Denkmalstreit in Bulgarien: Sofia entsorgt seine Rotarmisten

denkmalstreit in bulgarien: sofia entsorgt seine rotarmisten

Denkmalpflege mit Superman: Das Künstlerkollektiv „Destructive Creation“ bemalte das sowjetische Ehrenmal in Sofia im Jahr 2011.

Aljoscha steht noch. Von einem Hügel über Plowdiw aus wacht er unentwegt über die zweitgrößte Stadt Bulgariens. Fast elf Meter hoch erhebt sich die granitene Statue eines Sowjetsoldaten, der Sockel misst noch einmal sechs Meter. Die Erbauer wollten sichergehen, dass Aljoscha in der etwa 340.000 Einwohner zählenden Stadt schon von weither zu sehen ist, und das haben sie erreicht. Inschriften am Denkmal verkünden „Ehre der unbesiegbaren sowjetischen Befreierarmee“.

Doch Aljoscha hat es nicht mehr so leicht wie einst. Noch 2007, zu seinem fünfzigsten Geburtstag, feierte seine Stadt ihn mit Feuerwerk und Konzerten. Drei Jahre später wurde der einstige Rotarmist Aleksej Skurlatow, dessen Foto den bulgarischen Bildhauern in den Fünfzigerjahren als Vorlage diente, vom damaligen Staatspräsidenten Bulgariens ausgezeichnet. Skurlatow starb 2013 in seiner Heimat im Altai und musste nicht mehr miterleben, was dem überlebensgroßen Abbild seiner jungen Jahre im fernen Europa widerfuhr. Denn Putins Kriege sind auch an Plowdiws Aljoscha nicht spurlos vorübergegangen. Im November 2017 wurde das Denkmal mit roter Farbe und antisemitischen Sprüchen beschmiert. Die Täter wurden nie gefasst. Hätte es sie nicht gegeben – die russische Botschaft in Moskau hätte sie erfinden müssen. So konnten sich Moskaus Diplomaten effektvoll darüber entrüsten, dass in Plowdiw das Ansehen des russischen Kampfes gegen den Faschismus von bulgarischen Faschisten beschmutzt werde.

denkmalstreit in bulgarien: sofia entsorgt seine rotarmisten

Ungeliebt: Sowjetdenkmal in Plowdiw

Keine nächtliche Beleuchtung mehr nach Überfall auf Ukraine

Doch die Unterstellung, dass alles faschistisch sei, was sich Moskau nicht unterordnen will, geht auch in Bulgarien längst nicht mehr auf. Im Januar 2020 wurde Aljoscha mit blutroter Farbe besprüht, ganz ohne Schmutzparolen. Die Botschaft war nicht zu verkennen. Und am 22. September 2022, dem bulgarischen Unabhängigkeitstag, verfügte die Stadtverwaltung von Plowdiw aus Protest gegen die russische Invasion der ­Ukraine eine vorübergehende Abschaltung der nächtlichen Beleuchtung des Denkmals. Aljoscha stand im Dunkeln.

Auch andere sowjetische Monumente in Bulgarien – und davon gibt es viele Dutzend, bis in kleine Provinzstädte hinein – sind vom Unmut vieler Bulgaren über den russischen Krieg gezeichnet. Häufig werden die Hände der steinernen Sowjetkämpfer rot angemalt. Das ­sowjetische Soldatenehrenmal in der Schwarzmeerstadt Burgas, das ebenfalls Aljoscha heißt, wird immer wieder mit Parolen gegen Putins Krieg besprüht. Die Stadtverwaltung sorgt zwar regelmäßig für die Entfernung der freiheitlichen Losungen, lässt sich unter Hinweis auf die erheblichen Kosten der ständigen Reinigungen aber mitunter Zeit damit.

In der Hauptstadt ist man schon einen Schritt weiter. Mitte Dezember wurde in Sofia mit der Demontage des fast vierzig Meter hohen Denkmals für die sowjetische Armee begonnen. Die Entsorgung des 1954 enthüllten Bauwerks, das ebenfalls einen Rotarmisten zeigt, steht am Ende einer jahrzehntelangen Debatte. Schon 1993 hatte es eine Stadtratsentscheidung zum Abbau des spätstalinistischen Denkmals gegeben.

Bruch mit Russland ist nicht populär

Die nach einer kurzen Schwächephase bald darauf wieder erstarkten Postkommunisten von der in Bulgarien besonders moskau-treuen Sozialistischen Partei wussten das aber zu hintertreiben. Da der Bruch mit dem großen Bruder im Osten bei der älteren Generation in Bulgarien ohnehin nicht populär war, schreckten auch spätere Stadtregierungen davor zurück, das Denkmal abzutragen. Zwar wurde im Jahr 1999 das Mausoleum für den bulgarischen Kommunistenführer Georgi Dimitrow in Sofia gesprengt (den nach leninscher Art einbalsamierten Leichnam hatte man zuvor vorsichtshalber umgebettet), doch das blieb ein einsamer Akt postkommunistischen Bildersturms.

Seit Kurzem weht jedoch ein anderer Wind durchs Land. In Bulgarien haben sich nach einer längeren Phase der Instabilität neue Mehrheitsverhältnisse gebildet. Die bulgarische Regierungskoalition ist zwar in innenpolitischen Fragen oft zutiefst zerstritten, folgt in der Außenpolitik aber einem Kurs, der so klar prowestlich ist wie der keiner anderen bulgarischen Regierung seit 1990. Das fällt leichter, seit die Sozialisten als Mehrheitsbeschaffer im Parlament nicht mehr benötigt werden. In der Hauptstadt ist es ähnlich, nachdem sich der als Softwareunternehmer zum Millionär gewordene neue Bürgermeister Wassil Tersiew bei der Kommunalwahl im vergangenen November durchsetzen konnte.

Für das Sowjetdenkmal in Sofia bedeutete die neue Konstellation das Aus. Iwajlo Mirtschew, Vorsitzender der an der Regierungskoalition beteiligten prowestlichen Partei „Ja Bulgarien“, beschrieb das Denkmal unlängst als „Symbol der Besatzung“, das auf die gesamte bulgarische Geschichte einen Schatten geworfen habe.

Kritik, dass sich die Regierenden lieber um Alltagsaufgaben wie eine Ausbesserung der in Sofia halsbrecherisch unebenen Bürgersteige kümmern sollten, entgegnete er: „Die Bürgersteige werden wir reparieren. Die Hauptstadt ist aber mehr als die Bürgersteige, auf denen wir gehen“, schrieb der ebenfalls aus der Softwarebranche in die Politik gekommene Seiteneinsteiger. Eine Hauptstadt sei das Herz und das Gesicht eines Landes vor der Welt, sie stehe für die Ausrichtung des Staates. Deshalb gehe es bei der Demontage des Denkmals nicht allein um Steine und Skulpturen: „Wir bauen nicht nur ein Denkmal ab. Wir holen uns die Gelegenheit zurück, die Geschichte durch unser eigenes Prisma zu verstehen statt durch das der russischen Propaganda.“

Moskau: „Feindseliger Schritt Sofias“

Der massive Sockel des Denkmals steht allerdings vorerst noch. Die sozialistisch-realistischen Reliefs vorwärtsdrängender Sowjetsoldaten am Postament sind schon seit vielen Jahren Schauplatz einer ideologischen Auseinandersetzung, die durchaus unterhaltsame Züge hat. Immer wieder wurde das Fries durch nächtliche Graffitiattacken verfremdet, und dies mitunter so gekonnt, dass Bilder davon um die Welt gingen. In einer Nacht des Jahres 2011 führte das bulgarische Künstlerkollektiv „Destructive Creation“ einen besonders kreativen Überfall aus.

Am nächsten Morgen war aus den grimmigen Sowjetsoldaten eine kunterbunte Chaostruppe aus Weihnachtsmann, Supermann, Ronald McDonald, Joker und anderen Phantasiefiguren geworden. Als in Kiew 2014 die Maidan-Proteste blutig niedergeschlagen wurden, stürmte ein Soldat des Denkmals eines Morgens in den gelb-blauen Farben der Ukraine gegen den Feind. Zum 45. Jahrestag der Niederschlagung des Prager Frühlings, an dem sich auch bulgarische Truppen hatten beteiligen müssen, war dieselbe Szene in Rosa getaucht, versehen mit einer Losung auf Bulgarisch und Tschechisch: „Bulgarien entschuldigt sich.“

Solche Vorfälle sorgten zuverlässig für Protest aus Moskau. Das gilt natürlich erst recht für den aus Sicht des Kremls frevelhaften Beschluss der Sofioter Stadtregierung, das massive Zeugnis der russischen Invasion und Okkupation Bulgariens ganz abzubauen. „Wir betrachten die Zerstörung des Denkmals unserer gemeinsamen Vergangenheit als einen weiteren feindseligen Schritt des offiziellen Sofias“, verkündete die russische Außenamtssprecherin Maria Sacharowa im Dezember und warnte, Bulgarien wähle „erneut die falsche Seite der Geschichte“.

Das war ein Hinweis darauf, dass Bulgarien im Zweiten Weltkrieg bis 1944 an der Seite Deutschlands gestanden hatte, in der vergeblichen Hoffnung auf eine Rückgewinnung Mazedoniens und anderer Gebiete, die es im Zweiten Balkankrieg sowie danach im Ersten Weltkrieg an Griechenland und Serbien verloren hatte. Nach offizieller Lesart Moskaus ist das demokratisch und prowestlich regierte Bulgarien von heute nicht besser als der Staat, der einst Hitlers Juniorpartner war. So hat es auch Sacharowa unlängst deutlich gemacht: Für das „barbarische Handeln“ der Bulgaren gebe es weder eine Rechtfertigung noch eine Entschuldigung, donnerte die Außenamtssprecherin.

Soll auch das Freundschaftsdenkmal verschwinden?

Die Debatte über den richtigen Umgang mit den Monumenten zur Ehre der Sowjetunion und ihrer Krieger in Bulgarien werden solche Tiraden nicht aufhalten – und zu diskutieren gibt es noch viel. Auf einem Hügel über Warna am Schwarzen Meer, der drittgrößten Stadt Bulgariens, erhebt sich 23 Meter hoch und fast 50 Meter breit das 1978 fertiggestellte Denkmal für die bulgarisch-sowjetische Freundschaft. Soll es ebenfalls verschwinden?

Vertrackt wird die Sache stets dann, wenn ein Denkmal nicht allein der kommunistischen Zeit gewidmet ist, sondern den Beziehungen zwischen Russen und Bulgaren insgesamt. Denn dass die Bulgaren die Wiederentstehung ihres Staates nach Jahrhunderten der Besatzung dem Russisch-Osmanischen Krieg von 1877/78 verdanken, dass Russland sogar beinahe ein bis zum heutigen Istanbul reichendes Großbulgarien durchgesetzt hätte, ist eine Tatsache. Niemand in Bulgarien bestreitet das. Es sei angemessen, jeden Fall einzeln zu bewerten und die örtlichen Gemeinderäte entscheiden zu lassen, sagt der an der Universität Oxford lehrende bulgarische Politikwissenschaftler Dimitar Bechev über die Denkmalsdebatte. Allerdings erwartet er ohnehin keine Welle von Denkmalsdemontagen, nachdem das Monument in der Hauptstadt öffentlichkeitswirksam abgebaut wurde: „Der symbolische Akt ist vollbracht.“

Doch was soll mit dem abgebauten Denkmal geschehen? Soll es anderswo wieder aufgebaut werden, als Zeugnis dunkler Zeiten? Bechev ist sich nicht sicher, ob die Idee ausführbar ist. „Ich bin skeptisch, ob man einen geeigneten Platz finden kann und ob die Statuen so ausgestellt werden könnten, dass sie eine Geschichte über die kommunistische Ära erzählen.“ Anfangs hieß es, das ausrangierte Großdekor solle in das 2011 eröffnete Sofioter Museum für sozialistische Kunst gebracht werden, in dessen Garten schon mehr als 70 ähnliche Prachtstücke aus dem ganzen Land zu sehen sind. Auch der fünfzackige rote Stern steht dort, der einst über dem Hauptquartier der Kommunistischen Partei Bulgariens prangte. Bulgarische Medien berichten jedoch von Platzproblemen. Bulgarien hat mehr alte Sowjetkunst, als es musealisieren kann.

Andere Herangehensweisen denkbar?

Eine andere Möglichkeit bestünde darin, heikle Denkmäler zu kontextualisieren. So hat man es in Hamburg mit dem 1934 errichteten Kriegerdenkmal für das 76. Infanterieregiment getan. Statt das Monument mit der Inschrift „Deutschland muss leben, und wenn wir sterben müssen“ abzutragen, wurde es um ein von dem Wiener Bildhauer Alfred Hrdlicka entworfenes Gegen-Denkmal erweitert, das an die Schrecken der Bombardierung und der Konzentrationslager erinnert. Ähnliche Lösungen seien auch in Bulgarien denkbar, mutmaßt Bechev.

So hätte man das Dimitrow-Mausoleum auch zum Erzählen einer Geschichte über den Kommunismus nutzen können, statt es in die Luft zu sprengen. Eine Umwidmung des Armeedenkmals in Sofia wäre vermutlich aber keine Lösung gewesen. „Für viele blieb das Denkmal ein Symbol der Unterwerfung unter Moskau, nicht des Kampfes gegen den Faschismus. Ich bin mir nicht sicher, wie es hätte neu definiert und erzählt werden können.“

Aljoscha von Plowdiw könnte Glück haben: Das Schicksal seines namenlosen Kameraden aus der Hauptstadt bleibt ihm womöglich erspart. Bei der Bevölkerung Sofias war das Denkmal nie sonderlich beliebt. In Plowdiw dagegen haben viele Menschen ihren Wächter ins Herz geschlossen. Abiturklassen kommen für Abschlussfotos auf die Anhöhe, auch Hochzeitspaare halten ihren großen Tag dort fest. Aljoscha, so scheint es, darf bleiben. Nur kann es sein, dass ihn die Gegner des heutigen Machthabers im Kreml von Zeit zu Zeit über Nacht erröten lassen werden.

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