35 Milliarden Euro gibt Deutschland für Entwicklungshilfe aus. Zurück brachte das der Bundesregierung kaum etwas, im Gegensatz zu anderen Geberländern. WELT weiß exklusiv, welche neuen Forderungen die Industrie nun an die Politik stellt. Und sie offenbaren eine harte Realität.
Arbeiter einer Lithiummine in der Atacama-Wüste in Südamerika picture alliance/dpa/Deutsche Presse-Agentur GmbH
Die deutsche Industrie erklärt die Entwicklungspolitik in ihrer bisherigen Form für gescheitert. Die Hilfsmilliarden hätten „in vielen Ländern keine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung befördert“, heißt es in einem Positionspapier des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), das WELT exklusiv vorliegt. Der Zwang zu weiteren Einsparungen biete die Chance für eine „entwicklungspolitische Zeitenwende“.
Dabei sollten Deutschlands eigene Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen künftig stärker im Fokus stehen, fordert der Industrieverband. Deren Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner wird das Papier am Mittwoch bei einer Veranstaltung anlässlich der bevorstehenden Münchener Sicherheitskonferenz vorlegen.
Mit seinem Vorstoß heizt der BDI die politische Debatte über Sinn und Unsinn der deutschen Entwicklungshilfe an. Zuletzt hatte die deutsche Finanzierung von Radwegen in Peru heftige Kritik an der Entwicklungspolitik der Ampel-Regierung ausgelöst.
Nicht nur FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki verlangte angesichts der akuten Finanzknappheit im Bundeshaushalt weitaus größere Einsparungen. „Wir müssen die Projekte im Ausland vollständig auf den Prüfstand stellen“, sagte der Liberale der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Die CDU hält ebenso wie der BDI eine stärkere Orientierung an den eigenen Interessen Deutschlands für geboten. Denn es geht um viel Geld.
Im internationalen Vergleich der Geberländer belegte Deutschland mit 35 Milliarden Dollar 2022 den zweiten Platz hinter den USA, die 55 Milliarden Dollar an Hilfen gewährten. Nach Angaben der Industrieländerorganisation OECD folgen Japan mit 17,5 Milliarden Dollar sowie Frankreich und Großbritannien mit jeweils knapp 16 Milliarden Dollar.
Ein großer Player ist auch die EU mit gut 23 Milliarden Dollar, wovon Deutschland wiederum ein Viertel beisteuert. Als Entwicklungshilfe zählen dabei auch Ausgaben für die Versorgung von Flüchtlingen im In- und Ausland, die in den vergangenen Jahren stark gestiegen sind.
Seit 2022 schlagen zudem die Hilfen für die von Russland angegriffene Ukraine stark zu Buche. Die Deutschen setzen den Schwerpunkt ihrer Entwicklungshilfe mit einem Anteil von 40 Prozent der Ausgaben beim Klimaschutz.
Das Bundesministerium für Entwicklungszusammenarbeit verantwortet indes nur einen relativ kleinen Teil der deutschen Hilfen. Im laufenden Jahr sind 11,2 Milliarden Euro vorgesehen, wobei knapp die Hälfte dabei als bilaterale Hilfe an einzelne Länder geht.
Im vergangenen Jahr war der Etat rund eine Milliarde Euro größer. In den nächsten Jahren sollen die Ausgaben weiter schrumpfen, Ministerin Svenja Schulze (SPD) spricht von „drastischen Kürzungen“, die schmerzhaft seien.
Systemwettbewerb um knappe Ressourcen
Auch angesichts der geplanten Einsparungen fordert der BDI eine strategische Neuausrichtung. Deutschland müsse im Rahmen seiner Außenwirtschaftspolitik das Instrument der Entwicklungshilfe gezielt einsetzen, um sich den Zugang zu Rohstoffen und Energie zu sichern und neue Märkte zu erschließen.
Zumal vor allem China dabei sei, in rohstoffreichen Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas eine Vorherrschaft aufzubauen. Die neue Realität sei gekennzeichnet von einem globalen Systemwettbewerb zwischen autokratischen Regimen und demokratischen Staaten, heißt es in der BDI-Analyse: „Notwendig ist eine strategische Neuausrichtung, die die Bedürfnisse der Partnerländer berücksichtigt und gleichzeitig den eigenen geostrategischen Interessen Deutschlands dient.“
Private Investitionen spielen beim Aufstieg ärmerer Länder eine viel größere Rolle als die Entwicklungshilfe. Doch besonders in Afrika ist das unternehmerische Risiko für deutsche Investoren vielerorts zu hoch. Die Wirtschaft fordert deshalb von der Bundesregierung eine bessere staatliche Risikoabsicherung und günstigere Finanzierungen, wenn sie sich in Entwicklungsländern engagiert.
In anderen Ländern ist eine solche Verzahnung von Entwicklungshilfe und Außenwirtschaftsförderung seit Jahrzehnten gängige Praxis. Überdies vergeben Japan, Frankreich oder die USA nach OECD-Angaben 60 bis 85 Prozent des gesamten Auftragsvolumens ihrer Entwicklungshilfe an ihre heimischen Firmen.
Dagegen liegt dieser Anteil für Deutschland lediglich bei elf Prozent. Der BDI sieht in dieser Benachteiligung eine ernstzunehmende Wettbewerbsverzerrung.
Die Bundesregierung sollte nach Ansicht der deutschen Wirtschaft außerdem die Entwicklungshilfe für China beenden – diese wird allerdings bereits seit 2010 nicht mehr im klassischen Sinne gezahlt, sondern nur noch mit Blick auf Klimaschutz.
Moniert wird zudem, dass Deutschland trotz seiner Rolle als zweitgrößter Finanzier in den internationalen Entwicklungsorganisationen dort über keinen großen Einfluss verfüge.
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