Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez mit seiner Frau Begona Gomez bei einer Wahlkampfveranstaltung im Juli 2023
Im spanischen Regierungslager herrscht politische Schockstarre. In einem mehrseitigen „Brief an die Bürger“ hat Ministerpräsident Pedro Sánchez angekündigt, seine Amtsgeschäfte bis Montag ruhen zu lassen. Er wolle „innehalten und nachdenken“, ob es „der Mühe noch wert“ sei, Regierungschef zu bleiben.
Am Mittwoch war bekannt geworden, dass ein Untersuchungsrichter gegen die Ehefrau des Sozialisten wegen des Verdachts auf Einflussnahme und der Korruption im Geschäftsleben ermittelt. Für Sánchez ist das Verfahren Teil „beispielloser Angriffe“ der Rechten und Rechtsextremen, wie er in seinem Brief im Kurznachrichtendienst X schrieb. Sánchez macht den konservativen Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo direkt für die „Attacken“ auf seine Frau verantwortlich. „Diese Strategie der Belästigung und Zerstörung läuft schon seit Monaten“ schrieb er und meinte nicht nur sich: Begoña Gómez werde nicht angeprangert, weil sie etwas Illegales getan habe, „sondern weil sie meine Frau ist“.
Angeblich hatte Sánchez vor der Ankündigung seines kurzzeitigen Rückzugs nur mit seiner Familie gesprochen. Selbst die engsten Regierungsmitglieder sollen davon überrascht gewesen sein. Noch am Mittwochabend versuchten sie einen Weg zu finden, um den seit 2018 regierenden Sozialisten zum Weitermachen zu bewegen. Aber der politische Einzelkämpfer Sánchez ist für seine einsamen Entscheidungen bekannt. In schwierigen Situationen zieht er sich zurück und überrascht danach selbst seine engste Umgebung.
Anzeige einer Organisation aus dem ulrarechten Spektrum
Es sind nicht die ersten Vorwürfe, die die politischen Gegner von Sánchez gegen seine Frau erheben, seit er 2018 Regierungschef wurde. Gegenstand des schon am 16. April eröffneten Ermittlungsverfahrens ist ein Brief, den die Marketingexpertin als Mitarbeiterin der Madrider Complutense-Universität im Jahr 2020 unterschrieben hatte. Es geht nicht um persönliche Bereicherung, sondern die Frage, ob sie bei einer Vertragsvergabe aus öffentlichen Mitteln Einfluss als Ehepartnerin des Regierungschefs ausgeübt haben könnte. Konkret ging es um ein Unternehmen, das am Ende mehrere Millionen Euro aus Steuermitteln erhielt. Als Beweismittel nennt die Anzeige angeblich nur die Berichterstattung zweier digitaler Medien, die der konservativen PP nahestehen und deren Chefs jetzt als einzige Zeugen geladen worden seien.
Die Anzeige hatte die Organisation „Manos Limpias” (Saubere Hände) erstattet, die dem ultrarechten politischen Spektrum zugerechnet wird. Sie bezeichnet sich als „Beamten-Gewerkschaft“ und hatte sich in der Vergangenheit immer wieder als Nebenklägerin in ähnlichen Prozessen gegen linke Politiker und Mitglieder der königlichen Familie beteiligt. Dabei geht es bei den den „Manos limpias“ selbst alles andere als sauber zu. Ihr Gründer Miguel Bernard, der einst Generalsekretär der rechtsextremen Partei Frente Nacional war, und weitere Mitglieder waren zeitweise festgenommen und wegen Erpressung und Betrugs angeklagt worden.
Politische Schlammschlach gegen Sánchez
Die konservative PP besteht zudem darauf, die Beziehungen von Begoña Gómez zu den Eigentümern der Fluggesellschaft Air Europa zu überprüfen, die die spanische Regierung während der Pandemie mit Darlehen in Höhe von 475 Millionen Euro gerettet worden war. Gómez hatte an der privaten IE Universität bis 2022 ein Zentrum für die Innovationsförderung in Afrika geleitet, das aus der Firmengruppe angeblich unterstützt worden war. Die von der PP angerufene staatliche Stelle, die Interessenkonflikte prüft, hielt entsprechende Vorwürfe im März für unbegründet.
Im Wahlkampf im vergangenen Jahr hatten auch PP und Vox auch die Behauptung aufgegriffen, die in rechten Medien schon seit einiger Zeit kursierte, wonach Sánchez’ erpressbar sei, weil seine Ehefrau Verbindungen zu marokkanischen Drogenhändlern unterhalte. In allen Wahlkampagnen hatte die Rechte den PSOE-Vorsitzenden als einen „Lügner“ diffamiert, der charakterlich für das Amt des Regierungschefs sei – zuletzt besonders wegen seiner Nähe zu den katalanischen Separatisten. Seit zwei Monaten machen Sánchez‘ PSOE-Partei Korruptionsvorwürfe gegen das Umfeld seines früheren Verkehrsministers zu schaffen, der einer seiner engsten Vertrauten war.
Bisher zeigte sich der Regierungschef jedoch dann umso kämpferischer, desto heftiger die Attacken wurden. Oft ging der frühere Handballspieler nach einem einsamen Entschluss von der Verteidigung zum Angriff über. Zuletzt war das im Mai des vergangenen Jahres der Fall, als er nach der schweren Niederlage der Linkskoalition bei den Kommunal- und Regionalwahlen überraschend, die Parlamentswahlen vorzog – nur, weil die siegreiche konservative PP danach keine Regierungsmehrheit zustande brachte, blieb Sánchez an der Regierung. In der Vergangenheit hatte sich der 52 Jahre alte Politiker in bedrohlichen Situationen kämpferisch und risikobereit gezeigt.
„Anleitung zum Widerstand“
Am 1. Juni 2018 war er durch das erste erfolgreiche Misstrauensvotum in der Geschichte der spanischen Demokratie an die Regierung gekommen, 2020 schloss er die erste Koalition – mit der Podemos-Parte. Zuvor hatte er sich den Vorsitz seiner PSOE-Partei zurückgekämpft. 2016 hatte er sich geweigert, der damaligen konservativen Regierung im Parlament zur Wiederwahl zu verhelfen, um die dritten Parlamentswahlen in Folge zu verhindern. Als PSOE-Vorsitzender war er deshalb in dem innerparteilichen Machtkampf unterlegen und abgewählt worden.
Seine erste Autobiografie aus dem Jahr 2018 trug den Titel „Anleitung zum Widerstand“. In Madrid fragt man sich, ob seine Widerstandsfähigkeit an eine Grenze gekommen ist, nachdem nun auch seine Ehefrau schon seit einiger Zeit ins Visier seiner politischen Gegner geraten ist.
Sollte Sánchez am Montag wirklich seinen Rücktritt verkünden, würde es noch bis Ende Mai dauern, bis überhaupt erst das Parlament aufgelöst werden kann. Das ist laut Verfassung erst ein Jahr nach der letzten Auflösung (durch Sánchez Ende Mai 2023) möglich. Neuwahlen wären dann wieder Ende Juli, wenn die Spanier in den Sommerferien sind.
Bisher ist nur ein spanischer Ministerpräsident zurückgetreten: 1981 legte der konservative Regierungschef Adolfo Suárez sein Amt nieder, auf den aus seiner Partei Leopoldo Calvo Sotelo folgte. Nach einem Rücktritt kann König Felipe mit den Parteien beraten und einen neuen Kandidaten vorschlagen, der dann im Parlament eine Mehrheit braucht. Gelingt die Wahl eines Nachfolgers nicht, müsste der Monarch nach zwei Monaten das Parlament auflösen.
Amtierende Ministerpräsidentin würde vorerst Sánchez‘ erste Stellvertreterin, Finanzministerin María Jesús Montero, werden. Als mögliche Nachfolgerin aus den eigenen Reihen wird auch Umweltministerin Teresa Ribera genannt. Ein Ausweg wäre auch eine Vertrauensabstimmung, mit der sich Sánchez des Rückhalts der absoluten Mehrheit versichern könnte, die ihn im vergangenen November ins Amt gebracht hatte. Angesichts dieser Option sprach die PP bereits von einer politischen „Show“ von Sánchez.
Eine Vertrauensabstimmung würde den Separatistenführer Carles Puigdemont dazu zwingen, sich politisch zu Sánchez zu bekennen. Im Wahlkampf für die katalanischen Regionalwahlen am 12. Mai hatte er Zweifel an seiner Unterstützung der Minderheitsregierung aufkommen lassen. Sollte das Parlament aufgelöst werden, könnte es jedoch auch nicht zur Verabschiedung des Amnestiegesetzes, das Puigdemont durchgesetzt hatte und von dem er persönlich profitieren würde. Sollte nach einer Wahl die konservative PP mit Unterstützung der rechtspopulistischen Vox-Partei regieren, hätte sich die Amnestie erledigt.
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