Dieses Schiff braucht 120 Tonnen Alkohol am Tag

Die „Ane Maersk“ ist das weltweit erste Großcontainerschiff mit Methanolantrieb. Dieser Industriealkohol und auch die Chemikalie Ammoniak gelten als klimaschonende Alternativen zu heute gängigen Schiffskraftstoffen. Ein Besuch an Bord.

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Am frühen Donnerstagmorgen macht die „Ane Maersk“ erstmals am Eurogate-Terminal in Hamburg fest dpa

Claus Rindebæk hat schon so einiges gesehen in seinen 37 Jahren auf See. Aber der Eindruck auf der weitläufigen Brücke des Containerfrachters „Ane Maersk“ war für den 54-jährigen Dänen völlig neu, als er das Kommando für die Jungfernfahrt übernahm. Die Brücke des 350 Meter langen, 53,5 Meter breiten Schiffes steht direkt am Bug. Für moderne Containerfrachter ist das sehr ungewöhnlich. „Normalerweise schaue ich auf großen Containerschiffen noch mehr als 150 Meter weit über Containerstapel, bis das Meer kommt“, sagt Rindebæk, während die „Ane Maersk“ am Terminal von Eurogate in Hamburg entladen wird. „Hier ist der Blick von der Brücke eher wie von einem Kreuzfahrtschiff. Und man spürt die Wellen stärker als üblicherweise bei Frachtschiffen dieser Größe.“

Die weit vorn stehende Brücke ist das auffälligste Merkmal der „Ane Maersk“ die im Januar von der Hyundai-Werft in Südkorea aufgebrochen war und die am Donnerstag zum ersten Mal in Hamburg und generell in einem deutschen Hafen festgemacht hat. Grund für die Konstruktion ist der Kraftstoff des Schiffes: Der Achtzylindermotor der „Ane Maersk“ wird weit überwiegend mit Methanol betrieben. Etwa 120 Tonnen dieses Industriealkohols verbraucht die „Ane Maersk“ täglich bei 14 bis 15 Knoten Marschgeschwindigkeit auf offener See. Derzeit fährt das Schiff mit Bio-Methanol, der aus Biomasse oder Pflanzenfett hergestellt werden kann. Der Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid (CO₂) sinkt dadurch im Vergleich zu einem konventionellen Betrieb mit Schweröl und Marinediesel um etwa zwei Drittel. Die „Ane Maersk“ ist das erste Großcontainerschiff weltweit mit Methanolantrieb.

Mit synthetisch hergestelltem Methanol aus regenerativ erzeugtem Wasserstoff und aus der Atmosphäre absorbiertem Kohlendioxid ließe sich der CO₂-Ausstoß des Schiffes um bis zu drei Viertel senken. Wenn die gesamte Produktions- und Lieferkette dieses sogenannten eMethanols künftig klimaneutral arbeitet, läge die Reduktion sogar bei bis zu 95 Prozent CO₂-Reduktion, schätzt Maersk. Denn etwa fünf Prozent konventioneller Schiffsdiesel werden bis auf Weiteres noch gebraucht, damit das Methanol im Motor wie gewünscht zündet.

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Die „Ane Maersk“ wurde bei Hyundai in Südkorea gebaut. Das Design mit der am Bug stehenden Brücke ist für heutige Containerschiffe ungewöhnlich Maersk Line

Die „Ane Maersk“ hat eine maximale Kapazität von 16.500 Containereinheiten (TEU). Sie ist das erste einer Serie von 18 solcher Großcontainerschiffe, die Maersk geordert hat. Bestellt sind zudem sechs weitere Containerschiffe mit je 9000 TEU Kapazität. Hinzu kommt das Container-Zubringerschiff „Laura Maersk“, das seit dem vergangenen Jahr vor allem in der Ostsee unterwegs ist, das erste Schiff der Reederei mit Methanolantrieb überhaupt.

Die internationale Handelsschifffahrt trägt heutzutage etwa drei Prozent zum globalen, von Menschen verursachten Ausstoß an Treibhausgasen bei. Allein Maersk Line als zweitgrößte Container-Linienreederei der Welt geht davon aus, dass seine rund 670 eigenen und gecharterten Schiffe innerhalb eines Jahres die gesamte Welt-Erdölproduktion eines Tages verbrauchen. Die Mitgliedstaaten der Internationalen Maritimen Organisation (IMO) haben sich 2023 darauf verständigt, dass die Handelsschifffahrt bis zum Jahr 2050 komplett klimaneutral fahren soll. Zuvor galt ein deutlich weniger ambitioniertes Ziel für die Branche.

Für die Reedereien, deren Geschäft von starken Marktzyklen geprägt ist, bedeutet das eine große Herausforderung. Bislang wissen sie nicht, welcher emissionsarme Antrieb mit welchen Kraftstoffen sich tatsächlich durchsetzen wird. Zudem ist die anstehende Erneuerung der Flotten mit dem Ziel geringerer Emissionen sehr teuer. Ein Frachter mit Methanolantrieb kostet etwa acht bis zwölf Prozent mehr als ein Schiff mit konventionellem Antrieb, schätzt Maersk, ohne den Preis der „Ane Maersk“ zu nennen.

Neue Antriebstechnologien durchzusetzen, wirft das klassische „Henne-Ei-Problem“ auf. Mögliche Anbieter neuer Technologien warten auf die entsprechende Nachfrage, mögliche Nachfrager auf das notwendige Angebot. Wenn die Preise für neue Antriebe und Kraftstoffe sinken sollen, muss beides schnell in größeren Anzahlen und Mengen produziert werden. Etwa 150 Schiffe mit Methanolantrieb stehen nach Schätzungen der Branche derzeit in den Orderbüchern der Werften. „Bei den Schiffen mit klimaschonenden Antrieben teilen sich die Orders derzeit in etwa zur Hälfte auf LNG-Antriebe und Methanolantriebe auf“, sagte Jan Tiedemann vom Branchenfachdienst Alphaliner. Allerdings sei auch LNG – tief gekühltes, verflüssigtes Erdgas – letztlich ein fossiler Kraftstoff, obwohl bei dessen Verbrennung etwa 20 Prozent weniger CO₂ freigesetzt werde als bei der Nutzung von Schweröl und Schiffsdiesel.

Maersk kurbelt mit seinen Methanolschiffen die Nachfrage gerade kräftig an. Dem Unternehmen kommt dabei auch seine Marktmacht zugute. Allein die 18 bislang georderten Großcontainerschiffe und die kleinere „Laura Maersk“ benötigen im Jahr bereits 750.000 Tonnen Methanol. Bis zum Jahr 2030 kalkuliert Maersk mit einem Methanolbedarf von rund fünf Millionen Tonnen im Jahr. „Alle 25 Methanol-Containerschiffe zusammen werden im Betrieb pro Jahr rund 2,7 Mio. Tonnen CO₂-Emissionen einsparen, wenn sie von 2027 komplett in Fahrt sind“, sagt Maersk-Sprecher Rainer Horn. „Maersk bestellt nur noch neue Schiffe, die mit grünen Brennstoffen fahren können.“

Um sich den nötigen Nachschub zu sichern, schließt Maersk Verträge mit einer ganzen Reihe von Unternehmen Verträge ab und plant auch eigene Kapazitäten für Methanol aufzubauen. European Energy im dänischen Apenrade soll von diesem Sommer an 16.000 Tonnen Methanol jährlich liefern. Mit dem chinesischen Energieunternehmen Goldwind hat Maersk die Lieferung von jährlich einer halben Million Tonnen Methanol vereinbart. Das Unternehmen C2X, das wie Maersk Line zum Konzern A.P. Møller Maersk gehört, arbeitet zudem am Aufbau eigener Methanol-Produktionen etwa in Spanien oder Ägypten.

Um die nötigen Mehrkosten für Bio-Methanol oder Bio-Diesel wieder einzufahren, nimmt Maersk von seinen Großkunden teils höhere Preise – Aufschläge für einen CO₂-armen Transport von mehreren Hundert Dollar für einen 40-Fuß-Container zwischen Asien und Europa. Mehr als 200 Kunden – darunter Amazon, Inditex oder Nestle – zahlen Maersk diesen Premiumpreis bislang, für ein Gesamtvolumen von insgesamt mehr als 660.000 Containereinheiten.

Neben Methanol wird auch Ammoniak ein wichtiger alternativer Kraftstoff für die Branche werden. Beide – giftige – Chemikalien haben spezifische Vor- und Nachteile. Methanol lässt sich leichter handhaben als Ammoniak, setzt aber bei der Verbrennung wieder Kohlendioxid frei. Ammoniak, das aus Stickstoff und Wasserstoff besteht, verursacht bei der Verbrennung umweltschädliche Stickoxide, die von Filtern abgefangen werden müssen, es ist aber insgesamt CO₂-neutral bei der Anwendung. Ammoniak, hoch toxisch und explosiv, wird vermutlich zunächst auf Tankern zum Einsatz kommen. Methanol wird neben der Containerschifffahrt mittlerweile auch für den Antrieb von Kreuzfahrtschiffen eingeplant.

Weitgehend klimaneutral werden beide Kraftstoffe – Methanol und Ammoniak – künftig aber nur sein können, wenn der dafür benötigte Wasserstoff per Elektrolyse in großen Mengen mithilfe von Ökostrom erzeugt werden wird. Wind und sonnenreiche Länder wie etwa Saudi-Arabien planen große Produktionskapazitäten für sogenannten „grünen“ Wasserstoff.

Um die Kraftstoffe der Zukunft auf die Schiffe zu bekommen, müssen auch die Häfen ertüchtigt werden. In Hamburg etwa können Schiffe wie die „Ane Maersk“ heutzutage noch kein Methanol bunkern. Rund 7000 Tonnen Methanol werde das Schiff in den kommenden Tagen in Antwerpen bekommen, sagt Kapitän Rindebæk.

Der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) mahnte zum Anlauf des ersten großen methanolgetriebenen Schiffes in Deutschland erneut mehr Engagement des Bundes bei der Ertüchtigung der Seehäfen an. „Ohne ausreichende Investitionen in die deutschen Häfen gibt es keine Antriebswende in der Schifffahrt und keine Energiewende in Deutschland“, sagte ZDS-Präsidentin Angela Titzrath. „Die ,Ane Maersk‘ zeigt, dass wir mit der Nationalen Hafenstrategie schnell in die Umsetzung kommen müssen.“

Im Maschinenraum der „Ane Maersk“ steht an diesem Nachmittag der Chefingenieur Andreas Botz und erklärt das Design Schiffes und der Anlagen. Den sonst auf üblichen Geruch von Diesel und Schweröl verspürt man hier tief unten im Schiff nicht. Der 43-jährige Deutsche ist stolz darauf, Mitverantwortung für ein maritimes Pionierprojekt zu tragen. „Technologisch ist das hier der neueste Stand der Dinge“, sagt er, „und ein Schritt in die richtige Richtung.“

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