„Maybrit Illner“: Wie man die AfD stark macht und sich dabei moralisch überlegen fühlt

„maybrit illner“: wie man die afd stark macht und sich dabei moralisch überlegen fühlt

„Maybrit Illner“ am Donnerstagabend: Das Thema war die Zukunft der EU.

In der Talkshow „Maybrit Illner“ wurde am Donnerstagabend über Krieg und Frieden in der Ukraine diskutiert, die Zukunft der EU und die AfD. Zum wiederholten Mal durfte man AfD-Chef Tino Chrupalla bei seinen populistischen Argumentationskaskaden beobachten und ihn dabei erleben, wie er lauwarm Maximilian Krah verteidigt. Der AfD-Spitzenkandidat für das Europarlament sieht sich mit schweren Vorwürfen konfrontiert. Einem engen Mitarbeiter Krahs wird vorgeworfen, für China spioniert zu haben. Im Dezember wurde Krah vom FBI verhört. Der Verdacht steht im Raum, dass Krah von kremlnahen Quellen Schmiergelder erhalten haben soll.

Chrupalla verwies bei Illner auf die Unschuldsvermutung, auf die Regeln des Rechtsstaats. Beweise gegen Krah habe er nicht gesehen. Chrupalla konnte aber nicht genau erklären, warum Krah bei den nächsten Wahlkampfveranstaltungen der AfD zu den Europawahlen nicht auftreten will. So richtig entschieden stellte sich Chrupalla also nicht vor seinen Kollegen. Der Diskussionsrunde bei Illner waren Chrupallas Verteidigungen dennoch Anlass genug, mit geballter Kraft öffentlich Chrupalla vorzuführen – und sich dadurch ein Stück weit selbst vorführen zu lassen.

„maybrit illner“: wie man die afd stark macht und sich dabei moralisch überlegen fühlt

Tino Chrupalla im ZDF

Illner warf Chrupalla Vaterlandsverrat vor. Chrupalla erwiderte: „In jeder Partei gibt es Korruption.“ Seine Taktik basierte auf Ablenkung. Zur Sprache kam etwa der Maskenskandal bei der CDU. Armin Laschet, der ebenso zu Gast war, konterte, dass seine Partei, die CDU, sofort Ermittlungen gegen Korruption eingeleitet und Abgeordnete, die mit dem Maskenskandal zu tun hatten, aus dem Parlament entfernt habe. Dieser Umgang sei bei der AfD nicht zu beobachten.

Chrupalla wollte nicht klein beigeben und verwies im nächsten Beispiel auf EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (ehemals CDU) und auf Ermittlungen gegen die EU-Chefin in Zusammenhang mit unlauteren Geschäften bei der Beschaffung von Pfizer-Impfstoffen. Melanie Amann vom Spiegel, die Chrupalla besonders scharf angriff und sich an diesem Abend ausgesprochen kampfeslustig zeigte, sagte, dass diese Behauptung Chrupallas „verleumderischer Unsinn“ sei und keine Behörde in Brüssel gegen von der Leyen ermitteln würde. (Tatsächlich sagte Chrupalla die Wahrheit. Laut Politico ermittelt die Europäische Staatsanwaltschaft mit Sitz in Luxemburg gegen Ursula von der Leyen wegen Korruptionsverdachts und untersucht etwa einen SMS-Austausch zwischen von der Leyen und dem CEO von Pfizer.)

„maybrit illner“: wie man die afd stark macht und sich dabei moralisch überlegen fühlt

„Maybrit Illner“ am Donnerstagabend

Chrupalla verlautbarte somit nicht unbedingt falsche Tatsachen, er packte seine Sätze und Meinungen aber in einen Kokon aus Verkürzungen und populistischen Simplifizierungen. Es war deutlich zu spüren, dass er keinen Anlass sah, Selbstkritik zu üben oder die schweren Vorwürfe gegen die AfD auszuräumen. Als würde er nichts dagegen haben, dass man die AfD mit „fremden Mächten“ wie China oder Russland in Verbindung bringt. Stattdessen zündete er Nebelkerzen. Als er gefragt wurde, warum er Putin nicht einen Kriegsverbrecher nennt, erwiderte er, dass die bürgerlichen Eliten in Deutschland den ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama ebenso nicht als Kriegsverbrecher bezeichnen würden, trotz der Einsätze des amerikanischen Militärs in Syrien. Chrupallas Taktik fruchtete in diesem Sinne, dass er die ersten 20 Minuten der Diskussion komplett vereinnahmen konnte und perfekte Steilvorlagen für impulsive Erregungen für die anderen Teilnehmer bot. Selbst Illner konnte nicht ruhig bleiben und echauffierte sich, was wie ein Kontrollverlust wirkte. Also: unsouverän.

Die Schriftstellerin Juli Zeh verhielt sich ganz anders. Sie wurde erst nach den Chrupalla-Haudrauf-Festspielen ins Gespräch gebracht, nach etwa 20 Minuten. Sie erkannte richtig, dass der Ablauf der Talkshow genau zum Gegenteil dessen führte, was Illner eigentlich beabsichtigen wollte: AfD-Sympathisanten ihre Sympathie für die AfD zu nehmen. Denn bei vielen Zuschauern dürfte im Gedächtnis bleiben, dass schon wieder ein AfD-Mensch eingeladen wurde, um medial vorgeführt zu werden. Juli Zeh nannte es ein Unbehagen gegenüber der Diskurskonstellation. Und noch konkreter: „Alle versammeln sich um Chrupalla, als wäre er das Lagerfeuer des Grauens. Wollen wir auf diese Weise den Diskurs führen?“ Man könnte noch hinzufügen: Und der Zuschauer greift zum Popcorn.

Armin Laschet pflichtete der Autorin bei und sagte, dass Deutschland Probleme hätte, schwierige Dinge offen auszudiskutieren. „Wir müssen darauf achten, dass wir nicht zu einer Schwarz-Weiß-Republik werden“, sagte Laschet und verwies darauf, dass nicht jeder ostdeutsche Friedensaktivist gleich ein Putin-Fan sei. Es war auch ein Protest gegen Maybrit Illner, die in der Sendung mit genau jenen Stereotypen arbeitete und keine Sensibilität für richtige Gesprächsführung zeigte. Sie teilte Ostdeutsche in Putin-Fans und Friedliebende auf, Juli Zeh sagte dazu: „Was ist das für ein bescheuertes Framing?“

Melanie Amann vom Spiegel zeigte sich differenzierter: Sie sagte, dass Michael Kretschmers und Juli Zehs Positionen gegenüber dem Krieg in der Ukraine und ihr Nachdenken über Verhandlungen einer „humanitären Denkweise“ entspringen würden, Chrupallas Friedensappelle wiederum auf einer kremlnahen Sichtweise basierten. Doch anstatt diese Unterschiede herauszuarbeiten, wirkte die Talkshow wie ein Autounfall, bei dem man nicht hinschauen, aber auch nicht weggucken will. Redaktionen sollten dringend darüber nachdenken, wie man solche Gespräche produktiver gestaltet. Noch ist ein bisschen Zeit.

Haben Sie Feedback? Schreiben Sie uns! [email protected]

News Related

OTHER NEWS

Ukraine-Update am Morgen - Verhandlungen mit Moskau wären „Kapitulationsmonolog" für Kiew

US-Präsident Joe Biden empfängt Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus. Evan Vucci/AP/dpa Die US-Regierung hält Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zum jetzigen Zeitpunkt für „sinnlos”. Bei einem Unwetter in Odessa ... Read more »

Deutschland im Wettbewerb: Subventionen schaden dem Standort

Bundeskanzler Olaf Scholz am 15. November 2023 im Bundestag Als Amerikas Präsident Donald Trump im Jahr 2017 mit Handelsschranken und Subventionen den Wirtschaftskrieg gegen China begann, schrien die Europäer auf ... Read more »

«Godfather of British Blues»: John Mayall wird 90

John Mayall hat Musikgeschichte geschrieben. Man nennt ihn den «Godfather of British Blues». Seit den 1960er Jahren hat John Mayall den Blues geprägt wie nur wenige andere britische Musiker. In ... Read more »

Bund und Bahn: Einigung auf günstigeres Deutschlandticket für Studenten

Mit dem vergünstigten Deutschlandticket will Bundesverkehrsminister Wissing eine junge Kundengruppe dauerhaft an den ÖPNV binden. Bei der Fahrkarte für den Nah- und Regionalverkehr vereinbaren Bund und Länder eine Lösung für ... Read more »

Die Ukraine soll der Nato beitreten - nach dem Krieg

Die Ukraine soll nach dem Krieg Nato-Mitglied werden. Die Ukraine wird – Reformen vorausgesetzt – nach dem Krieg Mitglied der Nato werden. Das hat der Generalsekretär des Militärbündnisses, Jens Stoltenberg, ... Read more »

Präsidentin droht Anklage wegen Tod von Demonstranten

Lima. In Peru wurde eine staatsrechtlichen Beschwerde gegen Präsidentin Dina Boluarte eingeleitet. Sie wird für den Tod von mehreren regierungskritischen Demonstranten verantwortlich gemacht. Was der Politikerin jetzt droht. Perus Präsidentin ... Read more »

Novartis will nach Sandoz-Abspaltung stärker wachsen

ARCHIV: Das Logo des Schweizer Arzneimittelherstellers Novartis im Werk des Unternehmens in der Nordschweizer Stadt Stein, Schweiz, 23. Oktober 2017. REUTERS/Arnd Wiegmann Zürich (Reuters) – Der Schweizer Pharmakonzern Novartis will ... Read more »
Top List in the World