Die Kosten der Klimakrise bereiten Ökonomen und Unternehmern Sorge. Denn neue Studien zeigen: Gerade die Wirtschaft hat viel zu verlieren. Warum applaudieren manche in Davos trotzdem rechten Klimaleugnern?
Weltwirtschaftsforum Davos: Weckruf der Wissenschaft und pöbelnde Populisten auf dem Zauberberg
Auf dem Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos treffen Welten aufeinander. In einer lebt der neue argentinische Präsident Javier Milei. Abgesehen von seinen ziemlich irren Ausschweifungen zum Sozialismus, belehrt der Anarchokapitalist seine Zuhörer gern zum Thema Klimawandel.
»Milei amüsiert sich über den Klimawandel und Menschen, die ›den Planeten retten wollen‹, … und sieht ›Neo-Marxisten‹ am Werk, die ›Medien, Universitäten und internationale Organisationen auf ihre Seite gezogen haben‹, schreibt unser Davos-Korrespondent Michael Brächer diese Woche im SPIEGEL. Trotzdem habe es einigen Applaus gegeben, nach seiner Rede wurden Selfies gemacht.
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Klimawandel gibt es nicht, alles nur eine Erfindung von Nichtregierungsorganisationen und staatsnahen Gremien – in dieser Traumwelt leben Populisten wie Milei. Doch in der realen Welt ist auch in Davos mittlerweile angekommen, welche Gefahr der menschengemachte Klimawandel für die Weltwirtschaft darstellt.
Am Mittwoch stellten dort Forscher die Studie des Weltwirtschaftsforums und des Beratungsunternehmens Oliver Wyman vor, laut der es aufgrund der Klimakrise in den kommenden Jahrzehnten mehrere Millionen Todesfälle geben wird. Außerdem sollen schwere Krankheiten zunehmen und die Kosten für Gesundheitssysteme weiter steigen.
Ursache dafür sind steigende Temperaturen und zunehmende Extremwetter wie Dürren, Überschwemmungen, Stürme, aber auch Waldbrände und steigende Meeresspiegel. Zugrunde liegt der Studie das mittlere Klimaszenario des Weltklimarates IPCC. In dem Szenario steigen die Temperaturen bis 2100 um mehr als drei Grad Celsius, und die bisherige Klimapolitik wird auf relativ niedrigem Niveau fortgeschrieben.
Sollte das also eintreten, dann könnten laut Studie bis 2050 rund 14 Millionen Menschen an den Folgen des Klimawandels sterben. Die Gesundheitssysteme würden durch mehr Kranke mit zusätzlichen Kosten in Höhe von 1,1 Billionen US-Dollar belastet.
Brasilianische Umweltministerin kündigt erste Umsiedlungen an
Das größte Risiko geht laut den Studienautoren von Überschwemmungen aus. Bis 2050 könnten allein 8,5 Millionen Betroffene direkt oder indirekt aufgrund von über die Ufer tretenden Flüssen oder Sturmfluten an der Küste sterben. Eingerechnet sind auch Menschen, die danach Infektionskrankheiten bekommen oder sich durch Ernteschäden nicht mehr ernähren können.
Bereits jetzt sind solche Folgen in Küstenregionen von Bangladesch, aber auch anderen asiatischen Ländern zu beobachten. Oftmals werden aber nur die durch Stürme oder Fluten Ertrunkenen gezählt, jedoch nicht die monatelangen Folgen dieser Katastrophen genau beziffert.
Selbst in Deutschland, das als reiches Industrieland eigentlich gut gegen Überschwemmungen geschützt sein müsste, starben 2021 im Ahrtal 180 Menschen, viele können bis heute nichts auf den kontaminierten Böden ihrer Gärten und Felder anbauen. Auch das jüngste Hochwasser im Januar zeigte, wie verwundbar deutsche Gemeinden sind.
In anderen Ländern zieht man bereits Konsequenzen. Die brasilianische Umweltministerin Marina Silva erklärte in Davos, dass Menschen in ihrem Land umgesiedelt werden müssten. Sie verwies auf Gebiete im südlichsten Bundesstaat Rio Grande do Sul, wo es im vergangenen Jahr wiederholt zu Überschwemmungen kam, bei denen Dutzende Menschen starben. »Dort haben wir Familien, die in einem Jahr dreimal von Überschwemmungen betroffen waren. Es hat keinen Sinn, das Haus an derselben Stelle wieder aufzubauen oder das Geschäft neu zu eröffnen.«
Auch andere Wetterextreme machen Menschen weltweit zu schaffen. Schwer trifft es etwa Alte und Kranke, wenn wochenlange Hitzewellen ihre Behausungen aufheizen – allein 1,6 Millionen Leben könnte das laut dem WEF-Bericht kosten.
Auch Dürren führen zu Krankheiten und Tod, wenn Flüsse durch Verdunstung zu giftigen Rinnsalen werden oder sich fruchtbare Böden in staubigen Sand verwandeln, auf dem man nichts mehr anbauen kann. Menschen, die von der Landwirtschaft leben oder in ländlichen Gebieten siedeln, sind besonders gefährdet.
Die Zahlen sind bedrückend. Wichtig ist aber, dass führende Ökonomen in Davoser Kreisen den Klimawandel mittlerweile als Wirtschaftsproblem erkannt haben. Daran ändern auch die Ausführungen von Klimaleugnern wie Milei nichts. An Verlusten und Schäden haben Wirtschaftsbosse kein Interesse.
Die steigenden Gesundheitskosten müssen zwar am Ende die Bürger tragen. Die wiederum investieren oder konsumieren dann aber weniger. Außerdem fallen Arbeitskräfte häufiger aus, wenn sie öfter krank werden. Ganz abgesehen von Lieferkettenproblemen, wenn ganze Regionen eine Katastrophe durchleben.
Die Küsten werden verlieren
Das bestätigt auch eine am Donnerstag im Fachjournal »Scientific Reports« veröffentlichte Studie. Dort gehen die Autoren bis 2100 von empfindlichen Einbußen beim Bruttoinlandsprodukt in 79 europäischen Küstenregionen aus. Dafür koppelten sie ökonomische Modelle mit dem apokalyptischen RCP8.5-Szenario zum Meeresspiegelanstieg. Es zeigt die schlechteste aller Zukünfte bis 2100 und kalkuliert so gut wie keinen Klimaschutz, kaum zusätzliche Anpassung an die Folgen sowie steigende Emissionen ein.
In diesem Worst-Case-Szenario würden die EU und Großbritannien bis Ende des Jahrhunderts ein insgesamt 1,26 Prozent geringeres BIP einfahren – verglichen mit einer Welt ohne Klimawandel. Einige Küstenregionen etwa in Italien könnten sogar mehr als 20 Prozent verlieren. Hingegen gewännen in Deutschland laut Studie einige Gebiete im Inland leicht hinzu, weil sich Wirtschaftsaktivitäten verlagerten.
Fachleute meinen, die Studie gebe trotz einiger Unsicherheiten einen Eindruck von kommenden Schäden und Verlusten in Europa. Endlich würden auch indirekte Einbußen wie »verminderte Einnahmen, Unterbrechungen der Lieferketten und steigende Preise« mit einkalkuliert, erklärt etwa Küstenexpertin Rosanne Martyr-Koller vom Thinktank Climate Analytics, die nicht an der Studie beteiligt war. Allerdings sei wenig hilfreich, dass in der Studie der schlimmste Fall der Klimaerwärmung angenommen werde, bei dem der Meeresspiegel mehrere Meter steigt.
Plausibler wäre ein mittleres Szenario gewesen, das sich an der heutigen Entwicklung und den Klimaplänen der Länder orientiere, so Martyr-Koller. Trotz dieser Unsicherheiten zeigen beide in dieser Woche publizierten Berichte: Die Wirtschaft muss sich dringend umstellen und an neue Bedingungen anpassen. Ein Weckruf der Wissenschaft, der hoffentlich lauter ist als die zeternden Worte von Populisten.
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Die Themen der Woche
Kälte in den USA von gefühlt teils unter minus 50 Grad Celsius, Glätte in Deutschland. Hängt der Wintereinbruch in beiden Ländern zusammen?
Verschleppte Investitionen, mangelnde Instandhaltung, Verantwortliche verzweifeln an Behörden: Viele Deiche in Deutschland erfüllen ihre Schutzfunktion nicht mehr. Einige Experten plädieren dafür, Menschen umzusiedeln.
Mit einer globalen Temperatur beinahe 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau war das vergangene Jahr so heiß wie keins seit mindestens 173 Jahren. Auch die Meere litten unter Hitze. Und noch etwas bereitet Sorgen.
Für 2024 rechnen manche Forscher erstmals mit einer Trendwende beim CO₂-Gehalt der Atmosphäre. Doch klimapolitisch drohen auch herbe Rückschläge.
Bleiben Sie zuversichtlich
Ihre Susanne Götze
Redakteurin Wissenschaft
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