Brückeneinsturz: 764 Tonnen Gefahrgut an Bord der „Dali“ halten Baltimore-Retter auf Abstand

Nach der Brückenkollision in Baltimore wird klar: Das havarierte Containerschiff hatte schon Tage zuvor Steuerungsausfälle. Auch weitere Details des Unfallhergangs werden bekannt.

Die Bergung des 300 Meter langen Containerfrachters „Dali“, der am frühen Dienstagmorgen in Baltimore eine kilometerlange Hafenbrücke zum Einsturz brachte, bereitet den Rettungskräften erhebliche Schwierigkeiten. Nach Auskunft des Feuerwehrchefs von Baltimore ist es ihnen unmöglich, den Bug des Schiffes zu betreten.

Den Grund nannte nun Jennifer Homendy, Chefin des National Transportation Safety Board (NTSB), in einer Pressekonferenz. Die „Dali“ habe 56 Container geladen, in denen sich insgesamt 764 Tonnen Gefahrgut befinden. Einige von ihnen seien bereits aufgebrochen. „Wir haben Glanz auf der Wasserstraße gesehen“, sagte die Leiterin der bundesweiten US-Ermittlungsbehörde.

Geladen hat das unter der Flagge Singapurs fahrende Schiff nach Auskunft des NTSB ätzende Chemikalien und leicht entflammbare Stoffe – darunter Lithium-Ionen-Batterien.

Peter Gautier, stellvertretender Kommandant der US-Küstenwache, sagte bei einer Presseanhörung im Weißen Haus, der Schiffsbug liege wegen des Gewichts der Brückentrümmer auf Grund. Unterwasserinspektionen des Rumpfes seien im Gang. Das Armee-Ingenieur-Corps werde nun gemeinsam mit der US-Küstenwache versuchen, die eingestürzte Brücke vom Bug des Schiffes zu entfernen.

Gleichzeitig hat die Hafenbehörde von Singapur Ermittlungen eingeleitet. Da die „Dali“ unter der Flaggenverwaltung des südasiatischen Inselstaats unterwegs war, ist er für die Sicherheitskontrolle über den Frachter verantwortlich. Das Schiff gehört der Firma Grace Ocean Private aus Singapur, wird von der Reederei Synergy Marine Group gemanagt und ist von Maersk gechartert.

Stromausfall für eine Minute

In ersten Meldungen hatte es geheißen, ein Stromausfall an Bord habe das Containerschiff manövrierunfähig gemacht. Die „Dali“ sei daraufhin gegen einen Brückenpfeiler geprallt, der das gesamte Bauwerk zum Einsturz brachte.

In ihrer Pressekonferenz nannte NTSB-Chefin Homendy nun erstmals detaillierte Hintergründe zum Unfallgeschehen, bei dem sechs Arbeiter auf der eingestürzten Brücke ums Leben kamen. Danach zeigte der geborgene Datenrekorder des Schiffes an, dass der Strom nur für eine Minute und drei Sekunden ausfiel, bevor sich der Frachter dem Bauwerk näherte.

Das für 9962 Standardcontainer gebaute Schiff hatte den Unfall am Dienstag gegen 1:30 Uhr morgens verursacht. Nur vier Minuten zuvor, um 1:26 Uhr, rief der Lotse des Schiffes nach Angaben des Datenschreibers einen Schlepper um Hilfe. Um 1:27 Uhr gab der Lotse den Befehl, den Anker des Schiffes zu werfen – was das Unglück am Ende nicht verhinderte.

Die US-Küstenwache bestätigte, dass die Motoren des Containerschiffs während seines Hafenaufenthalts einer routinemäßigen Wartung unterzogen worden seien, während ein Hafenarbeiter aus Baltimore dem TV-Sender CNN erzählte, dass es bei der „Dali“ in den Tagen vor dem Antriebsverlust zu „schwerwiegenden Stromausfällen“ gekommen sei.

Julie Mitchell, Co-Verwalterin der Hafenbeobachtungsfirma Container Royalty, bestätigte CNN, das Schiff habe vor der Abfahrt zwei Tage lang unter Stromausfällen gelitten. „Sie hatten ein schweres elektrisches Problem. Es gab einen totalen Stromausfall, einen Verlust der Motorleistung, alles“, sagte sie. Als Indiz nannte Mitchell, dass Kühlcontainer an Bord auf eine Notstromversorgung umgeschaltet hätten.

Die teuerste Schiffskollision seit Jahrzehnten

Das „Wall Street Journal“ hatte bereits über Probleme auf dem Schiff berichtet. „Das Schiff ist tot, es gibt keine Steuerkraft und keine Elektronik“, zitierte das US-Blatt einen Offizier an Bord. „Einer der Motoren hustete und blieb dann stehen. Überall im Maschinenraum roch es nach verbranntem Treibstoff, und es war stockfinster.“

Die Havarie in Baltimore gilt bereits jetzt als teuerste Schiffskollision seit Jahrzehnten. Zwei bis vier Milliarden Dollar könnten an Schadensumme zusammenkommen, glaubt die mit Versicherungsratings befasste Firma Morningstar DBRS. Bisher hielt der Untergang des Kreuzfahrtschiffes Costa Concordia im Jahr 2012 mit rund zwei Milliarden Dollar den Negativrekord, dicht gefolgt von der Havarie der „Ever Given“ 2021 im Suezkanal.

US-Verkehrsminister Pete Buttigieg erklärte, es sei „zu früh, um sicher zu sein“, wie lange es dauert, den Hafen wieder zu öffnen. Aktuell sitzen dort zehn Handelsschiffe fest, bis die Trümmer der eingestürzten Brücke entfernt sind. „Der Wiederaufbau wird nicht schnell, einfach oder billig sein, aber wir werden ihn schaffen“, sagte Buttigieg.

MSC, die weltweit größte Containerlinie, hat ihre Kunden gewarnt, dass es „mehrere Monate“ dauern wird, bis sich der Hafenbetrieb wieder normalisiert. Baltimore werde man „auf absehbare Zeit“ von seinen Diensten ausschließen, bekundete die Schweizer Reederei.

Auch der deutsche Wettbewerber Hapag-Lloyd hat die Auftragsannahme für Baltimore gestoppt. Die Hamburger bieten ihren Kunden als Alternative die Verladehäfen in Norfolk und New York.

News Related

OTHER NEWS

Ukraine-Update am Morgen - Verhandlungen mit Moskau wären „Kapitulationsmonolog" für Kiew

US-Präsident Joe Biden empfängt Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus. Evan Vucci/AP/dpa Die US-Regierung hält Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zum jetzigen Zeitpunkt für „sinnlos”. Bei einem Unwetter in Odessa ... Read more »

Deutschland im Wettbewerb: Subventionen schaden dem Standort

Bundeskanzler Olaf Scholz am 15. November 2023 im Bundestag Als Amerikas Präsident Donald Trump im Jahr 2017 mit Handelsschranken und Subventionen den Wirtschaftskrieg gegen China begann, schrien die Europäer auf ... Read more »

«Godfather of British Blues»: John Mayall wird 90

John Mayall hat Musikgeschichte geschrieben. Man nennt ihn den «Godfather of British Blues». Seit den 1960er Jahren hat John Mayall den Blues geprägt wie nur wenige andere britische Musiker. In ... Read more »

Bund und Bahn: Einigung auf günstigeres Deutschlandticket für Studenten

Mit dem vergünstigten Deutschlandticket will Bundesverkehrsminister Wissing eine junge Kundengruppe dauerhaft an den ÖPNV binden. Bei der Fahrkarte für den Nah- und Regionalverkehr vereinbaren Bund und Länder eine Lösung für ... Read more »

Die Ukraine soll der Nato beitreten - nach dem Krieg

Die Ukraine soll nach dem Krieg Nato-Mitglied werden. Die Ukraine wird – Reformen vorausgesetzt – nach dem Krieg Mitglied der Nato werden. Das hat der Generalsekretär des Militärbündnisses, Jens Stoltenberg, ... Read more »

Präsidentin droht Anklage wegen Tod von Demonstranten

Lima. In Peru wurde eine staatsrechtlichen Beschwerde gegen Präsidentin Dina Boluarte eingeleitet. Sie wird für den Tod von mehreren regierungskritischen Demonstranten verantwortlich gemacht. Was der Politikerin jetzt droht. Perus Präsidentin ... Read more »

Novartis will nach Sandoz-Abspaltung stärker wachsen

ARCHIV: Das Logo des Schweizer Arzneimittelherstellers Novartis im Werk des Unternehmens in der Nordschweizer Stadt Stein, Schweiz, 23. Oktober 2017. REUTERS/Arnd Wiegmann Zürich (Reuters) – Der Schweizer Pharmakonzern Novartis will ... Read more »
Top List in the World