Der verzweifelte Hilferuf aus dem Handwerk

Rückläufige Umsätze, rückläufige Aufträge, rückläufige Beschäftigtenzahl: Aktuelle Umfragen zeigen unmissverständlich, wie sehr sich die Krise des Handwerks zuspitzt. Wenn sich nichts ändere, warnt die Branche, drohe der Totalausfall.

der verzweifelte hilferuf aus dem handwerk

Robert Habeck legt das dunkle Sakko zur Seite und krempelt die Ärmel seines weißen Hemdes hoch. Dann kniet sich der Bundeswirtschaftsminister auf eine Vliesmatte in einem Kiesbett, nimmt einen Hammer zur Hand – und setzt kleine graue Pflastersteine. Und das offenbar gar nicht so ungeschickt, wie die Beobachter dieser kürzlich eingefangenen Szene auf der Internationalen Handwerksmesse in München berichten.

Weiteres Lob gab es dort indes nicht für Habeck. Im Gegenteil: Der Grünen-Politiker sah sich seitens des Handwerks mit massiver Kritik an der Arbeit der Ampel-Regierung im Allgemeinen und der Standort- und Wirtschaftspolitik im Besonderen konfrontiert.

Denn die Lage ist zunehmend ernst in der Branche, die sich in Werbekampagnen gerne als die „Wirtschaftsmacht von nebenan“ präsentiert und mit bundesweit rund 570.000 Unternehmen und über fünf Millionen Beschäftigten tatsächlich ein relevanter Faktor ist.

der verzweifelte hilferuf aus dem handwerk

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) verlegt auf der Internationalen Handwerksmesse (IHM) Pflastersteine picture alliance/dpa

Das erste Halbjahr 2024 jedenfalls hat das Handwerk bereits abgeschrieben. „Zu viele Betriebe erwarten deutlich rückläufige Umsätze, stark abnehmende Auftragspolster und eine sinkende Beschäftigtenzahl“, sagt Holger Schwannecke, der Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH).

Und das habe nichts mit Lamentieren oder Schlechtreden zu tun. „Das spiegelt die Lage vor Ort in den Betrieben wider.“

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Schwannecke bezieht sich auf eine aktuelle ZDH-Umfrage, an der im Februar knapp 4500 Betriebe teilgenommen haben. Das Ergebnis: Pessimismus pur. Als Ursache nennen die Befragten Standortnachteile von hohen Energiepreisen sowie Steuer- und Abgabenlasten über den anziehenden Fachkräftemangel bis hin zu überbordenden Dokumentations- und Nachweispflichten, für die mittlerweile schon rund ein Viertel der Arbeitszeit aufgewandt werden müsse.

„Die Ergebnisse sollte die Bundesregierung als Handlungsaufforderung und im Grunde genommen als Hilferuf der Betriebe begreifen“, mahnt Schwannecke. „Es ist Zeit, zu machen. Ohne rasche Standortimpulse, ohne eine deutliche Verbesserung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit und ohne eine Lockerung bestehender Konjunkturbremsen droht das Handwerk als stabilisierender Konjunkturanker und als Impulsgeber und Gestalter der Transformation auszufallen.“ Sogar von einer „drohenden Rezession“ im Handwerk ist bereits die Rede.

Ein solch düsteres Bild zeichnet auch die Wirtschaftsauskunftei Creditreform. „Die Stimmung ist desolat“, sagt Patrik-Ludwig Hantzsch, der Leiter Wirtschaftsforschung beim Daten-Dienstleister aus Neuss, der am Rande der Messe die aktuelle Studie „Wirtschaftslage und Finanzierung im Handwerk“ vorgestellt hat.

Darin bewertet schon fast jedes zweite der 1246 befragten Handwerksunternehmen die eigene Geschäftslage als negativ. Zum Vergleich: Vor einem Jahr lag dieser Anteil noch zehn Prozentpunkte niedriger. Der Stimmungsabschwung ist damit einer der heftigsten in den vergangenen 20 Jahren, wie Hantzsch berichtet. Als Gründe nennt er politische Unwägbarkeiten, Kostensteigerungen und das Ende des Baubooms, dazu die Bürokratie und fehlende Arbeitskräfte.

Fast ein Viertel der Betriebe meldet sinkende Mitarbeiterzahlen

Folge sind zum einen steigende Insolvenzzahlen. Für 2023 stehen 4050 Betriebe in der entsprechenden Statistik von Creditreform, das sind knapp 24 Prozent mehr als noch ein Jahr zuvor. Zum anderen ist die Investitionsbereitschaft im Handwerk auf ein 20-Jahres-Tief gefallen. Nur noch knapp 42 Prozent der Betriebe planen Investitionen. „Das sind 42 Prozent vergebener Chancen auf Transformationsimpulse“, folgert der ZDH. In den zurückliegenden sechs Monaten haben nach Angaben von Creditreform sogar nur 20,9 Prozent der Firmen ein Darlehen beantragt, das für größere Anschaffungen meist nötig ist.

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Auch die Einstellungsbereitschaft hat sich deutlich reduziert angesichts der unsicheren Lage. Und mehr noch: Fast ein Viertel der Betriebe meldet sogar sinkende Mitarbeiterzahlen, heißt es von Creditreform. Dieser Trend könnte sich noch verschärfen. Laut der ZDH-Befragung jedenfalls erwägt mittlerweile jeder vierte Handwerksbetrieb die Schließung einzelner Betriebsstätten oder die Aufgabe von Geschäftsfeldern.

Halten die wirtschaftlichen Schwierigkeiten weiter an, können sich 13 Prozent der Befragten sogar vorstellen, als Ultima Ratio komplett aufzugeben oder den eigenen Betrieb in andere Hände zu übergeben. Wobei sich die Nachfolgesuche heutzutage ebenfalls schwierig gestalte. „Die Bundesregierung ist aufgefordert, verloren gegangenes Vertrauen wieder herzustellen und so Perspektiven zu öffnen und Zuversicht zu schaffen“, sagt ZDH-Generalsekretär Schwannecke.

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Zumal die Krise im Handwerk längst auch in andere Branchen abstrahlt. Die Baumärkte zum Beispiel, in denen zumindest die baunahen Handwerksbereiche zu den wichtigsten Kundengruppen gehören, melden schwache Zahlen für 2023. Auf 21,2 Milliarden Euro beziffert der Handelsverband Heimwerken, Bauen und Garten (BHB) den Umsatz im vergangenen Jahr. Nominal bedeutet das ein Minus von 3,1 Prozent, real sogar von rund neun Prozent. Schwach waren dabei Sortimente wie Sanitär und Heizung, Bauelemente und Baumaterial, Fliesen, Elektro oder auch Holz.

Auch der BHB sieht dabei eine Mitschuld bei der Politik. „Richtungsstreitigkeiten – beispielhaft sei hier das Heizungsgesetz genannt – hinterließen bei den Verbrauchern tiefgreifende Verunsicherung mit direkter Auswirkung auf die DIY-Sortimente“, heißt es in der Bilanzmeldung des BHB. „So brachen zum Beispiel nach der späten Verabschiedung des Gesetzes die Umsätze im Bad-/Sanitätsbereich zusätzlich ein.“

Die schwachen Zahlen der Baumärkte haben aber noch einen weiteren Grund: das Wetter. Das nämlich brachte 2023 „Winterwetter bis fast zum Mai“. Dadurch ist nicht nur das Blumen- und Pflanzengeschäft im Frühling nahezu komplett ausgefallen. Auch die beiden Sortimente Gartenausstattung und Gartenmöbel lagen deutlich im Minus. „2023 war ein schlechtes Jahr, die Branche hat viele Federn gelassen“, kommentiert der BHB-Vorstandsvorsitzende Franz-Peter Tepaß.

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