BND-Spionageprozess: Kennenlernen am Herrentag

Ein AfD-Mann machte die beiden Angeklagten in der BND-Spionageaffäre miteinander bekannt. Als Zeuge vor Gericht ist ihm das unangenehm, er erinnert sich angeblich schlecht. Dafür macht er Corona verantwortlich.

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BND-Spionageprozess: Kennenlernen am Herrentag

Den beiden Angeklagten in der besonders gesicherten Glasbox ist deutlich anzusehen, wie sehr sie sich über das Wiedersehen freuen. Carsten L. und Arthur E. strahlen den Zeugen an, der an diesem Donnerstag mit forschem Schritt und Saftflasche in der Hand den Gerichtssaal betritt. Die Freude ist allerdings nicht auf seiner Seite. Reno S. will mit der ganzen Sache nichts zu tun haben, das macht er schnell deutlich. Das Lächeln seiner Freunde erwidert er nicht. Vor Gericht will er sich weder an volksverhetzende Chats noch an ein Gespräch mit einem mächtigen Russen erinnern.

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Seit Dezember 2023 müssen sich Carsten L., Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND), und Arthur E., Diamantenhändler mit Kontakten nach Russland, wegen des Vorwurfs des besonders schweren Landesverrats vor dem Kammergericht Berlin verantworten. Mitten im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sollen sie geheime und kriegsrelevante BND-Informationen an Russland verkauft haben. BND-Präsident Bruno Kahl nannte den Fall vor Gericht eine »Katastrophe« und verglich den Schaden für den deutschen Auslandsnachrichtendienst mit einem Flugzeugabsturz, bei dem 80 von 100 Passagieren ums Leben gekommen sind.

Reno S. ist 48 Jahre alt, Soldat und Vizekreischef der AfD im oberbayerischen Weilheim. Er hat die beiden Angeklagten miteinander bekannt gemacht – eine Bekanntschaft, die zu einem der größten deutschen Geheimdienstskandale geführt haben soll.

Das Wort Freundschaft nimmt er nicht in den Mund

Er hat Arthur E. bei der Bundeswehr kennengelernt, der Zeuge war der Vorgesetzte des heute 33-Jährigen. Nach dessen Ausscheiden aus der Bundeswehr trafen sie sich privat. Arthur E. lebte bis zu seiner Inhaftierung im Januar 2023 in München, nicht weit von Weilheim entfernt.

Vor Gericht bemüht sich Reno S., die Bekanntschaft herunterzuspielen. Nur sporadisch hätten sie sich getroffen. Worüber sprachen sie? War Arthur E. mal bei ihm zu Hause? Gab es einen gemeinsamen Grillabend mit beiden Angeklagten auf seinem Balkon? Er behauptet, sich an nichts davon zu erinnern. Die Antworten des Zeugen sind einsilbig, die Befragung ist zäh. »Daran erinnere ich mich nicht.« – »Kann sein.« – »Schwer zu sagen.«

Immerhin gibt der AfD-Mann zu, zum BND-Mann Carsten L. »ein vertrautes Verhältnis« gepflegt zu haben. Das Wort Freundschaft nimmt er nicht in den Mund. Dabei kennen sich die Männer seit bald zwanzig Jahren. Bis zu seiner Inhaftierung im Dezember 2022 lebte Carsten L. mit seiner Familie in Weilheim, wo auch der Zeuge mit seiner Familie wohnt. Ihre Kinder besuchten denselben Kindergarten. Carsten L., heute 53 Jahre alt, trainierte die Kinder des Bekannten beim Fußball.

Die Männer teilen eine Leidenschaft fürs Militär. Als Oberstleutnant fing Carsten L. einst beim BND an, zuletzt hatte er den Rang eines Obersts erreicht. Doch offenbar ist die Bundeswehr nicht ihre einzige Gemeinsamkeit.

WhatsApp-Gruppe »Gegen das Gutmenschentum«

Aus einem Vermerk des Bundeskriminalamtes (BKA) geht hervor, dass Carsten L. und Reno S. Mitglieder einer WhatsApp-Gruppe waren. »Gegen das Gutmenschentum« nannte sie sich. Beide sollen dort »volksverhetzende, rassistische und antisemitische Inhalte« ausgetauscht haben, vor allem Bilder und Videos. Reno S. behauptet, keine Erinnerung daran zu haben.

Eines Tages stellte der AfD-Mann seinem BND-Freund den ehemaligen Kameraden Arthur E. vor. Es war am 13. Mai 2021, Himmelfahrt – oder »Herrentag«, wie Reno S. sagt. Es gab eine kleine Feier auf dem Gelände eines Sportvereins in Weilheim.

Arthur E. hatte an einem anderen Verhandlungstag ausgesagt, dass Carsten L. ihm damals auch von seiner Tätigkeit für den BND berichtet habe. Der wiederum behauptete, er habe Arthur E. erst im August 2022 auf Initiative des gemeinsamen Bekannten bei einem Biergartenbesuch in Weilheim kennengelernt. Reno S. sagt an diesem Tag nun, dass sich Arthur E. und Carsten L. tatsächlich schon im Mai 2021 bei der Feier am Sportplatz begegnet sind. Wie er sie einander vorgestellt hat, wisse er nicht mehr.

Auch an den Biergartenbesuch zu dritt ein Jahr später im August erinnert er sich. »Gab gut Alkohol.« Worüber sie sich unterhalten haben, will er im Detail nicht mehr wissen. »Über Gott und die Welt«, sagt er nur.

Essen mit Fremden

Kurz zuvor hatte es noch ein anderes Treffen gegeben. Diesmal ohne Carsten L. Ende Juli 2022 lud Arthur E. ihn in ein Restaurant nach Erding ein. Erding ist knapp eineinhalb Stunden Autofahrt von Weilheim entfernt.

»Was war der Anlass für die Einladung?«, fragt der Vorsitzende Richter. Reno S. zuckt mit den Schultern. »Arthur E. wollte sich mal wieder treffen.« Am Tisch hätten noch zwei weitere Personen gesessen. »Die konnten kein Deutsch.« Er nehme an, dass es sich um Geschäftspartner von Arthur E. gehandelt habe. »Was haben sie mit Ihnen so geplauscht?«, fragt der Richter. »Da habe ich keine Erinnerung dran.«

Einer der Männer, die am Tisch saßen, soll der russische Unternehmer Visa M. gewesen sein. Der schwerreiche Russe gilt als gut vernetzt in höchste Kreml-Kreise. Nach Aussage von Arthur E. war es Visa M., der ihn in Moskau mit dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB zusammenbrachte. Der Multimillionär habe eine unbefristete Niederlassungserlaubnis für Deutschland begehrt. In Erding, wo sie sich zum Restaurantbesuch trafen, hat Visa M. eine Meldeadresse.

Was es angeblich mit den Erinnerungslücken auf sich hat

Arthur E. hofft auf Strafrabatt nach der sogenannten Kronzeugenregelung und hat bereits im Ermittlungsverfahren umfangreiche Angaben gemacht. Vor Gericht hat er Carsten L. über mehrere Verhandlungstage hinweg schwer belastet. Arthur E. hat gestanden, dass er dem russischen Geheimdienst geheime BND-Unterlagen übergeben hat, die er von Carsten L. erhalten habe. Der wiederum bestreitet den Verrat.

Der Vorsitzende Richter fragt den Zeugen, ob Arthur E. ihm denn mal von seinen Moskaureisen berichtet habe. Ja, antwortet der Reno S. »Moskau ist schön, Moskau ist sauber.« Mehr erinnere er nicht.

Es ist der Verteidiger von Carsten L., der schließlich fragt, was es mit der behaupteten Erinnerungslosigkeit des Zeugen auf sich hat. Reno S. scheint auf diese Frage vorbereitet zu sein. Seine Antwort fällt plötzlich nicht mehr einsilbig aus. Sie ist recht originell. Ende 2020 sei er an Corona erkrankt, sagt er. Dabei sei es zu einer »Sauerstoffunterversorgung« gekommen. »Seitdem habe ich Schwierigkeiten mit dem Gedächtnis.« Dienstunfähig sei er aber nicht, sagt er auf Nachfrage.

Nach knapp eineinhalb Stunden ist die Befragung vorbei. Der AfD-Funktionär und Bundeswehrsoldat mit Gedächtnisverlust darf gehen.

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