Der isolierte Verteidigungsminister

Der Verteidigungsminister braucht elf Milliarden Euro mehr. Doch seinen Parteikollegen, ob im Kanzleramt oder Fraktion, sind die Wünsche herzlich egal. Nicht mal beim Betrieb eines wichtigen Gefechtsübungszentrums kann Pistorius die Interessen der Bundeswehr durchsetzen.

der isolierte verteidigungsminister

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) picture alliance/dpa; Kay Nietfeld; Montage: Infografik WELT

Das Verteidigungsministerium war offenkundig zufrieden mit dem ZDF. Über Monate hatte ein Team des öffentlich-rechtlichen Senders exklusive Zugänge zum Chef des Hauses erhalten: auf Reisen, bei Gesprächen, über Kontaktvermittlungen zu engen Weggefährten von Boris Pistorius (SPD). Das Ergebnis priesen die Öffentlichkeitsarbeiter des Wehrressorts am Dienstag im sozialen Netzwerk X als TV-Tipp an.

Darin heißt es: „Verteidigungsminister #Pistorius – entschlossen, pragmatisch und ein Freund klarer Worte. Aber welcher Mensch steckt hinter dem Berufspolitiker? Erfahrt mehr über seinen eng getakteten Arbeitsalltag im Film „Mensch Pistorius!“ um 20:15 im ZDF“.

Derlei Politmarketing durch den Stab Informationsarbeit des Ministeriums, der Presse und Öffentlichkeit laut Eigenauskunft „über die Bundeswehr und die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik Deutschlands“ unterrichten soll, hat es seit den Zeiten Ursula von der Leyens (CDU) nicht mehr gegeben.

In dem freundlichen Porträt über den laut Umfragen beliebtesten Politiker Deutschlands erfuhren die 2,17 Millionen Zuschauer, dass der Fußballer Pistorius sich einst als linker Verteidiger beim Osnabrücker Stadtteilklub Schinkel 04 den Spitznamen „Kamikaze“ erwarb. An politisch relevanten Stellen aber blieben Nachfragen aus.

So zum Beispiel, als Pistorius von dem Anruf des Bundeskanzlers berichtet, in dem ihm Olaf Scholz (SPD) den Job des Verteidigungsministers offerierte. „Ja“, habe er gesagt, erzählt Pistorius: „Und ich hätte gern die und die Zusage, dass ich so und so agieren kann.“

Da hätte man gern gewusst, um welche Zusagen es sich handelte. Geld jedenfalls kann es nicht gewesen sein, denn diesbezüglich lässt Scholz seinen Minister im Regen stehen. Der Kredit von 100 Milliarden Euro für die Ausstattung der Bundeswehr wurde lange vor der Amtsübernahme von Pistorius aufgenommen. Und alle Versuche des Ministers, mehr Finanzmittel zu bekommen, wurden seitdem entweder abschlägig oder mit unverbindlichen Versprechen beschieden.

So ist weiterhin völlig unklar, wie die nötige Verdopplung des Etats auf 90 bis 100 Milliarden Euro nach dem Auslaufen des sogenannten Sondervermögens erreicht werden soll. Im vorigen Jahr forderte Pistorius eine erste Aufstockung des Kernhaushalts um zehn Milliarden Euro – und bekam nur einen kleinen Aufschlag, um die tarifbedingte Steigerung der Gehälter bezahlen zu können. Später musste er noch zustimmen, die eigentlich für Rüstungsmaterial bestimmten Mittel aus dem Schuldentopf auch für allerlei andere Aufgaben auszugeben.

Im nächsten Haushalt will Pistorius nun rund 6,7 Milliarden Euro mehr. Und in der Sitzung des Verteidigungsausschusses am Mittwoch informierte Generalleutnant Gert Nultsch, Abteilungsleiter Planung im Ministerium, die Abgeordneten erstmals über die Kosten für Pistorius‘ Lieblingsprojekt, eine dauerhaft in Litauen stationierte Brigade des Heeres. Deren Entsendung hatte der Minister ohne Abstimmung in der Bundesregierung verkündet, ganz so wie er einst Fußball spielte: im „Kamikaze“-Stil, jedenfalls ohne finanzielle Absicherung.

Nun ist klar: Elf Milliarden Euro zusätzlich braucht der Minister dafür, so berichtete es zunächst der „Spiegel“. Teilnehmer der Sitzung bestätigten WELT: Nultsch habe dargelegt, dass eine Milliarde Euro für jährliche Betriebskosten, vier Milliarden Euro für die Anschaffung von Großgerät und sechs Milliarden Euro für weitere Investitionen gebraucht würden. Die geplanten Auslandszulagen für die rund 5000 Soldaten, die im Baltikum stationiert werden sollen, seien darin noch nicht einmal enthalten.

Der Streit über das Gefechtsübungszentrum

Nächste Woche muss Pistorius seinen Bedarf für das kommende Jahr bei Finanzminister Christian Lindner (FDP) anmelden. Der plant einen Sparhaushalt. Lindner steht der Bundeswehr zwar grundsätzlich freundlich gesinnt gegenüber, hat mit der Einhaltung der Schuldenbremse und einer kostenintensiven „Wirtschaftswende“ aber andere Prioritäten.

Erreichen könnte Pistorius bei Lindner – wenn überhaupt – nur etwas mit der Unterstützung des Kanzlers und der SPD-Fraktion. Doch den sozialdemokratischen Kollegen sind die Wünsche ihres populären Verteidigungsministers bislang herzlich egal.

Anschaulich wurde das am Mittwoch im Verteidigungsausschuss auch bei einem weiteren Thema. Unter Tagesordnungspunkt zwölf ging es dort um die Zukunft des Gefechtsübungszentrum (GÜZ) des Heeres in Sachsen-Anhalt. Das ist für die von Pistorius angestrebte „Kriegstüchtigkeit“ der Bundeswehr von zentraler Bedeutung, wie das Ministerium dem CDU-Abgeordneten Ingo Gädechens auf Anfrage mitteilte.

„Das Gefechtsübungszentrum des Heeres ist das international anerkannte Ausbildungszentrum der Landstreitkräfte für Kampf- und Unterstützungstruppen“, erläutert das Ressort. Es handele sich um eine „Hochwertausbildungsstätte“, der „insbesondere infolge der Zeitenwende und der damit verbundenen Forderung nach einsatzbereiten und kriegstüchtigen Streitkräften eine noch größere Bedeutung“ zukomme.

Seit der Gründung 2001 wird das GÜZ in einem sogenannten Kooperationsmodell mit der Industrie betrieben. Bis 2019 war das Rheinmetall, dann gewann der schwedische Rüstungskonzern Saab die europaweite Ausschreibung. Das sorgte damals für Ärger, juristisch und parlamentarisch: Rheinmetall klagte vergeblich gegen die Vergabe, und auch im Haushaltsausschuss des Bundestags war man nicht glücklich. Dort herrschte nicht nur Unmut über die Ausbootung des deutschen Unternehmens.

der isolierte verteidigungsminister

Ein Soldat der Bundeswehr während einer Übung im Gefechtsübungszentrum des Heeres in Gardelegen picture alliance/dpa

Vor allem in der SPD war man der Auffassung, dass der Betrieb über einen externen Dienstleister teurer sei als ein Modell, bei dem die Bundeswehr das Zentrum selbst organisiert. Der Ausschuss verabschiedete deshalb einen sogenannten Maßgabebeschluss, wonach das GÜZ nach Auslaufen des Vertrags mit Saab 2026 verstaatlicht werden muss.

„Die Maßgabe war damals im Einvernehmen mit dem Haus und ist ein gültiger Beschluss“, sagt nun der amtierende Chefhaushälter der SPD, Dennis Rohde, WELT. „An unserer Auffassung, dass die zentrale Ausbildungseinrichtung des Heeres durch die Bundeswehr direkt betrieben werden soll, hat sich seit 2019 nichts geändert.“

In der Bundeswehr sieht man das freilich ganz anders. Das Heer ist hochzufrieden mit der Zusammenarbeit mit Saab und hat angesichts des Personalmangels auch gar keine Soldaten für den Betrieb des GÜZ übrig. Die strukturschwache Altmarkregion in Sachsen-Anhalt freut sich über die Arbeitsplätze für rund 300 zivile Mitarbeiter. Und das Ministerium kam in einer Wirtschaftlichkeitsuntersuchung zu dem Ergebnis, dass die Kooperation mit der Industrie billiger ist als eine staatliche Lösung – ja nach Variante um 65 bis zu 103 Millionen Euro.

Folglich bat das Ressort den Haushaltsauschuss bereits vor einem Jahr erstmals um die Aufhebung des Maßgabebeschlusses. Doch alle Bemühungen blieben vergebens, Pistorius scheiterte an der Beharrlichkeit seines Parteifreundes Rohde – und muss das GÜZ nun in den Betrieb durch die Bundeswehr überführen. Im Verteidigungsausschuss sorgt das – außer bei der SPD – für harsche Kritik an Pistorius.

Union sieht Gefahr eines „Übungsstillstandes“

„In noch nie gesehener Form wird der militärische Ratschlag durch die politische Leitung des Verteidigungsministeriums unterdrückt und die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung aus parteipolitischen Gründen ignoriert“, sagte der verteidigungspolitische Sprecher der Union, Florian Hahn (CSU), WELT. Die Folge seien „wahrscheinlich enorme Mehrkosten und die Gefahr, dass es zum Ausbildungs- und Übungsstillstand im Gefechtsübungszentrum kommt“. Bis 2026 den Eigenbetrieb zu organisieren, ist angesichts der bekannt bürokratischen Prozesse im Ressort tatsächlich eine Herausforderung.

Hahn findet die Entscheidung jedenfalls „unverantwortlich, wenn man die Worte des Ministers zur Kriegstüchtigkeit wirklich ernst nimmt“. Er spekuliert: „Entweder hat Minister Pistorius noch nicht einmal die Kraft, sich gegen die Seilschaften seiner Partei durchzusetzen. Oder die Partei ist ihm wichtiger als die Sache.“

Der ostdeutsche Verteidigungspolitiker Jens Lehmann (CDU) sagte WELT, er werde „kämpfen bis zum Schluss, dass das Geld nicht zum Fenster hinausgeworfen wird. Dass ein Minister sich nicht gegen einen Haushaltspolitiker der eigenen Fraktion durchsetzen kann, halte ich für fragwürdig.“

Auch der AfD-Wehrexperte Rüdiger Lucassen versteht Pistorius nicht. „Das Kooperationsmodell bewährt sich seit Jahren. Alle sind zufrieden, und auch das Heer will dieses Modell weiterbetreiben“, sagte der Oberst a. D. WELT. „Offenbar konnte der Verteidigungsminister aber die berechtigten Interessen der Bundeswehr nicht gegen seine SPD-Fraktion durchsetzen.“

Nicht nur in der Opposition, auch in der Koalition rumort es. Der Verteidigungspolitiker Marcus Faber (FDP) aus dem Wahlkreis Stendal, der die Altmark-Region bestens kennt und sich um Arbeitsplätze, Steuerausfälle sowie Einsatzbereitschaft der Bundeswehr sorgt, findet „die Blockade der SPD im Haushaltsausschuss absolut unverständlich“. Nachdem Pistorius „den Irrweg seiner Parteikollegen“ nicht habe beenden können, setzt Faber nun auf den Bundesrechnungshof und den Bundesfinanzminister, seinen Parteifreund Lindner.

Das Verteidigungsministerium aber sieht sich an die Maßgabe gebunden – auch wenn man sie für falsch hält. Fieberhaft wird aktuell überlegt, wie Ärger mit dem Rechnungshof wegen eines Verstoßes gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot vermieden werden kann. So würde es nicht überraschen, wenn demnächst eine neue Wirtschaftlichkeitsuntersuchung mit anderem Ergebnis vorgelegt würde. Und ein Veto von Finanzminister Lindner könnte man umgehen, indem die neue staatliche Betreibergesellschaft an eine bestehende wie die Heeresinstandsetzungslogistik angedockt würde.

Mit Zeitenwende und der PR des Ministeriums hat das alles freilich nur noch wenig zu tun. Als „entschlossen, pragmatisch und ein Freund klarer Worte“ hat sich Pistorius im Fall des GÜZ nicht erwiesen. Und auch beim Blick auf die Finanzen liegt für den nächsten Film über den Niedersachsen ein anderer Titel nahe: Pistorius, der Minister ohne Truppen in SPD-Fraktion und Kanzleramt.

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