Die Allianz hat Stress mit Betriebsräten. Foto: dpadata-portal-copyright=
Die Allianz hat Top-Anwälte von Hengeler Mueller angeheuert, damit unliebsame Betriebsräte schweigen. Der Konzern verteidigt sich: Er habe zum Wohle seiner Aktionäre gehandelt.
Die jüngere Geschichte von Deutschlands größtem Versicherer Allianz ist reich an Skandalen, Affären und schillernden Anekdoten. Vor einigen Jahren musste Konzernchef Oliver Bäte auffällige Flüge mit dem Firmenjet erklären. 2020 dann brach der Fondsskandal in den USA über den Konzern hinein. Und 2022 beschimpfte Boss Bäte Teile der Belegschaft pauschal, wie die WirtschaftsWoche damals herausfand. Zugleich stieß die Finanzaufsicht BaFin auf massive IT-Probleme.
Nun wird ein weiteres Manöver des Konzerns bekannt, das nur zu gut in die Serie zu passen scheint. Im Zentrum steht diesmal der Betriebsrat der hauseigenen Rückversicherungseinheit. Die Abteilung sichert die eigentlichen Versicherungsgeschäfte ab, sie umfasst nur etwas mehr als 100 Mitarbeiter. Mit deren Vertretern liegt die Allianz schon seit Jahren im Dauer-Clinch: Mal streiten sich die Parteien um Homeoffice-Regeln, mal um Betriebsversammlungen. Das neueste Manöver aber stellt all diese Scharmützel in den Schatten.
Konkret soll sich Folgendes zugetragen haben: Führungskräfte des Konzerns sollen eines internen Dokuments habhaft geworden sein, das besagte Arbeitnehmervertreter der Rückversicherungseinheit erstellt hatten. Dieses Dokument nun soll Konzernobere so sehr in Wallung gebracht haben, dass sie die Rechtsabteilung sowie die Edelkanzlei Hengeler Mueller losschickten, um gegen die Betriebsräte vorzugehen. Das jedenfalls geht aus einem Artikel der Arbeitnehmervertreter im Intranet hervor, welcher der WirtschaftsWoche vorliegt.
Demnach verfasste die Kanzlei für die Allianz im April 2023 ein Abmahnschreiben: Darin forderte der Versicherer die Betriebsräte auf, eine Unterlassungserklärung zu unterzeichnen. Sie sollten Aussagen aus ihrem eigenen internen Dokument nicht wiederholen. Andernfalls soll der Konzern den Mitarbeitervertretern weitere rechtliche Schritte angedroht haben. Die für den Konzern heikelste Frage aber ist eine andere: Wie bitte schön ist die Allianz an das Betriebsrats-Papier gekommen?
Weltweit einmaliger Fall
Offenbar musste der Versicherer dies auch den Betriebsräten erklären, die Arbeitnehmervertreter wissen nämlich davon in ihrem Intranet-Artikel zu berichten: Ein Whistleblower soll dem Konzern das Dokument zugespielt haben, so die Erklärung der Allianz. Träfe das zu, wäre es ein weltweit vielleicht einmaliger Vorgang: Whistleblower decken normalerweise kritikwürdige Vorgänge in Unternehmen und Regierungen auf – und verpfeifen eher selten Betriebsräte an die Chefetage.
Auf Anfrage präzisiert ein Sprecher der Allianz, der Whistleblower habe sich gar an die Compliance-Abteilung gewandt. Nur wie der angebliche Whistleblower dem Dokument habhaft geworden ist, das verrät die Allianz natürlich nicht. Womöglich konnte er auf das Gruppen-Mail-Postfach des Betriebsrates zugreifen: Ein Betriebsrat soll das interne Dokument wenige Tage zuvor an dieses Postfach geschickt haben.
Die Arbeitnehmervertreter sollen in dem Dokument einige durchaus bedeutsame Punkte festgehalten haben: So habe der Konzern die im Gesetz verankerte Mitbestimmung der Arbeitnehmer missachtet. Zudem errechneten die Betriebsräte in dem Dokument, dass der Allianz in Deutschland Gehaltsnachforderungen von bis zu 500 Millionen Euro drohen könnten. Und dass der Versicherer dafür Rückstellungen bilden müsse.
Allianz sorgte sich um Aktienkurs
Ausgangspunkt für diese Summe und damit für den gesamten Streit sind die Gehälter in der Rückversicherungseinheit. Der Betriebsrat nämlich wirft dem Konzern vor, bei der Gewährung von übertariflichen Zulagen nicht nach klar nachvollziehbaren und mit ihm vereinbarten Kriterien vorzugehen. Dabei gebe es diese in vielen anderen großen Unternehmen. Stattdessen würden die Zulagen bei der Allianz-Einheit nach „Nasenfaktor“ vergeben, bemängelt der Betriebsrat. Die Folge: Die Gehälter für ähnliche Positionen würden voneinander abwichen – mitunter relativ stark.
Der Betriebsrat argumentiert deshalb: Die Allianz müsse die übertariflichen Erhöhungen Mitarbeitern nachzahlen, die diese Zuschläge nicht erhalten haben. Ohne klare Kriterien hätten einige Angestellte gar keine Chance auf die Erhöhungen gehabt.
In der Folge schätzten die Betriebsräte nicht nur, welche Konsequenzen die Nachzahlungen für ihren Bereich haben könnten, sondern übertrugen ihre Annahmen auf den gesamten Konzern. Das Ergebnis dieser Rechnung: eben jene 500 Millionen Euro, die sich in dem Betriebsrats-Dokument finden sollen.
Allianz verlor vor Gericht in Teilen
Gemessen an den Maßstäben der Allianz ist das zwar keine kleine Summe, aber auch keine riesige: Allein im vergangenen Jahr hat der Konzern einen Gewinn von 8,5 Milliarden Euro erwirtschaftet. Und dennoch bewegte die Betriebsrats-Kalkulation die Gemüter von Allianz-Managern.
Ein Sprecher des Konzerns verrät den Grund dafür: „Nach Auffassung des Unternehmens bestehen und bestanden keine berechtigten Gehaltsnachforderungen.“ Außerdem seien die übertariflichen Zulagen „mitbestimmungsfrei“, der Betriebsrat müsse dafür also nicht Kriterien zusammen mit der Allianz festlegen.
Und noch eine Sache ist dem Sprecher wichtig: „Die auf den Gesamtkonzern bezogene Kalkulation des Betriebsrates entbehrte der kalkulatorischen Grundlage“. Bleibt die Frage, wieso die Allianz gleich die Elite-Juristen von Hengeler Mueller in den Kampf ziehen ließ, jene Kanzlei also, die ihr schon bei der Abarbeitung ihres US-Fondsskandals sekundiert hatte (und die sich zu der Betriebsrats-Causa nun nicht einlassen mag).
Die Antwort auf die Frage lautet: Offenbar wähnte der Konzern Gefahr im Verzug. Die Allianz stand im April 2023 wenige Tage vor ihrer Hauptversammlung. Und so teilt der Sprecher des Versicherers mit: „Der börsennotierte Allianz-Konzern sah vor der Hauptversammlung 2023 die Gefahr der Irreführung des Kapitalmarktes zum Schaden seiner Aktionäre“ – und zwar dann, wenn die 500-Millionen-Euro-Rechnung der Betriebsräte vor dem Aktionärstreffen öffentlich werden würde.
Deshalb habe der Konzern-Chefjustiziar „die Abgabe einer Unterlassungserklärung gefordert“. Zumal die Allianz laut ihres Sprechers „davon ausgehen musste, dass der Betriebsrat kurz vor der Hauptversammlung“ die Berechnungen öffentlich machen würde. Die Arbeitnehmervertreter allerdings lassen ausrichten: Sie hätten damals allenfalls darüber sinniert, ihre Berechnungen in ihrer Rückversicherungseinheit zu verbreiten.
Betriebsrat will sich nicht einschüchtern lassen
Dass die ganze Auseinandersetzung nun öffentlich wird, liegt an einem Verfahren vor dem Arbeitsgericht München, auf das sich die Betriebsräte in ihrem Intranet-Beitrag beziehen. Und just an diesem Dienstag haben sie in Teilen Recht bekommen (Az. 13 BV 253/23): Der Versicherer dürfe den Betriebsrat nicht mehr auf Basis interner Unterlagen auffordern, eine Unterlassungserklärung zu unterschreiben, teilt die Allianz mit. Der Konzern prüfe nun, ob er Rechtsmittel einlege. Das Münchner Arbeitsgericht mag sich nicht äußern, weil die Entscheidungsgründe noch nicht vorliegen.
Und der Betriebsrat? Der will so weitermachen wie bisher. Der Vorsitzende Markus Adams sagt der WirtschaftsWoche: „Ich werde mich nicht durch Androhungen von Unterlassungserklärungen davon abhalten lassen, mich weiterhin für faire und transparente Gehaltserhöhungen in der Allianz einzusetzen.“
Diese Aussage ist einigermaßen glaubwürdig, haben Adams und seine Leute die Unterlassungserklärung doch nie unterschrieben. Auch die 500-Millionen-Rechnung haben die Betriebsräte inzwischen im Intranet veröffentlicht: Ein Einbruch des Aktienkurses ist nicht überliefert.
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