Bundestag stimmt für Veteranentag: Symbolpolitik zeigt den Wandel Deutschlands

Deutschland soll einen nationalen Veteranentag bekommen. Der Bundestag spricht sich dafür mit großer Mehrheit aus. Das ist Symbolpolitik, klar. Sie verrät aber einiges über den tiefen Wandel des Landes.

bundestag stimmt für veteranentag: symbolpolitik zeigt den wandel deutschlands

Bundestag stimmt für Veteranentag: Symbolpolitik zeigt den Wandel Deutschlands

Der SPD-Abgeordnete Johannes Arlt hat da mal eine Frage. »Stolpern Sie über die Worte Veteran oder Veteranenpolitik oder haben Sie gar Assoziationen mit alten, liebevoll gepflegten Autos?«

Es klingt ein wenig nach einer dieser Fangfragen aus Persönlichkeitstest in Ratgeberzeitschriften. Was gut passt zu dieser Bundestagsdebatte über die Einführung eines Veteranentags in Deutschland. Sie hat etwas von einer Therapiesitzung: Die Politik reflektiert an diesem Donnerstag im Bundestag selbstkritisch über ihren Umgang mit Soldatinnen und Soldaten.

DER SPIEGEL fasst die wichtigsten News des Tages für Sie zusammen: Was heute wirklich wichtig war – und was es bedeutet. Ihr tägliches Newsletter-Update um 18 Uhr. Jetzt kostenfrei abonnieren.

Markige Ansage, großer Beifall

Arlt ist kein Psychologe. Er ist Luftwaffenoffizier, der siebenmal im Auslandseinsatz war. Und er möchte das V-Wort rehabilitieren, es von historischem Mief oder auch Hollywood-Bombast befreien. »Das Wort Veteranen wird in unserer Gesellschaft wenig genutzt. Damit muss Schluss sein: Wir brauchen mehr Sichtbarkeit. Und wir brauchen mehr Anerkennung für unsere Soldaten und Veteranen. Darum brauchen wir einen Veteranentag in Deutschland.« Markige Ansage, großer Beifall.

Deutschland soll nun alljährlich am 15. Juni den nationalen Veteranentag begehen, dafür hat sich der Bundestag mit großer Mehrheit ausgesprochen. Es ist nun an der Bundesregierung, ein Konzept zu erarbeiten und die dafür benötigten Mittel zur Verfügung zu stellen.

Der Antrag sieht vor, jährlich am 15. Juni eine zentrale Veranstaltung mit »Volksfestcharakter« in der Nähe des Reichstagsgebäudes stattfinden zu lassen. Angedacht sind zudem kleinere Veranstaltungen in den Ländern und Kommunen.

In ihrem parteiübergreifenden Antrag fordern die Ampelfraktionen und die Union auch eine bessere Versorgung von Veteraninnen und Veteranen sowie ihrer Familien. Arlt hat den Vorstoß initiiert. Er spricht von einem »neuen Kapitel« für Deutschland.

Für dieses Jahr ist die Zeit zu knapp. Der erste zentrale Festakt wird daher wohl erst 2025 in Berlin stattfinden. Aber auf lokaler Ebene, in den Städten und Dörfern, könnten schon in diesem Jahr besondere Veranstaltungen organisiert werden – die Initiatorinnen und Initiatoren des Antrags ermuntern ihre Fraktionskollegen, die Botschaft in ihre Wahlkreise zu tragen.

Für die Bundestagsdebatte am Donnerstag war gut eine Stunde angesetzt. Doch die Diskussion darüber, ob die Bundesrepublik einen Veteranentag benötigt, läuft seit mehr als zehn Jahren. Im Jahr 2012 unternahm der damalige CDU-Verteidigungsminister Thomas de Maizière einen Vorstoß. Doch der verhallte bald, Warnungen vor einer Militarisierung der Gesellschaft waren lauter.

Davon ist jetzt, gut zwei Jahre nach Russlands Überfall auf die Ukraine und der von Kanzler Olaf Scholz ausgerufenen »Zeitenwende« wenig zu hören.

Neuer Blick aufs Militär

Zwar beklagt Linkenpolitiker Dietmar Bartsch mit Verweis auf die von Verteidigungsminister Boris Pistorius gern geforderte »Kriegstüchtigkeit« eine »höchst problematische Entwicklung«, eine »atmosphärische Veränderung in unserer Gesellschaft«. Aber mit dieser Sorge ist Bartsch an diesem Donnerstag ziemlich allein.

Vielleicht wäre das anders, wären die Reihen von SPD und Grünen nicht so auffallend spärlich besetzt.

Bartsch liegt nicht ganz falsch. Die Einstellung zu den Streitkräften hat sich gewandelt: Laut einer Befragung des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr hatten im vergangenen Jahr 86 Prozent der Deutschen ein positives Bild von der Truppe.

Und auch die Politik, die in Soldaten lange Zeit lieber Streetworker in Uniform sah statt Krieger, legt ihre Berührungsängste gegenüber Militärischem ab. Mehr noch: Manch einer scheint zu hoffen, mit demonstrativer Nähe zu Soldatinnen und Soldaten ein bisschen was abbekommen zu können von der Anerkennung, die ihnen nun entgegengebracht wird.

Als Kanzler Olaf Scholz neulich im Bendlerblock bei einem Festakt der Bundeswehr nach dem Ende der Uno-Mission in Mali sprach, erinnerte er an seine Rede auf der Bundeswehrtagung im vergangenen Herbst. Da habe er betont, so der SPD-Politiker, dass die Bundeswehr die Wertschätzung erfahren müsse, die sie verdiene. Und dazu gehöre auch, »unsere Veteraninnen und Veteranen stärker zu ehren«.

Ein halbes Jahr später stellt Scholz nun fest: »Ich freue mich sehr, dass seitdem die Idee eines Veteranentags weit vorangekommen ist und dass es dafür breite Unterstützung im Bundestag gibt.« Es klingt ein bisschen so, als wäre das Ganze Scholz’ Idee gewesen.

Verteidigungsminister Pistorius beansprucht keine Urheberschaft. Er dankt seinem Parteifreund Arlt für sein Engagement, spricht von einem »starken, wichtigen, ja auch überfälligen Zeichen«. Der Veteranentag mache klar, »was der höchste Preis für unser Leben in Frieden und Freiheit sein kann«.

Pistorius treibt derzeit ein anderes Projekt voran, das Soldatinnen und Soldaten stärker in die Mitte der Gesellschaft rücken soll: eine Neuauflage der Wehrpflicht. Im Mai möchte er ein Konzept vorlegen.

Zwar sind in seiner Partei, der SPD, sowie bei Grünen und FDP die Vorbehalte groß; selbst eine Wehrpflicht light wäre mit der Ampel nicht zu machen. Doch der Minister möchte offenbar das Thema im Gespräch halten; es ist seine Art, die Zeitenwende in den Köpfen zu verankern.

Die Bundestagsreden legen nahe, dass sich der Veteranentag vor allem an Soldatinnen und Soldaten richtet, die im Auslandseinsatz waren. Doch nach gängiger Definition sind jeder aktive Soldat, jede aktive Soldatin und alle, die aus der Bundeswehr ehrenhaft ausgeschieden sind, Veteranen. Also rund zehn Millionen Deutsche.

Die Parlamentarier haben es nicht gewagt, den Personenkreis kleiner zu ziehen. Sie verweisen auf das 2019 eingeführte Veteranenabzeichen der Bundeswehr: Man könne den Trägern ja nicht rückwirkend ihren Status streitig machen.

Der Veteranentag ist Symbolpolitik, das streiten nicht einmal seine energischen Befürworter ab. Es ist ein Bekenntnis der Politik zu den Streitkräften. Ein Eingeständnis, dass Wohlstand und Frieden mit militärischer Macht abzusichern sind. Keine Einsicht, zu der sich die Bundesrepublik leicht durchringt.

Folgt daraus etwas?

In der Veteranengemeinde ist leichtes Misstrauen zu vernehmen. Der Bund Deutscher Einsatzveteranen mahnt, der Veteranentag dürfe »nicht zu einer Alibiveranstaltung verkommen«, so der Vorsitzende Bernhard Drescher. Er fordert gegenüber dem SPIEGEL konkrete Konzepte für »bundesweite Aktivitäten« am 15. Juni – und handfeste Verbesserungen, etwa ein Ende der Ungleichbehandlung von Zeit- und Berufssoldaten, die nach einer einsatzbedingten Erkrankung den Dienst verlassen, und schnellere Hilfe nach Traumata.

»Freundliches Desinteresse«

Das sieht auch der Antrag von Ampel und Union vor – ergänzt um den nicht ganz trivialen Zusatz: »Im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel«. Es ist nun an der Bundesregierung, die Initiative mit Geld zu unterlegen. Damit es nicht bei Symbolpolitik bleibt.

Fürs Erste aber sind die Initiatoren des Antrags zufrieden mit sich und ihrem Beschluss. Dass Ampel und Union an einem Strang ziehen, kommt ja nicht oft vor. Die CDU-Politikerin Kerstin Vieregge mahnt allerdings, es mit dem Schulterklopfen nicht zu übertreiben, Eigenlob stinke. Vieregge spricht offen an, dass der Bundestag der Parlamentsarmee Bundeswehr in der Vergangenheit allzu oft mit »freundlichem Desinteresse« begegnete. Da nicken einige Uniformierte auf der Zuschauertribüne.

Selten zuvor dürfte im Bundestag so emotional über den Soldatenberuf gesprochen worden sein. Die Grünenpolitikerin Sara Nanni berichtet von ihrer Arbeit im Untersuchungsausschuss zum chaotischen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan, in dem die Abgeordneten auch Soldaten befragt haben. »Diese Hingabe für den Auftrag, die Verantwortung, die sie gespürt haben, der Druck und teilweise die Wut über die Umstände, das lässt einem die Tränen in die Augen schießen und ehrfürchtig werden«, sagt Nanni.

Es sind Worte, die man nicht unbedingt von einer Grünen erwartet hätte.

Die Abgeordneten sind an diesem Tag um ein einträchtiges Bild bemüht. Doch die Arbeit am Veteranenantrag war, wie zu hören ist, nicht leicht. Die Union tat sich mit den sozialen Aspekten schwer; ihr schwebte als Datum für den Ehrentag der Gründungstag der Bundeswehr am 12. November vor. Zu nass, zu grau, hieß es in der SPD.

Die Grünen wiederum hatten keine Probleme mit einer besseren Versorgung für Gediente, aber ein Ehrentag für Veteranen? Würde das als Heroisierung des Soldatischen oder gar als Werbung für die Bundeswehr missverstanden werden? Das war über Monate die Debattenlage.

Der Militärhistoriker Sönke Neitzel zeigt sich erleichtert, dass es überhaupt zur Einigung kam. »Nun kommt es darauf an, den Veteranentag klug mit Leben zu füllen. Wenn das gelingt, wird sich der 15. Juni im kulturellen Gedächtnis des Landes etablieren«, sagt Neitzel dem SPIEGEL.

Wie viel Tod verträgt ein Ehrentag?

Die Wahl fiel der sommerlichen Temperaturen wegen auf den 15. Juni, und weil da noch keine Sommerferien sind. »Ich hätte mir ein anderes Datum und damit eine mutigere Akzentsetzung gewünscht«, so Neitzel. Sein Favorit: der 2. April.

An Karfreitag, dem 2. April 2010, starben in der afghanischen Provinz Kunduz im Kampf gegen die Taliban drei Bundeswehrsoldaten, acht wurden verwundet. Die bislang höchsten Verluste der Bundeswehr in einem Gefecht. Daher stehe der 2. April für den Wesenskern der Streitkräfte: den Kampf, so Neitzel. »Damit wären Tapferkeit, Mut, aber auch die Opfer von Kampfeinsätzen stärker betont worden. All dies hätte zur Kriegstüchtigkeit von Minister Pistorius besser gepasst«, meint der Professor für Militärgeschichte an der Uni Potsdam.

Den Initiatoren des Antrags schwebt jedoch ein unbeschwerter Ehrentag vor, Stichwort »Volksfestcharakter«. SPD-Mann Arlt sagt: »Der Tag strahlt Lebensfreude und Gemeinschaft aus.«

Beim Bundeswehrverband ist man schon jetzt in Feierlaune. »Der heutige Tag ist ein echter Meilenstein und wird in die Geschichte der deutschen Veteranenbewegung eingehen«, sagt der stellvertretende Vorsitzende Marcel Bohnert dem SPIEGEL. Aber auch er erinnert sich an die zahlreichen Anläufe, die es gegeben hat, um Veteraninnen und Veteranen mehr Wertschätzung entgegenzubringen. »Wir werden nun also im Blick behalten, ob den Ankündigungen auch Taten folgen.«

News Related

OTHER NEWS

Ukraine-Update am Morgen - Verhandlungen mit Moskau wären „Kapitulationsmonolog" für Kiew

US-Präsident Joe Biden empfängt Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus. Evan Vucci/AP/dpa Die US-Regierung hält Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zum jetzigen Zeitpunkt für „sinnlos”. Bei einem Unwetter in Odessa ... Read more »

Deutschland im Wettbewerb: Subventionen schaden dem Standort

Bundeskanzler Olaf Scholz am 15. November 2023 im Bundestag Als Amerikas Präsident Donald Trump im Jahr 2017 mit Handelsschranken und Subventionen den Wirtschaftskrieg gegen China begann, schrien die Europäer auf ... Read more »

«Godfather of British Blues»: John Mayall wird 90

John Mayall hat Musikgeschichte geschrieben. Man nennt ihn den «Godfather of British Blues». Seit den 1960er Jahren hat John Mayall den Blues geprägt wie nur wenige andere britische Musiker. In ... Read more »

Bund und Bahn: Einigung auf günstigeres Deutschlandticket für Studenten

Mit dem vergünstigten Deutschlandticket will Bundesverkehrsminister Wissing eine junge Kundengruppe dauerhaft an den ÖPNV binden. Bei der Fahrkarte für den Nah- und Regionalverkehr vereinbaren Bund und Länder eine Lösung für ... Read more »

Die Ukraine soll der Nato beitreten - nach dem Krieg

Die Ukraine soll nach dem Krieg Nato-Mitglied werden. Die Ukraine wird – Reformen vorausgesetzt – nach dem Krieg Mitglied der Nato werden. Das hat der Generalsekretär des Militärbündnisses, Jens Stoltenberg, ... Read more »

Präsidentin droht Anklage wegen Tod von Demonstranten

Lima. In Peru wurde eine staatsrechtlichen Beschwerde gegen Präsidentin Dina Boluarte eingeleitet. Sie wird für den Tod von mehreren regierungskritischen Demonstranten verantwortlich gemacht. Was der Politikerin jetzt droht. Perus Präsidentin ... Read more »

Novartis will nach Sandoz-Abspaltung stärker wachsen

ARCHIV: Das Logo des Schweizer Arzneimittelherstellers Novartis im Werk des Unternehmens in der Nordschweizer Stadt Stein, Schweiz, 23. Oktober 2017. REUTERS/Arnd Wiegmann Zürich (Reuters) – Der Schweizer Pharmakonzern Novartis will ... Read more »
Top List in the World