Gastbeitrag
Der Tierschutz braucht einen Systemwechsel
Das Tierschutzgesetz soll erneuert werden, damit Rinder, Schweine und andere Mitwesen besser behandelt werden. Über den Entwurf wird allerdings gestritten. (Sina Schuldt/dpa)
Die geplante Reform berücksichtigt die Interessen der Agrarlobby stärker als die von Rindern und Schweinen.
Mit Antritt der Bundesregierung ging ein Aufatmen durch die Tierschutzszene. Man dachte, schlimmer als Christian Schmitt und Julia Klöckner, die vorigen CDU/CSU-Bundeslandwirtschaftsminister:innen, geht nimmer und hoffte auf den grünen Wind eines Cem Özdemir. Doch je länger er das Amt innehat, desto stärker nimmt die Enttäuschung zu.
Die anstehende Novellierung des Tierschutzgesetzes dürfte daran nur wenig ändern. Im Gegenteil, im just begonnenen Verbändeanhörungsverfahren hagelt es Kritik. Zu Recht, denn wiederum zeichnet sich ab, dass die Agrar- und Jagd-Lobbys mehr Gehör finden als die Schwächsten der Schwächsten, nämlich die Tiere.
Für ihr Leiden hat das Ministerium bislang mehr Placebos als wirksame Medizin parat. So will man die Qualzuchten etwa bei Hunden einschränken, das Strafrecht bei Tierquälerei verschärfen und das Kochen lebender Hummer untersagen. Alles okay. Dass man überdies das Amt der/des Bundestierschutzbeauftragten gesetzlich fest verankern will, zählt zu den wichtigsten Punkten des Papiers, weil dadurch (hoffentlich) eine langfristige Interessenvertretung für die Belange unserer Mitwesen eingerichtet wird.
Aber dann folgen eben auch schon die ganzen weichen Hätte-könnte-sollte-Formulierungen. Diese betreffen beispielsweise das dringend nötige Verbot der Anbindehaltung von Rindern. Sie soll zwar irgendwann kommen, vorerst aber saisonal erlaubt sein.
Zudem sind Ausnahmeregelungen beim Kupieren der Ringelschwänze bei Schweinen vorgesehen. Die ganz großen Dringlichkeiten scheinen aber – vermutlich auch wegen des Drucks der FDP – nicht angetastet zu werden. Darunter fallen etwa die Langstreckentiertransporte, die fehlenden Videokontrollen in Schlachthöfen, bessere Betäubungsverfahren (ungefähr jedes zehnte Rind wird ohne richtige Narkose zerteilt) sowie insgesamt bessere Lebensbedingungen.
Diese zentralen Punkte nicht anzugehen, ist in gleich mehrfacher Hinsicht tragisch: Allein schon weil der gesamte Agrarbereich global zum drittgrößten Emittenten klimaschädlicher Treibhausgase zählt (davon 70 Prozent in der Tierhaltung), sollte es ein Gebot der Vernunft sein, hier entschiedener zu regulieren.
Doch wir sollten uns ebenso unserer moralischen Verantwortung bewusst sein. Zumal man sich in der Ethik schon seit langem einig ist. Philosophen und Rechtstheoretiker wie Tom Regan und Bernd Ladwig haben in ihren Schriften überzeugend belegen können, warum es nicht mehr legitim ist, Tiere aufgrund vermeintlich fehlender Merkmale wie Sprache, Todesbewusstsein oder Empathie aus der Gemeinschaft der Grundrechtsträger auszuschließen, sie zu unterdrücken und auszubeuten. Zu ähnlich sind sie uns vielen behaviouristischen Studien zufolge, weswegen etwa die Denkerin Corine Pelluchon „von der Tatsache ausgeh[t], dass wir die Erde mit den Tieren teilen“.
Klingt banal, ist es aber nicht, schwingt doch in dieser Abkehr vom Anthropozentrismus die Einsicht mit, dass Vierbeiner entgegen unserer bisherigen Rechtsordnung keinen Sachen gleichen. Auch wenn in Luxemburg und der Schweiz nicht das Paradies wiedererrichtet wurde, zeugen doch die in ihren Verfassungen verankerten Bekenntnisse zur „Würde der Kreatur“ von einem fortschrittlichen Denken.
Letzteres sollte auch unseren Umgang mit Vierbeinern auf allen Ebenen – also vom Stall über den Forst bis hin zum Versuchslabor – kennzeichnen. Gewiss bedarf es dazu eines Umdenkens in der Gesellschaft, mitunter auch forciert durch tiersensible Bildung in Schulen und Universitäten.
Als noch bedeutender erweist sich allerdings politisches Handeln. Geht man von der absoluten Utopie aus, wie sie etwa die Kulturwissenschaftler:innen Sue Donaldson und Will Kymlicka beschreiben, müssten alle Tiere über ein Lebensrecht verfügen. Davon sind wir jedoch Äonen entfernt. Kluge Pragmatik wäre daher jetzt zumindest angesagt.
Sie müsste sich in scharfen Einschränkungen der Mast mit Hilfe gezielter Höherbesteuerung tierischer Produkte sowie umfassender Regeln zu mehr Bewegungsfreiheit niederschlagen. Sinnvoll erscheint überdies, perspektivisch das System von Gleichstellungsbeauftragten auf sämtliche Bereiche der Mensch-Tier-Koexistenz zu übertragen. In jedem betreffenden Unternehmen sollten demnach Fürsprecher:innen für animale Bedürfnisse anzutreffen sein.
In Özdemirs Entwurf findet sich von alldem nichts. Es mangelt an Kreativität und Rückgrat. Was soll man da noch empfehlen? Im Kant-Jahr könnte es sich jedenfalls lohnen, seinen kategorischen Imperativ – etwas vereinfacht – über die Speziesgrenze hinweg auszuweiten. Dann fragen wir uns doch alle mal: Wollen wir nur einen Tag wie die meisten Schweine, Hühner und Kaninchen in der Mast zubringen?
Björn Hayer hat Bücher zur Tierethik veröffentlicht.
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