„Brennelemente ausgelutscht“ – Die demonstrativ gelassene Verteidigung des Robert Habeck

Das Papier aus dem Wirtschaftsministerium zum deutschen Atomausstieg hatte für heftige Kritik an Robert Habeck gesorgt. Der Wirtschaftsminister verteidigt sich nun in einer Sondersitzung. Er gibt sich auffällig entspannt. Nur ein einziges Mal gerät er etwas in Bedrängnis.

„brennelemente ausgelutscht“ – die demonstrativ gelassene verteidigung des robert habeck

Robert Habeck lässt sich nicht aus der Ruhe bringen am Freitagmorgen im Bundestag picture alliance / Geisler-Fotopress

Mehr Gelassenheit kann man nicht demonstrieren als Robert Habeck am Freitagmorgen im Bundestag: Um kurz vor acht schlendert der Wirtschaftsminister in das Paul-Löbe-Haus und schreckt die Kamerateams auf, die eigentlich damit gerechnet hatten, dass Habeck nur schnell vorbeihuschen würde, um sich den Fragen in der eilig einberufenen Sondersitzung des Energieausschusses zum Atomausstieg zu stellen.

Doch Habeck bleibt stehen. „Haben Sie Fragen?“, will er wissen und wartet, bis die Kameras laufen. Als das Licht über dem Objektiv eingeschaltet wird, scherzt der Minister: „Strom ist jedenfalls genug da.“

Die Botschaft des Wirtschaftsministers an diesem Morgen ist klar: Bitte weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen. Am Donnerstag hatte ein Bericht des Magazins „Cicero“ für Aufregung in Berlin gesorgt, weil Habeck ein Papier aus seinem Ministerium aus dem März 2022 nicht bekommen hatte, in dem die Frage diskutiert wurde, ob die drei letzten Atomkraftwerke wegen der Gaskrise länger laufen sollten.

Der Mitarbeiter empfahl, längere Laufzeiten zumindest weiter zu prüfen. Habeck entschied damals trotzdem zunächst, die AKW nicht länger am Netz zu lassen. Ein Skandal?

Die Union hatte bereits mit einem Untersuchungsausschuss gedroht, auch vom Koalitionspartner FDP kam scharfe Kritik. Auch deshalb hat Habeck seine eigentlich für die gleiche Zeit geplante Pressekonferenz zur Energiewende verschoben und ist in den Bundestag gekommen. „Ein Jahr nach dem Atomausstieg müssen wir feststellen, dass sich alle Unkenrufe nicht bewahrheitet haben, die Energieversorgung ist komplett gesichert, die Strompreise im Handel sind runtergegangen“, sagt er.

Er freue sich auf die Ausschusssitzung, behauptet Habeck: „Das wird bestimmt eine spannende Stunde für alle.“ Man könne noch mal „zurückzoomen“ ins Frühjahr 2022. „Ich werde noch mal darlegen, dass am Anfang, im März, die Betreiber der Atomkraftwerke mitgeteilt haben, die Brennelemente sind ausgelutscht, da geht nichts mehr“, sagt Habeck.

Tatsächlich liegen WELT Stellungnahmen und Mails der AKW-Betreiber von damals vor, in denen steht, dass ein Weiterbetrieb nur dann möglich sei, wenn die Leistung dafür in den Sommermonaten reduziert würde. Die Gesamtstrommenge, die in den Kernkraftwerken produziert worden wäre, hätte sich demnach nicht verändert.

Habeck betont, dass er und sein Ministerium aktiv bei den Atomkraftwerksbetreibern nachgefragt hätten, ob sie beim Gassparen helfen können – und das schon vor Ausbruch des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Bleibt die Frage, ob er das Papier seines Mitarbeiters vor seiner eigenen Entscheidung gern gekannt hätte.

„2400 Mitarbeiter, alle reden, und das sollen sie auch“

Schließlich erreichte das Dokument Habecks Schreibtisch nach Auskunft des Ministeriums nicht, sondern kam nur bis zu seinem früheren Staatssekretär Patrick Graichen (Grüne), der später wegen der Verwandten-Affäre entlassen wurde. „Nun mein Haus hat 2400 Mitarbeiter, alle reden, und das sollen sie auch, und diskutieren viel, gerade in so einer relevanten Frage“, sagt Habeck vor der Sitzung. Für ihn seien immer die Gespräche mit den Kraftwerksbetreibern ausschlaggebend gewesen.

„Insofern mag es E-Mail-Verkehre untereinander geben und Gespräche auf Fluren und Rücksprachen, die dann nicht eins zu eins wortprotokollmäßig bei mir ankommen, aber das geht auch gar nicht“, sagt Habeck. „Entscheidend ist, dass ich in den wirklich relevanten Runden und das sind die Runden mit den Versorgungsbetreibern, also RWE, EnBW und Eon, immer die richtigen Fragen stellen konnte und da bin ich sicher, dass die gestellt wurden.“

Die Antwort der Betreiber sei gewesen, „die Atomkraftwerke haben keinen Saft mehr in den Brennelementen“, sagt Habeck. „Das hat sich dann später im Laufe des Jahres verändert, im Juni gab es dann andere Informationen der Betreiber und entsprechend haben wir ja dann die Debatte um die Laufzeitverlängerung noch mal aufgenommen und am Ende ja dann auch positiv beschieden.“ Tatsächlich blieben die letzten drei Atomkraftwerke dreieinhalb Monate länger bis Mitte April 2023 am Netz.

Die Sondersitzung verläuft dann deutlich weniger aufgeregt, als es die Debatte des Vortages hätte vermuten lassen. Die Abgeordneten entscheiden gleich zu Beginn doch öffentlich zu tagen und Journalisten in den Saal zu lassen. Habeck betont auch hier noch mal, dass alle Optionen in der Energiekrise geprüft worden seien.

Das Dokument sei nur ein „Vor-Papier“ gewesen, habe aber genau die richtigen Fragen aufgeworfen, die ohnehin im Ministerium diskutiert worden seien. Ansonsten wird die Debatte mit den bekannten Rollenverteilungen geführt: FDP und Union kritisieren den Atomausstieg insgesamt, den beide Parteien mitbeschlossen hatten; Grüne, SPD und Linke verteidigen den Ausstieg.

„Wir führen genau die gleiche Diskussion wie im Frühjahr 2022“, sagt Helmut Kleebank (SPD). Man sei sehr gut durch die Energiekrise gekommen. „Die Veröffentlichungen haben in der Sache absolut null neue Erkenntnisse gebracht“, sagt Kleebank. „Die Entscheidung, die damals getroffen worden ist, war damals mit damaligen Erkenntnissen richtig und wäre es heute umso mehr.“

Lisa Badum von den Grünen sprach von einer „Nebelkerze“ der Opposition, die Union klammere sich an „jeden Strohhalm“, um ihre eigene Energiepolitik der vergangenen Jahrzehnte zu rechtfertigen. Das Dokument aus dem Ministerium stehe für „absolut reguläres und sauberes Verwaltungshandeln“, so der Grünen-Abgeordnete Bernhard Herrmann.

Auch Habeck betont, dass es nicht ungewöhnlich sei, dass nicht jedes Papier auf seinem Schreibtisch lande. „Abteilungsleiter sind nicht nur die Sekretäre ihrer Referenten“, sagt der Minister. Sie müssten die Erkenntnisse zusammenfassen und gewichten und dann alle relevanten Informationen dem Minister vortragen. „In diesem Fall sind alle Fragen, die in den Referaten diskutiert wurden, angekommen“, so Habeck.

An einer Stelle widerspricht Habeck deutlich

FDP-Energiepolitiker Michael Kruse kritisiert grundsätzlich, dass durch den Wegfall der russischen Gaslieferungen „die Brücke zu den Erneuerbaren“ eingestürzt und die Frage, welche Technologie diese Brücke ersetzen soll, ungeklärt sei. Doch auch er sieht in dem Papier keine wesentlichen neuen Erkenntnisse.

„Jeder, der im Frühjahr 2022 im Gespräch mit den Fachabteilungen war, konnte wissen, dass die Frage, ob es sinnvoll ist, die Atomkraftwerke weiterlaufen zu lassen, unstreitig war“, sagt Kruse. „Herr Minister, haben sie eigentlich auch mal direkt mit der Fachabteilung gesprochen und stört es Sie, dass Vermerke ins Gegenteil verkehrt wurden?“

Hier widerspricht Habeck deutlich: Es sei „unwahr“, dass Vermerke ins Gegenteil verkehrt worden seien. „Unstreitig produzieren Atomkraftwerke Strom“, so der Minister. Doch man habe damals kein Strommengenproblem gehabt. „Das Problem, das wir damals hatten, war ein netztechnisches Problem.“

Nur einmal gerät Habeck etwas in Bedrängnis: Als er auf die Frage des CSU-Abgeordneten Andreas Lenz, wer im Leitungsstab des Ministeriums das Papier gekannt habe, betont, er habe sich immer „gut informiert“ gefühlt, schießt Lenz zurück: „Gut informiert eher von RWE und Eon oder von ihrem Haus?“ Alle Menschen mit Expertise hätten damals dazu beigetragen, die Krise abzuwenden, antwortet Habeck, er habe sich auch durch die Chefs der Energiekonzerne gut beraten gefühlt.

Nach einer knappen Stunde ist alles vorbei. Habeck wirkt auch danach weiter gelassen vor den Kameras. „Die Annahme, dass da eine Art Geheimwissen wäre, das mich nicht erreicht hätte, ist falsch“, betont Habeck noch einmal. Ob die Diskussion über das Thema dann damit nun beendet sei, fragt eine Journalistin.

„Das weiß ich nicht genau“, antwortet Habeck. „Denn alle dürfen ja diskutieren, aber jedenfalls das, was meiner Kenntnis nach in Rede stand, konnte man ganz gut einordnen und wenn die Abgeordneten die Unterlagen lesen, dann wird sich ein anderes Bild darstellen, die Unterlagen erzählen eine andere Geschichte als sie kolportiert wurde.“

Sein Ministerium habe „ohne Denkverbote“ auf Basis von Fakten gearbeitet und aktiv geprüft, ob eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke hilfreich sein könnte. Einem möglichen Untersuchungsausschuss würde er daher „absolut“ gelassen entgegensehen.

Dass es dazu kommen könnte, ist eher unwahrscheinlich. Nach der Sitzung gibt sich auch die FDP deutlich gemäßigter. „Es macht ja keinen Sinn, über irgendwelche Rücktritte zu philosophieren, man muss ja erst mal die Fakten kennen“, sagt Olaf in der Beek, der klimapolitische Sprecher der Liberalen, angesprochen auf Forderungen einzelner Parteifreunde vom Vortag.

„Und ich möchte auch sagen, so wie der Minister es heute dargestellt hat, ist es völlig logisch, wie er entschieden hat.“ Er könne kein Fehlverhalten von Habeck nachweisen – und wolle das auch nicht.

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