird’s richten.« Nun ist der Boss ein anderer. Juan Merchan herrscht über diesen Gerichtssal, und er lässt daran keinen Zweifel.

Trump muss pünktlich erscheinen. Er darf nichts ungefragt sagen. Er darf sein Handy nicht benutzen. Er könnte bei Störungen inhaftiert werden. Er darf nicht mal einen Tag schwänzen, um der Verhandlung des Supreme Courts über seinen Immunitätsanspruch beizuwohnen. »Mr. Trump ist ein Angeklagter«, betont Staatsanwalt Chris Conroy. »Wie alle Angeklagten unterliegt er der Aufsicht des Gerichts.«

Während der Verhandlung rutscht Trump oft tief in den Sessel, legt den Kopf in den Nacken und schließt die Augen. Wenn er wach(er) ist, beschwert er sich angeblich konstant bei seinen Leuten: dass das alles so langatmig sei, dass er so unfair behandelt werde, dass die Gerichtszeichnerinnen ihn so unattraktiv aussehen ließen. (Sein Team dementiert das.) »Ich bin hier im Gerichtssaal«, lamentiert er am Dienstag. »Sitze den ganzen Tag lang so aufrecht, wie ich es kann.«

»Ich glaube, dass das wirklich hart für ihn ist«, sagt Trumps letzter Justizminister Bill Barr am Freitagabend bei CNN. Doch sicher nicht so hart wie für andere, die vom US-Justizsystem verschluckt werden.

Vor allen als Loser entlarvt

»Donald glaubt zweifellos, dass er einer außergewöhnlichen Bestrafung unterzogen wird«, schreibt seine Nichte Mary Trump, eine Psychologin, die ihren Onkel als Narzissten diagnostiziert hat. »Er kann weder das Narrativ noch das Prozedere kontrollieren.« Trumps schlimmsten Ängste würden wahr: Er sei vor allen als Loser entlarvt.

Hilflos muss er zuhören, wie Social-Media-Posts verlesen werden, die ihn als »rassistisch« und »sexistisch« titulieren. Hilflos muss er alleine dasitzen, wenn seine Anwälte sich mit dem Richter beraten. Hilflos muss er erleben, wie Schmutzverleger David Pecker den Schleier ihrer gemeinsamen Schattenwelt lüftet und die schmierigen Abmachungen enthüllt, mit denen Trump Frauen zum Schweigen bringen ließ.

Am Freitag sagt seine langjährige Assistentin Rhona Graff aus, Trump habe die Handynummern von Stormy Daniels und Karen McDougal gehabt, dem Pornostar und der früheren Playmate im Mittelpunkt der Anklage. Als Graff den Zeugenstand verlässt, streift Trump ihre Hand.

Geburtstagsgrüße an Melania

Trump sei »ein Mann, ein Ehemann und ein Vater«, sagt Anwalt Blanche. Ein treuer »family man«, für den sich aber kein einziges Familienmitglied hier blicken lässt. Vor allem nicht Ehefrau Melania, die er mit Daniels und McDougal betrogen haben soll – obwohl er Melania am Freitag alles Gute zum Geburtstag wünscht: »Es wäre nett, bei ihr zu sein, aber ich bin im Gericht für einen gezinkten Prozess.« Tja.

Die Einzigen, die ihm zur Seite sitzen, sind seine Anwälte, drei Secret-Service-Agenten mit Knopf im Ohr sowie bezahlte Adlaten: Steven Cheung, Jason Miller, Boris Epshteyn (selbst gerade in Arizona angeklagt) und Natalie Harp, Ex-Ansagerin des rechten Senders OAN. Harp ist bekannt dafür, dass sie Trump oft mit einem mobilen Printer hinterher rennt, um ihm schmeichelhafte Meldungen auszudrucken.

Auch seine MAGA-Fans kommen nicht, obwohl er mehrmals zu Massenprotesten aufgerufen hat. Meist verlieren sich nur eine Handvoll im Park gegenüber, der für Demonstranten reserviert ist. »Tausende wurden abgewiesen«, lügt Trump: Das ganze Viertel sei »ein bewaffnetes Feldlager«, abgeriegelt von »Stahlpfosten und Polizei«. Das ist nicht der Fall, trotz erhöhter Sicherheitspräsenz. Der Park bleibt leer.

Als einziges Ventil dienen ihm die Flurauftritte in den Pausen, für die sie ihm am Herrenklo ein Gehege aus hüfthohen Gittern errichtet haben. Dort schwafelt er Unverständliches und wiederholt gebetsmühlenartig, dass der Prozess eine »Hexenjagd« im Auftrag von Joe Biden sei.

»Trump denkt wohl, Schwarze sind Idioten«

Zweimal wagte sich Trump zudem auf die Straße. Einmal zu einem Kiosk in Harlem, dessen Besitzer vor zwei Jahren einen schwarzen Angreifer erstochen hatte, was Trump zum Fanal für New Yorks ausufernde Kriminalität ausrief. (Die Verbrechensrate sinkt seit Jahren.) Auch ließ er sich an der Baustelle eines Wolkenkratzers bejubeln. Beide Events waren freilich vom New York Young Republican Club (NYYRC) arrangiert worden, einer rechtsextremen Gruppe, die auch die jubelnden »Schaulustigen« zur Verfügung stellte. »Trump denkt wohl, Schwarze sind Idioten«, schreibt Kommentator Keith Boykin.

Am Freitag ging die erste Zeugenwoche zu Ende. Die Anklage nahm Form an, die trockenen Worte des Dokuments erwachten zum Leben. Die Geschworenen lauschten gebannt, teils vorgebeugt, einige machten sich Notizen. Als Trump den Saal verlässt, wirkt er um Jahre gealtert. Er schneidet eine Grimasse, stellt sich in sein Gittergehege am Klo und sagt zu den drei Kameraleuten: »Ich will allen danken, dass sie hier sind. Ich weiß, dass sie dies wie alle anderen mit durchleiden müssen.«

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