Ein "globales Verbrechen": Woher kommen Rassismus und Fremdenhass?

1989 fiel die Mauer, 1990 feierte Deutschland die Wiedervereinigung und den Sieg der Weltmeisterschaft (im Film verwendete Illustration). Wenig später kam es vermehrt zu Anschlägen auf Asylbewerber im Land.

Woher kommt der Hass? Die eindringliche Dokumentation “Rasse. Wahn. Verbrechen. – Die Geschichte des Rassismus” zeichnet die Entwicklung des modernen Rassismus nach.

Der gewaltsame Tod des Afroamerikaners George Floyd durch einen weißen Polizisten in den USA, der wiederaufgeflammte Rassismus-Vorwurf gegen das britische Königshaus und die anhaltende Asyldebatte in Deutschland: Die Themen Rassismus und Fremdenhass in der Gesellschaft scheinen aktuell wie nie. Und doch sind sie Jahrhunderte alt, wie der Filmemacher John A. Kantara in der Dokumentation “Rasse. Wahn. Verbrechen. – Die Geschichte des Rassismus” aufschlüsselt, die am Donnerstag, 15. Februar, 20.15 Uhr, auf ZDFinfo zu sehen ist. Eine chronologische Zeitreise, die im Spanien des 15. Jahrhunderts beginnt und den Bogen bis heute spannt, eingeordnet von Historikerinnen und Historikern und ergänzt durch erklärende Illustrationen.

1619 landete das erste Schiff mit afrikanischen Sklaven (im Film verwendete Illustration) in den USA. Dort wurden sie als Arbeitskräfte unter anderem auf Plantagen verkauft.

Ausgangspunkt ist das “Pogrom von Toledo” im Jahr 1449. Damals zog eine Gruppe von Christen “plündernd und brandschatzend” durch das Viertel der Muslime und Juden, mit denen sie bis dahin lange in Frieden zusammengelebt hatten. Es folgt ein kurzer erklärender Sprung in die spanische Historie, von der Herrschaftsübernahme durch die Araber ab 711 bis zur Wiedereroberung der Iberischen Halbinsel durch die Christen ab dem 12. Jahrhundert. Danach mussten sich Juden und Muslime den Christen anpassen. In diese Zeit fällt die Entstehung antisemitischer Stereotype, die Idee der “Blutreinheit” kam auf, und erstmals wurden in der europäischen Geschichte “Blut und Rasse” miteinander in Verbindung gebracht, wie die Historikerin Dr. Katharina Loeber betont. Die Idee also, dass die Juden zugeschriebenen negativen Charaktereigenschaften wie Habgier vererbbar seien – der Beginn des modernen Rassismus. Mit diesen Ideen im Kopf ging Christoph Kolumbus in kastillischem Auftrag 1492 auf Entdeckungsreise und nahm das rassistische Gedankengut mit nach Amerika.

1619 landete das erste Sklavenschiff aus Afrika in Nordamerika, nämlich in Jamestown, Virginia (im Film verwendete Illustration).

Zu Besuch bei Familie Tucker

Ein Besuch bei den Tuckers in Virginia lässt die 400 Jahre alte Geschichte ihrer Familie lebendig werden, die exemplarisch ist für die von Millionen Afroamerikanern in den USA. Direkte Vorfahren der Tuckers wurden aus Afrika verschleppt und befanden sich an Bord des ersten Sklavenschiffs, das 1619 in Nordamerika landete. Wie Tausende andere wurden sie, vermeintlich gerechtfertigt durch die konstruierte Überzeugung von der “white supremacy”, der Überlegenheit von Menschen europäischer Abstammung anderen gegenüber, wie Vieh verkauft und als Arbeitskräfte missbraucht, um das junge Land zu Wohlstand zu bringen. Die Abschaffung der Sklaverei im Jahr 1865 sollte nichts am rassistischen Gedankengut ändern, wie im weiteren Verlauf der Dokumentation ein Abstecher ins Hollywood des Jahres 1940 und der Tod von George Floyd vor vier Jahren belegen. Im Gegenteil: Das Gedankengut übertrug sich weiter auf indigene Amerikaner und Asiaten – “Rassismus wird zum globalen Verbrechen”.

Eine weitere Etappe der Doku führt nach Indien. 1919, nach dem Ersten Weltkrieg, herrscht eine angespannte antikoloniale Stimmung gegen das britische Empire. 200 Jahre weiße Herrschaft, das bedeute “Raub, Hunger und Gewalt”, fasst es der Historiker Kehinde Andrews zusammen. Es kommt zu Zusammenstößen zwischen friedlich Protestierenden und britischen Soldaten, die ihren blutigen Höhepunkt im Massaker von Amritsar finden werden – dem Anfang vom Ende der britischen Herrschaft. Aber es ist nicht das Ende rassistischen Gedankenguts. Bestes Negativbeispiel: Queen Elizabeths Ehemann Prinz Philip, der immer wieder durch rassistische Bemerkungen von sich reden machte und dafür mehr belächelt als verurteilt wurde. Seit der Beziehung von Prinz Harry und der Afroamerikanerin Meghan Markle steht der Rassismusvorwurf gegen das britische Königshaus aktuell erneut im Raum – im scheinbar aufgeklärten 21. Jahrhundert.

Die Geschichte des Fremdenhasses ist nicht Geschichte

Auch das wohl düsterste Kapitel der deutschen Geschichte diskutiert der Film eindringlich. “Alles hat sich geändert nach dem Tag”, erinnert sich der Zeitzeuge Rolf Abrahamson, damals ein Kind, in bewegenden Worten an das Novemberpogrom 1938, das den Auftakt zum Holocaust markierte. “Der 9. November war für uns ein Schicksalstag, das war für alle in Juden in Deutschland das Ende des Lebens.”

Gut 50 Jahre später, 1992, wird in Rostock-Lichtenhagen ein verheerender Brandanschlag auf ein Haus verübt, in dem vietnamesische Vertragsarbeiter und Asylbewerber leben. Aus purem Hass gegen Fremde. Schon in den Jahren zuvor hatte es in ganz Deutschland ähnliche Angriffe gegeben. Hier wirft Regisseur Kantara einen Blick auf die Asyldebatte, die bereits seit den Achtzigerjahren andauert. Die anhaltende Frage, ob Deutschland ein Einwanderungsland sei oder nicht, zeigt, dass die Geschichte des Rassismus und Fremdenhasses genau eines nicht ist: Geschichte – nicht hierzulande und nicht auf der ganzen Welt. Das macht diese Dokumentation aktueller denn je und unbedingt sehenswert.

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