Düsseldorf. Erdogan, Katar, Iran – warum eine wertegeleitete und feministische Außenpolitik so wenig vermag. Dabei ist etwas anderes viel wichtiger.
Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Außenministerin, gibt nach der Abschlusserklärung der G7-Außenminister und Außenministerinnen in Tokio eine Pressekonferenz.
Man muss Annalena Baerbock zustimmen. Die Bundesregierung sollte sich mit aller Kraft bemühen, dass „Frauen weltweit in Friedensprozessen, auf Arbeitsmärkten und in Parlamenten gleichberechtigt teilhaben“. Und natürlich ist es richtig, dass die deutsche Außenpolitik einen „Wertekompass aus Freiheit und Demokratie, aus der UN-Charta und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ benötigt. Auch dass ein reiches Industrieland seine globale Verantwortung wahrnimmt – besonders in der Klimakrise, die gerade diejenigen Länder trifft, die „am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, aber heute am meisten unter Dürren, Hitze und Fluten leiden“.
Welcher deutsche Außenminister, welche deutsche Außenministerin könnte diese Sätze nicht vorbehaltlos unterstreichen? Egal ob von FDP, SPD, Grünen oder Union. Doch daraus eine neue Form der „wertegeleiteten Außenpolitik“ zu machen, ist entweder ein Marketing-Einfall oder führt bewusst grandios in die Irre. Wenn der Chef oder die Chefin des Auswärtigen Amtes bei allen Vorstößen, Aktionen oder Abstimmungen peinlich genau darauf achten würde, die materiellen Inhalte einer solchen Politik zu beachten, würde er oder sie sich schnell auf der Isolierstation befinden.
Kann man mit einem autoritären Herrscher wie Recep Tayyip Erdogan ein Migrationsabkommen schließen, obwohl der Dörfer im eigenen Land bombardieren lässt, mit dem Islamischen Staat zusammengearbeitet hat und die terroristische Hamas als „Freiheitskämpfer“ gegen den „Terror-Staat Israel“ preist? Und obendrein Gelder veruntreut, den Westen beschimpft und sich beim aggressiven Russland mit Waffen eindeckt? Wohl kaum. Kann man mit dem Iran, der Frauen, die kein Kopftuch tragen möchten, ermorden lässt, ein Ende der Sanktionen aushandeln, wenn der auf den Bau einer Atombombe vorläufig oder scheinbar verzichtet? Genauso wenig. Oder sich – wie Baerbocks Parteifreund Robert Habeck – vor einem geldgierigen und frauenfeindlichen Emir verbeugen, der in aller Welt Terroristen unterstützt? Auch das würde sich versagen.
Trotzdem wird Außenministerin Baerbock nicht müde zu betonen, dass diese Maßnahmen alle notwendig sind, um mit den Feinden von Demokratie, Wohlstand und Menschenrechten in Kontakt zu bleiben – und womöglich Schlimmeres zu verhüten. Mag sein, dass dies stimmt. Nur mit einer wertegeleiteten und feministischen Außenpolitik hat das rein gar nichts zu tun.
Beispiel Erdogan: Der türkische Präsident wird in Berlin mit allen Ehren empfangen. Man kann eben auf diesen schwierigen und undemokratischen Partner nicht verzichten, heißt es allenthalben. Doch welches Entgegenkommen steht zu erwarten? Aus innenpolitischen Gründen schmäht Erdogan den jüdischen Staat und lässt Terroristen hochleben. Er verfolgt die Kurden und steckt Oppositionelle ins Gefängnis. Gut, mit rabiaten Methoden hält er Geflüchtete aus Syrien von einer Überfahrt nach Griechenland ab (wofür er freilich Milliarden kassiert). Aber ist das wertegeleitete oder feministische Außenpolitik – auch nur im Entferntesten?
Hat Baerbock bislang mit ihrer moderaten Haltung gegenüber dem Iran für mehr Frauenrechte dort gesorgt? Oder Todesurteile gegen deutsche Staatsbürger vereitelt? Sind israelische Geiseln in nennenswerter Weise freigekommen, weil der Hamas-Unterstützer-Staat Katar oder auch Erdogan dort im Sinne Israels und des mit ihm verbündeten Westens interveniert hätten? Und was hat die Enthaltung Deutschlands bei der Abstimmung über die Forderung nach einem schnellen Waffenstillstand in Gaza gebracht, bei der die Taten der Hamas in keiner einzigen Silbe erwähnt wurden?
Es ist klar: In einer Welt mit Potentaten wie in Russland, China, dem Iran, Katar oder der Türkei, die für die Interessenlage Deutschlands und der westlichen Welt wichtig sind, muss sich die Außenpolitik bisweilen verbiegen. Baerbock wird nicht umhin können, Mördern und Kriegstreibern die Hand zu reichen. Sie wird Deals eingehen, die mit ihren hehren Zielen nichts, aber auch gar nichts zu tun haben: Gas gegen Verbeugung, Flüchtlingsabwehr gegen Milliarden, Handel gegen Verzicht auf Druck bei den Menschenrechten.
Muss eine solche Politik akzeptiert werden? In Teilen wird sie nötig sein, um überhaupt im Gespräch zu bleiben. Es ist dann schon mutig, die kleinen Spielräume auszunutzen, die für mehr Klimaschutz, Frauen- und Minderheitenrechte oder Demokratieförderung verbleiben. Hier kann sich dann der Wertekompass zeigen. Aber das Ganze als wertegeleitete und feministische Außenpolitik zu bezeichnen, ist anmaßend.
Und es gibt noch etwas Anderes: Das Außenressort muss wieder das mächtigste und wichtigste Ministerium der Bundesrepublik werden. Hier müssen neue Stäbe und Task Forces aufgebaut werden, die präzise, umfassend und strategisch klar die Weltlage und die Interessen der einzelnen Regionen, Kontinente und Länder analysieren und daraus ihre Schlüsse ziehen. In Zeiten des Kalten Krieges war das teilweise der Fall, die Geheimdienste der befreundeten Länder lieferten dazu die Informationen. Auch eine Arbeitsteilung in Nato, EU oder mit Ländern wie Israel, Indien, aber auch Australien, Kanada oder Japan, Südkorea und Taiwan sind möglich.
Hier muss der Ehrgeiz Baerbocks liegen. Dann kann sie klug die Interessen Deutschlands vertreten, auf Regeln im weltpolitischen Chaos drängen und hier und da auch etwas für ihre Werte tun.
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