Die SPD auf der Anklagebank

Düsseldorf. In einem Brandbrief an den Parteivorstand formulieren fünf SPD-Geschichtsprofessoren einen ungeheuren Vorwurf: Kanzler, Fraktions- und Parteispitze ermunterten Putins Aggression. Vor allem ein Sozialdemokrat bekommt den Zorn der Historiker zu spüren.

die spd auf der anklagebank

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, l.) begrüßt Rolf Mützenich, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, zu Beginn der wöchentlichen Fraktionssitzung Mitte März.

Es ist schon ungewöhnlich, dass fünf namhafte Geschichtswissenschaftler, die der SPD angehören, dem Vorstand in Sachen Ukraine-Krieg so deutlich die Leviten lesen. Da ist von einer „willkürlichen, erratischen und nicht selten faktisch falschen“ Kommunikation des Kanzlers und der Parteispitze die Rede. Der Vorschlag von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, über ein „Einfrieren“ des Ukraine-Konflikts zu einer Waffenruhe zu kommen, wird als „fatal“ gewertet. Wenn Kanzler Olaf Scholz und seine Getreuen rote Linien für die deutsche Politik statt für Putin festlegten, dann „schwächen sie die deutsche Sicherheitspolitik nachhaltig und spielen Russland in die Hände“.

Die SPD als führende Regierungspartei und der Kanzler sollten die scharfe Kritik ihrer Parteifreunde aus der Wissenschaft ernst nehmen. Fast die gesamte Zunft der Militär- und Politikexperten warnt die Bundesregierung davor, gegenüber Putin zu nachgiebig aufzutreten. Das betrifft vor allem die Kommunikation und die Signale an Moskau, aber auch die Weigerung, bestimmte hocheffiziente Waffen in die Ukraine zu liefern.

Zu Recht prangern die fünf Historikerinnen und Historiker um den wohl bekanntesten deutschen Gegenwartsgeschichtler Heinrich August Winkler das Festhalten der SPD an der inzwischen überkommenen Friedenspolitik des einstigen Brandt-Beraters Egon Bahr an. Sie kann in der jetzigen Situation nicht mehr die Richtschnur für einen Umgang mit der aggressiven Haltung von Kremlchef Putin sein. Die Furcht vor einer möglichen Eskalation des Konflikts durch Russland ist ein schlechter Ratgeber. Denn die Zurückhaltung wird Putin erst ermutigen, auf seinem neo-imperialen Kurs weiter voranzuschreiten und selbst zu eskalieren.

Vor allem der Berliner Historiker Winkler hat sich intensiv mit den Konflikten des 19. und 20. Jahrhunderts beschäftigt. Klug stellt er dabei immer wieder heraus, wie falsche und zu nachgiebige Einschätzungen der Demokratien gegenüber den Absichten von Diktatoren die Lage erst richtig verschlimmerten. Die Geschichte von 1933 bis 1938, als Hitlers Aufstieg außenpolitisch noch aufzuhalten war, zeugt davon.

Richtig: Putin ist nicht Hitler, er ist kein Vernichter im großen Stil wie der Massenmörder aus Braunau. Aber der Kremlchef kümmert sich wie andere Potentaten nicht um Völkerrecht und Abmachungen, sondern verfolgt eine rücksichtslose Politik der Stärke. So gefährlich und folgenreich es ist: Diesem imperialen Größenwahn kann der Westen nur durch Einigung und noch größere militärische Stärke begegnen. Die Gruppe um Winkler weist zu Recht auf die viel bedeutenderen Ressourcen des Westens hin. Nur aus dieser Stärke heraus kann es irgendwann einmal zu Verhandlungen mit Putin kommen.

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