Die USA als Versteck für Oligarchen: Erst jetzt will Washington die eigenen Steueroasen trockenlegen

Einmal schwarzes Schaf, immer schwarzes Schaf. Das bekam diese Woche der Sanktionsverantwortliche des Staatssekretariates für Wirtschaft in Bern zu spüren, als ihn der Journalist einer internationalen Nachrichtenagentur fragte: «Herr Plüss, kommt die Schweiz unter Druck von anderen Ländern? Ich habe gehört, die USA sind nicht zufrieden mit der Schweiz.»

Die Frage anlässlich eines Mediengesprächs zu gesperrten Russland-Vermögen mag harmlos sein. Und doch steht sie sinnbildlich für die Aussenwahrnehmung der Schweiz. In den Augen vieler amerikanischer Politiker ist die Schweiz bei der Durchsetzung der internationalen Sanktionen gegen Russland weiterhin eine Verweigerin: Ein neutrales Land, das mehr als zwei Jahre nach Beginn des Ukraine-Kriegs immer noch nur das Nötigste tut, um die Gelder von sogenannten Oligarchen zu finden.

Dabei zeigt ein Blick über den Atlantik: Andere Länder, insbesondere die USA, haben genauso grosse Probleme, und in einigen Bereichen ist die Schweiz gar längst Musterschülerin.

Ein früherer Kadermann einer Schweizer Grossbank berichtet, dass sich westliche Regierungen in den letzten Jahrzehnten «in vollem Wissen um den Ursprung der Vermögen dieser Oligarchen» einen regelrechten Wettbewerb um deren Ansiedelung geliefert hätten.

Steueroasen von South Dakota bis Delaware

Auch die Vereinigten Staaten sind seit vielen Jahren ein Magnet für russische Gelder. Gliedstaaten wie South Dakota, Wyoming, Delaware, Alaska und Nevada boten auch russischen Oligarchen mit Briefkastenfirmen, Trusts und anderen Strukturen eine Vielzahl von Möglichkeiten, ihr Vermögen zu verstecken.

Lange Zeit ignorierten die Amerikaner das Problem. Noch im Dezember 2013 erklärte ein US-Bezirksrichter, von der NZZ in einem Hintergrundgespräch auf Steueroasen wie Delaware angesprochen, «nichts von solchen zu wissen». Elf Jahre später hat sich die Situation grundlegend geändert.

Das US-Finanzministerium nennt die Steueroasen in seinem neusten Geldwäscherei-Bericht von diesem Februar «notorious privacy states» – berüchtigte Datenschutz-Staaten. Die dortigen Gesetze hätten es auch russischen Oligarchen erlaubt, ihr Geld hinter komplexen Firmengeflechten zu verstecken.

Als ein Beispiel nennt der Bericht den Fall des russischen Oligarchen Suleiman Abusaidowitsch Kerimow. Dieser organisierte im Juli 2017, fünf Jahre vor seiner Sanktionierung, in Delaware die Gründung des Heritage Trust. Einziges Ziel des Trusts: Kerimows amerikanisches Vermögen zu verwalten. Seine Beteiligung verschleierten er und seine Helfer über «eine Reihe komplexer rechtlicher Strukturen, Tarnfirmen und Strohmänner» und nutzten mehrere Ebenen von amerikanischen und nichtamerikanischen Mantelgesellschaften, um so die Spuren zu verwischen.

Seine Gelder im Heritage Trust aber wurden bis zur Sperrung all seiner Konten am 30. Juni 2022 in «grosse öffentliche und private US-Firmen investiert», die zudem von einer ganzen Reihe amerikanischer Investmentfirmen und Vermittler gemanagt wurden, so der Bericht.

Dieses Vorgehen dürfte bei weiteren sanktionierten oder auch sehr reichen, nicht sanktionierten Russen verbreitet gewesen sein, bestätigten Befragte. Denn an den besagten Orten in den USA sei es sehr viel einfacher gewesen, nicht transparente Strukturen aufzubauen, als etwa in der Schweiz oder Singapur, bestätigt ein Zürcher Anwalt.

«Auf US-Banken liegt viel Geld auch von Oligarchen, von denen die USA nichts weiss»

«Ich gehe davon aus, dass es auf amerikanischem Boden und bei amerikanischen Banken immer noch sehr viel Geld von Oligarchen, aber auch von anderen Russen gibt, von denen die US-Behörden nichts wissen», sagt ein Beobachter, der anonym bleiben will.

Die Flucht des russischen Geldes begann 2011

Die Fluchtbewegung von vermögenden Russen in den Westen begann schon deutlich vor dem Krieg in der Ukraine, ja schon vor der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim im Jahr 2014.

Ein russischstämmiger Bürger erzählt von seinem «persönlichen Weckruf», als am 4. Dezember 2011 bei den russischen Parlamentswahlen Wahlfälschungen bekannt wurden. «Entgegen meinen Hoffnungen war mir ab damals klar, dass sich Russland nicht in Richtung Demokratie entwickeln würde», erzählt der Mann.

Ein anderer Russe begann damals sein «Geld vor dem russischen Staat in Sicherheit zu bringen». Er brachte es auch in die USA, «eine Weltmacht und eine Demokratie», das habe ihm Sicherheit gegeben, erzählt er.

Laut Experten bauten viele Oligarchen Strohmänner auf, um über diese Vermögenswerte für schwerere Zeiten in anderen Jurisdiktionen zu parkieren. Teilweise nahmen sie neue Staatsbürgerschaften in Ländern wie Zypern, Malta oder Dubai an. Dort könnten sogenannte «Golden Passes» schon nach kurzem Aufenthalt gekauft werden, sagen Befragte. Bei Eintragungen in Handelsregister gaben sie dann nur noch die neuen Nationalitäten an. In einzelnen Fällen gaben Russen auch ihre Staatsbürgerschaft ganz auf, um für härtere Zeiten gerüstet zu sein.

In der Schweiz hat sich spätestens mit dem Krieg in der Ukraine die Situation für alle russischstämmigen Bankkunden komplett verändert. Vor allem die grösseren Banken meiden schon seit längerem die Risiken, die russische Kunden mit sich bringen, unabhängig davon, ob diese auf einer Sanktionsliste stehen – und beenden die Kundenbeziehung, wie Befragte sagen. Die UBS beurteilt ihre Betreuung als «zu aufwendig», wie ein Angestellter der Bank sagt, der nicht mit Namen genannt werden will. Die Credit Suisse (CS) dagegen hielt deutlich länger an ihnen fest. Seit der Übernahme durch die UBS werden aber auch die russischen CS-Kunden mehrheitlich dazu aufgefordert, ihre Konten zu saldieren.

Mehrere Befragte behaupten sogar: Wenn Schweizer Banken aus Risikoüberlegungen heraus die Konten von nicht mit Sanktionen belegten russischen Kunden ganz kappen, lande ein Teil dieses Geldes ausgerechnet in den Vereinigten Staaten. «Es ist ein Witz. Diese Situation ist absurd», zeigt sich ein hochrangiger Vertreter einer namhaften Schweizer Bank verärgert.

Ob heute tatsächlich Banken in den USA noch Kunden mit Russland-Bezug bei sich aufnehmen, kann nicht bestätigt werden. Fakt ist aber: Es brauchte den russischen Angriff auf die Ukraine, bevor die amerikanischen Behörden einen ernsthaften Versuch starteten, die Steueroasen im eigenen Land trockenzulegen.

Ein neues Transparenzregister – doch die Schlupflöcher bleiben

Anfang Jahr haben die Amerikaner ein neues Transparenzregister eingeführt, das jedes Unternehmen verpflichtet, den wirtschaftlich Berechtigten an einer Firma den Behörden zu melden. Es soll nicht mehr möglich sein, dass reiche Russen mittels Strohmänner die Herkunft ihrer Vermögen verschleiern können.

Allerdings ist die Umsetzung komplex und beruht auf der Kooperation der Firmeninhaber. Und es gibt weiterhin Schlupflöcher, wie das US-Finanzministerium selbst einräumt: So sind Trust-Strukturen mehrheitlich von der Meldepflicht ausgenommen. Das mit den inländischen Trusts verbundene Geldwäschereirisiko schätzen die Behörden zwar als vergleichsweise gering ein, höher gewichten sie die Risiken, wenn ausländische Intermediäre und Strukturen involviert sind. So genau wissen sie es aber auch nicht: Es handle sich um eine «provisorische Einschätzung».

die usa als versteck für oligarchen: erst jetzt will washington die eigenen steueroasen trockenlegen

Der russische Milliardär und Geschäftsmann Suleiman Kerimow ;im Jahr 2016: Der inzwischen sanktionierte Oligarch wird von den US-Behörden angeführt als ein Beispiel dafür, wie Trusts zur Verschleierung von Vermögenswerten genutzt werden können. Mikhail Svetlov / Getty

Auch der amerikanische Immobilienmarkt stellt aus einer Geldwäschereiperspektive ein hohes Risiko dar. Besonders dann, wenn Transaktionen ohne Fremdfinanzierung und damit ohne Einbezug einer Bank erfolgen. Russische Gelder sollen auch in Luxusimmobilien investiert worden sein.

Auf Strohmänner mit Kindern setzen

Zahlreiche Russen, auch sanktionierte, dürften den Behörden immer noch einen Schritt voraus sein. «Die wirklich guten Strohmänner erwischt man nicht. Wenn sie es geschickt gemacht haben, ist es fast unmöglich, ihnen auf die Schliche zu kommen», sagt der Rechtsanwalt und Geldwäschereiexperte Fabian Teichmann. Ideale Strohmänner für russische Oligarchen seien Personen mit Kindern, die nicht einfach von der Bildfläche verschwinden könnten, falls sie nicht mehr für diese arbeiten wollten.

Als Helfer für Oligarchen seien zudem Menschen geeignet, die anfänglich nicht zu reich seien, so dass ein Abhängigkeitsverhältnis entstehe, und die über einen beruflichen Hintergrund verfügten, der den schrittweisen Aufstieg zu Reichtum plausibel mache. Solche Intermediäre werden dann für ihre Dienstleistungen ausgesprochen gut bezahlt.

Ein Anwalt gibt dennoch zu bedenken, dass es für Oligarchen immer anspruchsvoller werde, sich vollständig zu verstecken. Auch seien die in den USA parkierten Vermögenswerte faktisch nicht mehr nutzbar. Grössere Transaktionen seien unmöglich geworden, da Banken sofort Abklärungen starteten. Eine sanktionierte Person könne auch die Kinder nicht mehr in die USA auf die Schule oder die Ehefrau zum Schönheitschirurgen schicken.

Auf die sanktionierten Vermögenswerte selbst hat eine betroffene Person sowieso keinerlei Zugriff mehr. Diese Gelder sind gesperrt, frühere Kunden erhalten nicht einmal mehr Kontoauszüge. Bekanntermassen wollen die USA diese Gelder enteignen und in den Wiederaufbau der Ukraine stecken.

Die Flucht nach vorne wurde zum Rohrkrepierer

Wie viel russisches Geld weltweit noch unerkannt auf Banken in westlichen Ländern liegt, ist unbekannt. Die Amerikaner beispielsweise haben nie Zahlen veröffentlicht.

Die Schweiz aber schon: Die Schweizerische Bankiervereinigung und der Bund publizierten nach dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine Schätzungen. Die Bankiers sprachen von etwa 150 Milliarden Franken russischen Geldern, der Bund von etwa 50 Milliarden. Die grosse Spannweite erklärt sich durch die unterschiedlichen Erhebungsmethoden. So sollte der Welt gezeigt werden: Die Schweiz tut etwas.

Doch die «wohl gemeinte Flucht nach vorne» sei zum «Rohrkrepierer» mutiert, sagt ein langjähriger Kenner des Bankenplatzes. Da die Schweiz bislang erst einen einstelligen Milliardenbetrag eingefroren hat, steht sie im Verdacht, zu wenig zu tun. Andere kümmert dies weniger, so etwa Dubai: Inzwischen parkieren viele Russen ihr Geld in den Vereinigten Arabischen Emiraten, wo sie sich – für den Moment – sicher vor globalen Sanktionen wähnen.

Oder in China, wo sich Betroffene immerhin sicher sein können, dass sich die Machthaber nicht gross um US-Sanktionen kümmern. Ironischerweise, das sagen Befragte, treiben die US-Sanktionen zudem viele reiche Russen wieder zurück in ihr Heimatland. Denn in Russland könnten sie ihre dort angelegten Gelder noch einigermassen frei benützen.

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